Sei ehrlich zu dir selbst

Die Vollkommenheit der Konzentration

 In den letzten zwei Tagen haben wir die Umstände des Lebens mithilfe unseres Verstandes analysiert, einerseits subjektiv auf uns selbst und andererseits objektiv auf die Welt bezogen. Wir haben uns darauf konzentriert herauszufinden, wo wir uns tatsächlich in dieser Welt befinden. Doch es gibt in uns noch einen anderen Einflussfaktor bei der Betrachtung, nämlich das Gefühl. Manchmal kann das Gefühl den Verstand überdecken und lässt uns in einer völlig anderen Sprache der Logik als der Verstand sprechen. Obwohl uns der Verstand sagt, wie man ist, und dass die Welt anders ist, so sind wir weder diejenigen noch ist die Welt so, wie es den Anschein hat. Das Gefühl sagt uns, wie es die Dinge sieht. Jemand kann einem Vater oder einer Mutter sagen, dass ihr Kind nicht wirklich ihr Kind ist, denn es hat viele Wiedergeburten erlebt. Es hatte viele Eltern und Inkarnationen erlebt. Sie haben sich derzeit um das Kind zu kümmern und sollten nicht an ihm hängen, als wäre es ihr Besitztum. Das Kind hat in der Vergangenheit und es wird auch in der Zukunft viele Eltern haben. Darum ist dies nicht ihr Kind. Wenn man es den Eltern auf diese Weise sagt, werden sie es verstehen, doch das Gefühl sagt: „Es ist mein Kind. Sprich nicht so zu mir. Was du auch immer mit dem rationalen Verstand oder aus wissenschaftlicher Sicht erklärst, verstehe ich sehr gut. Nichtsdestotrotz, mein Gefühl sagt mir, dass es mein Kind ist, denn ich liebe es wie mein Eigenes.“

Wem gehört dieses Land? Wem gehört dieses Haus? Werde ich für immer in diesem Hause leben? Ich kann schon morgen sterben. Warum hänge ich an diesem Haus, das Land und den Besitz so sehr, als würde ich es auf immer und ewig behalten können? Vielleicht werde ich schon morgen diese Welt verlassen. - Ich verstehe, doch mein Gefühl sagt mir, es ist mein Haus. Ich sollte es nicht verlassen. Dies ist mein Besitz. Ich sollte mich daran erfreuen.

Die Gefühle stimmen nicht immer mit dem Verstand überein. Es gibt einen Konflikt zwischen dem Verstehen und dem Fühlen, dem Verstand und den Emotionen. Wenn wir uns der spirituellen Meditation zuwenden, sollten wir darauf achten, dass dieser Konflikt zwischen dem Verstehen und dem Fühlen nicht stattfindet. Wir müssen in uns eine allumfassende Sichtweise entwickeln. Das Meditationsobjekt sollte uns einerseits emotional zufrieden stellen und sollte uns andererseits in seiner Beschaffenheit und Struktur klar sein.

Wenn ihr auf ein Objekt meditiert, muss euch klar sein, woran ihr denkt. Manchmal hat man viel Freude an einem Sinnesobjekt und man glaubt, es sei das beste Meditationsobjekt und man möchte sich darauf konzentrieren, weil es Zufriedenheit bringt. Könnte es problematisch werden, wenn man sich auf ein Sinnesobjekt konzentriert? Wenn ja, wodurch könnte es Schwierigkeiten geben? - Man sollte seinen Geist vollständig auf ein Objekt konzentrieren, da sonst nur die Sinnesorgane befriedigt würden.

Einerseits ist es richtig, sich auf ein Objekt zu konzentrieren, das uns zufrieden stellt. Doch ich sagte nicht, dass die Qualität eines Meditationsobjektes lediglich dazu dient, Zufriedenheit zu erzeugen. Es sollte auch ein Objekt sein, das unser Denken vollständig ausfüllt. Diese Bedingung ist nicht leicht zu erfüllen.

Kann ein Mensch ein Objekt sein Leben lang lieben? „Ich habe dieses Objekt der Zuneigung erwählt. Werde ich an diesem Objekt bis zu meinem Tode hängen, ohne dass sich meine Konzentration bzw. Zuneigung ändert?“ Niemand kann dies versprechen. Aus welchem Grund auch immer, werdet ihr eines Tages von diesem so genannten Objekt der Zuneigung angeekelt sein. Jeder kennt den Grund für solche Möglichkeit. Der Sohn kann sich vom Vater lossagen und umgekehrt. Der Mann kann sich von seiner Frau zurückziehen. Alles ist möglich. Unter bestimmten Bedingungen werden Dinge geliebt; eine bedingungslose Liebe gibt es nicht.

Sinnenfreuden werden durch verschiedenerlei Faktoren ausgelöst, doch das Meditationsobjekt sollte euch bedingungslos zufrieden stellen und kein ‚wenn dann‘, ‚aber‘ oder ‚während‘ vorausschicken. Solche Phrasen sollten bei der Konzentration auf ein Objekt für eine lebenslange Sicherheit und Erleuchtung keinen Eingang finden. Das Meditationsobjekt sollte nicht allein die Gefühle und Emotionen zufrieden stellen, aber auch nicht unsere Aufmerksamkeit ablenken. Das gewählte Objekt ist für immer alles.

Beide Bedingungen sind nur schwer zu erfüllen. Der beste Freund kann nicht für immer der beste Freund bleiben. Ihr könnt keine Garantie dafür erwarten, dass ihr für immer unzertrennlich bleibt. Es gibt keine immerwährende Beziehung in dieser Welt, dies gilt nicht einmal für die Beziehung zwischen Mann und Frau. Es gibt nirgendwo permanente Beziehungen. Aus irgendeinem Grund können sich Dinge wieder voneinander trennen. Wenn dies der Fall ist, welches Sinnesobjekt kann zu Meditationszwecken ausgewählt werden? Die Auswahl eines Sinnesobjektes birgt in sich eine Gefahr, denn es wird euch dazu zwingen, eure Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu lenken, wenn ihr durch übermäßigen Genuss oder Nichtanwendung nach einiger Zeit dessen überdrüssig werdet. Wir können nicht einmal jeden Tag das gleiche Essen zu uns nehmen. Wir brauchen Abwechslungen in unserer Speisekarte. Was geschieht, wenn wir jeden Tag das Gleiche essen? Man wünscht sich eine kleine Abwechslung. Wir brauchen ein anderes Objekt. Die Menschen gehen verschiedenen Dingen nach, denn kein Objekt ist vollkommen. Doch ist es für jeden Wahrheitssucher und jeden Yogaschüler notwendig, sich davon zu überzeugen, dass das Meditationsobjekt ein vollkommenes Objekt und nicht nur irgendein Objekt in der Welt ist. Andererseits wandert der Geist von einer Sache zur anderen. Warum sollte er dies nicht tun, wenn ihm klar ist, dass es auch noch andere Dinge gibt?

Wie kann man ein Objekt als alle Dinge betrachten? Im achtzehnten Kapitel erwähnt Shri Krishna drei Bewusstseinsformen, drei Formen des Wissens und des Verstehens. Die Wahrnehmung, die jemanden an etwas Endlichem festhalten lässt, so als wäre es ein seelenhaftes Objekt der Liebe, ist die Schlimmste der Form des Bewusstseins. Dies ist die niedrigste Wissensform, die jemand haben kann. Doch es gibt eine höhere Form des Verstehens, wo man in der Lage ist, die Beziehungen zwischen verschiedenen organischen Dingen einzuschätzen. Es geht dabei nicht nur darum, dass jemandem das eigene kranke Kind Leid tut, sondern man fühlt sich auch mit dem kranken Nachbarskind verbunden. Man möchte niemanden leiden sehen. Es geht nicht nur darum, dass jemanden die eigene Familie Leid tut, sondern man möchte, dass niemand leidet, da alle Menschen gleich sind. Alle Dinge sind miteinander verbunden. Die Menschheit ist eine Konzentrationsgröße. Wir sind nicht nur mit unserer kleinen Familie verbunden, nicht nur mit unserem Bundesland oder unserem ganzen Land. Die gesamte Menschheit ist eine Familie. Wir sind Mitglieder der Familie der Menschheit, der ganzen Welt. Dies liegt daran, dass alles mit allem Anderen im göttlichen Schöpfungsprozess verbunden ist, so wie die Gliedmaßen des Körpers mit allen anderen Gliedern des Körpers verbunden sind.

Dieses Wissen, das an der Verbundenheit aller Dinge untereinander festhält, ist, wie Shri Krishna sagt, ein höheres Wissen. Doch das höchste Wissen ist etwas ganz anderes. Dieses Wissen kennt ein Sein, aus dem sich niemand wegstehlen kann. Alle sind in dieses Sein eingeschlossen. All die Flüsse finden sich im Ozean wieder, doch sie sind in dem Gewässer nicht voneinander getrennt.

Genauso verhält es sich mit der Wahl des Meditationsobjektes. Man liebt es wie das eigene Kind. Einige Devotees haben ein Verhalten entwickelt, das als vatsalya bhava bekannt ist. Es ist ein Verhalten, so als würde das Gottesideal auf das eigene Kind übertragen sein. Ihr mögt Gott in euerem Kind sehen. Versetzt euch in die Lage des Vaters dieses kleinen Kindes, das für ihn Rama, Krishna oder Christus ist. Seht diese Heiligen wie lebendige Körper. Ihr habt ein Symbol. Die Menschen umarmen Bilder, Gemälde von Krishna oder Christus. Sie berühren das Kreuz, das um ihren Hals hängt, mit ihren Lippen. Dies bereitet eine große Freude. Ihr umarmt Gott durch ein Symbol, ein Idol, ein Kreuz, eine gemeißelte Marmorfigur, Metallfigur oder schematische Darstellung. Die Menschen verehren ihr Idol, hängen es um den Hals, behüten es geheimnisvoll und sind glücklich und zufrieden, dass es bei ihnen ist.

Oder ihr habt auch so ein ehrerbietiges Gefühl, wie Bhishma gegenüber Shri Krishna hatte. Die Liebe Bhismas zu Krishna war nicht sentimental oder von Begeisterung erfüllt wie bei den Gopis gegenüber Krishna. Er liebte Krishna als den Meister des Universums, als die große Macht, als die unbeugsame Energie, die als Inkarnation des Absoluten herabgestiegen war. Das war das bhava [4] von Bhishma, der Gott als den absoluten Vater betrachtete, der der Schöpfer des Kosmos ist. Dieses Verhalten wird als aishvarya pradhana bhakti bezeichnet, d.h., Gott wird in seiner Kraft und Pracht geliebt. Ramanuja, Madhva und die acharyas befürworteten eine Liebe zu Gott, die als aishvarya pradhana bhakti bezeichnet wird, d.h., die Hingabe kommt durch die Wahrnehmung der Stärke, der Pracht und der Macht Gottes. „Großer Meister, du bist allmächtig, großer Vater, du bist mein Ein und Alles.

Ihr könnt Gott als eure Liebe des Herzens ansehen, was normalerweise außerordentlich schwierig ist. Dies bezeichnet man als madhurya pradhana bhakti, wo man mit der Süße der Liebe verschmilzt. Beim aishvarya pradhana bhakti wird die Größe der Allmacht bewundert, und hier hingegen wird die Süße, der Geschmack, die Zärtlichkeit der außerordentlichen Gegenwart berührt. Gott ist wie Honig. Im Süden Indiens lebte ein Heiliger, der vor Freude hochsprang und der Gott mit keinem anderen Name als ‚Honig‘ rief – „oh, Honig, oh Honig! Oh Honig, durchflute mich. Oh Honig komm! Ozean des Honigs überschwemme mich, ich werde dich trinken! Oh glückseliger Honig, komm!“ Wenn ihr euch so gut wie verrückt vor Ekstase in der Liebe zu Gott fühlt, könnt ihr diesen Zustand nicht ausdrücken. „Oh mein Geliebter, du bist gekommen!“ Danach schließt sich euer Mundwerk, denn ihr wisst nicht, wie ihr dieses Gefühl in Worte kleiden könnt, weil dieser Exzess der Liebe einfach euer Herz bricht. In diesem Augenblick fehlen euch die Worte. Ihr schweigt still in der Stille der Glückseligkeit.

Romeo sieht Julia und Julia sieht Romeo. Die Gopi sehen Krishna und Krishna tanzt im Kreis des rasa. Sterbliche können deren Bedeutung nicht erfassen. Die Freude von madhura rasa [5] ist die absolut menschenmögliche Gefühlsspitze.

Seid ihr in der Lage, euer Meditationsobjekt in dieser Weise wahrzunehmen: „Oh, mein teurer Honig komm!“? Werdet ihr es so ausdrücken oder werdet ihr sagen, dass es sich nur um einen Punkt an der Wand, eine Rose, ein Bild, ein Idol oder den lingam [6] handelt? Denkt ihr auf diese Weise? Ihr mögt fragen: „Warum sollte ich einen lingam oder ein murti [7] lieben, der aus Metall oder Holz besteht?“ Wenn ihr so denkt, dann kann euch die Meditation nichts bringen.

Wenn ich euch liebe, liebe ich dann eure Knochen, euer Fleisch oder eure Nase? Was liebe ich? Wenn ich euch sage, dass ich mich freue euch zu sehen, was sehe ich dann? Ich sehe etwas in euch: das ‚Du‘, bei dem es sich nicht um ein Konglomerat von Fleisch und Knochen handelt. Auf diese Weise solltet ihr auf das Metallstück, ein Bild oder eine Zeichnung schauen, wenn ihr zufrieden und voller Freude durch die Betrachtung eures Meditationsobjektes seid. Es ist pulsierendes Leben, lebendig.

Wenn ihr in der Lage seid, dass Objekt richtig auszuwählen, dann könnt ihr es mit jedem Gefühl erfüllen. Es ist wie euer Kind, euer Meister, euer Ehemann, eure Ehefrau, euer Freund oder Vater. Es kann alles Mögliche sein, vorausgesetzt ihr stellt eure Gefühle auf das Objekt ein, das zu eurem alles-in-allem wird. Das Objekt repräsentiert die kosmischen Mächte. Viele Leute sagen, dass Krishna eine Konzentration der vollkommenen Mächte des Kosmos ist. Ein Sonnenstrahl, der richtig durch eine Linse konzentriert wird, kann die gesamte Energie der Sonne bündeln. Aus diesem Grund konnte Krishna eine kosmische Form auf sich konzentrieren.

Das Meditationsobjekt ist ein konzentrierter Fokus auf die ganze Struktur des Universums. Um ein Beispiel zu geben, wenn ihr irgendeinen Teil meines Körpers berührt, habt ihr meinen ganzen Körper berührt, obwohl ihr vielleicht nur einen Zeh berührt habt. Der Zeh leitet die Botschaft an den übrigen Körper weiter. Das kleine Objekt steht nicht für sich allein, sondern es repräsentiert die Schöpfung als Ganzes, weil sich das Universum selbst in einem Atom wieder findet.

So, wie man den Ozean durch jeden Fluss erreicht, einen Platz auf jedem Weg erreicht oder jeden Platz in allen Richtungen mit einem Flugzeug erreicht, so kann man das Universale Ganze durch jedes mögliche Symbol, mit dem man sich beschäftigt, erreichen, denn jedes Symbol repräsentiert das Ganze.

Nun gut, intellektuell habt ihr verstanden, dass jedes Objekt so gut wie jedes andere ist; wissenschaftlich betrachtet, repräsentiert es all die Dinge in der Welt. Die ganze Schöpfung ist in jenem Objekt vereint, doch könnt ihr es lieben? Ihr müsst es als den Konzentrationspunkt der ganzen universalen Macht verstehen, und ihr müsst es auch lieben können. Ihr könnt es nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht betrachten.

Stellt euch eine Frau vor, die vor Sorgen weint. Sie hat Kummer; die Tränen fließen. Ihr Ehemann ist Wissenschaftler. Er kommt angelaufen und möchte ein wenig von ihrer Tränenflüssigkeit haben, denn er möchte untersuchen, woraus diese Tränenflüssigkeit besteht. Sie sagt: „Ich weine, und du willst mich wissenschaftlich untersuchen?“ Schau auf das Verhalten dieses Mannes gegenüber den Gefühlen seiner Frau. Er sollte seiner weinenden Frau gegenüber mehr Gefühl zeigen; er ist nur an der Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit interessiert, die er im Labor analysieren möchte. Er ist herzlos und ein Dummkopf.

In ähnlicher Weise, wie ihr euch mit all eurem Verständnis über die Natur des Meditationsobjektes auf einen Punkt konzentriert, den das ganze Universum repräsentiert, seid ihr nicht in der Lage, eure Gefühle darüber zu ergießen: „Es ist nur ein Lingam, ein Kreuz oder ein Bild; wie kann ich das lieben?“ Es ist für euch notwendig, dieses Objekt so zu lieben, wie ihr alles Andere in der Welt liebt.