Der Aufstieg des Geistes

 
 
   22 Das Gesetz, das das Leben bestimmt

Die wichtigste Frage, die uns fast jeden Tag beschäftigt, ist die, wie wir mit unserer Situation als menschliche Wesen in der Welt fertig werden können. Die Umstände des Menschen sind sehr eng mit dem verbunden, was wir tun, und mit dem, was wir noch tun müssen. Und es fällt uns nicht leicht herauszufinden, was für uns tatsächlich das beste ist. Wir irren uns in dem, was wir für uns als das beste erachten und leiden dann konsequenterweise unter unserem Fehler. Der Grund für diese Fehlentscheidungen liegt darin, daß wir nicht kompetent genug sind, die verschiedenen Faktoren zu beurteilen, die das Ergebnis einer Handlung bilden. Um es kurz zu fassen: Der Mensch leidet darunter, daß er die Gesetze des Lebens nicht kennt. Er muß lernen, wie er in jeder entsprechenden Situation zu handeln hat.

      Die meisten Menschen leiden auf Grund der falschen Vorstellung, daß sie durch “Eigendurchsetzung” Erfolg haben könnten. In Wahrheit ist es jedoch genau umgekehrt. Die falsche Vorstellung, daß Eigendurchsetzung zum Erfolg führen wird, beruht auf der Unwissenheit der Tatsache, daß es auf dieser Welt auch noch andere Individuen gibt, die sich gleichermaßen durchsetzen können, womit sie der Durchsetzung irgendeines anderen Individuums oder Handlungszentrums entgegenstehen. Niemand hat jemals gesiegt, indem er “andere” mit seinem Ego konfrontiert hat. Jedem Egoismus wird von außen mit einem gleich starken Egoismus begegnet. Wenn man ständig den eigenen Standpunkt vertritt, sei dies im Handeln, in der Beweisführung oder gar im Empfinden, dann ruft man Opposition hervor. Doch das Gesetz des Lebens heißt Kooperation. Die Selbstdurchsetzung widerspricht den Gesetzen der Natur und wird letzten Endes als Verlierer dastehen. Jeder Egoismus im Denken, Reden oder Handeln löst in anderen Kraftzentren in der Welt eine ähnliche Handlung aus. In einem solchen Zustand zu leben wird mit Recht Samsara genannt, wobei es sich hierbei um eine Erfahrung handelt, in der unaufhörlich miteinander kämpfende Elemente aufeinander reagieren und dabei Ratlosigkeit und Leiden verursachen. Das Heilmittel gegen Samsara ist die Kunst der Anerkennung anderer, die im Gefüge der Schöpfung die gleiche Anerkennung für ihre Existenz und ihre Gefühle fordern wie wir. Wann immer man etwas sagt oder tut, sollte man es vom Standpunkt des anderen aus beginnen, der vor einem sitzt, der zuhört und sich mit dem auseinandersetzt, was man tut. Die Wahrscheinlichkeit, damit im Leben Erfolg zu haben, wird weitaus größer sein, als durch irgendein anderes Verhalten, das man für wirksamer erachten mag.

        Wie sollte man sich beispielsweise verhalten, wenn man von einem Feind angegriffen wird? Sollte man sich behaupten oder nicht? Auch hier sollte die zu treffende Entscheidung von der Natur der Konsequenzen abhängen, die dem Schritt, den man unternimmt, folgen würden. Die Selbstlosigkeit einer Handlung wird anhand des Ausmaßes beurteilt, in dem diese der Verwirklichung eines höheren Wertes im Leben dienlich ist. Um herauszufinden, ob ein Wert höher ist oder nicht, muß er sowohl in seiner Quantität als auch in seiner Qualität betrachtet werden. Nützt er quantitativ der größtmöglichen Anzahl an Menschen? Und neigt er qualitativ in Richtung Verwirklichung der höchsten Wirklichkeit, die man sich als erreichbar vorstellen kann? Oder anders gesagt: Inwieweit ist er spiritueller Natur? Die Annehmlichkeiten einer kleinen Gruppe mögen dem Wohl einer größeren Gruppe geopfert werden. Dies ist jedoch nicht der einzige Bezugsrahmen für einen wirklichen Test. Er muß auch dem Ausmaß des in ihn verwickelten spirituellen Wertes gerecht werden. So können etwa jene Werte, die mit der Existenz eines spirituellen Genies, eines Weisen oder Heiligen verknüpft sind, nicht für eine große Anzahl von Menschen geopfert werden, die gegen ihn stimmen. In diesem Fall kann der quantitative Test nicht angewendet werden. Auch wenn es nur eine Sonne gibt, so übertrifft doch ihr Licht und ihre Energie den Lichtwert von tausend Glühwürmchen bei weitem. Der qualitative Test ist stets ausschlaggebender als der quantitative. Der höchste Atman (das Selbst) ist mehr als die quantitative Anhäufung des gesamten Universums.

        All dies macht es dem gewöhnlichen Menschen in seinem Alltag nicht gerade leicht, zu entscheiden, welche Handlung gerade die beste ist. Hierfür bedarf es einer höheren Verständnisform, Viveka genannt. Wenn der qualitative und der quantitative Test ergeben, daß ein Angriff gegenüber dem Feind notwendig ist, muß dieser Schritt als richtig erachtet werden. Man kann einen anderen jedoch nicht nur deshalb angreifen, weil man ihn womöglich nicht leiden kann. Dies entspräche der gewöhnlichen unspirituellen Einstellung, die dem persönlichen Verlangen und dem Ego entspringt. Man muß den spirituellen Test anwenden, wobei der quantitative Test eigentlich nur als ein Aspekt des spirituellen Entscheidungsrahmens zu sehen ist. Der letztendlich entscheidende Faktor ist das Dharma, das spirituelle Gesetz des Universums.

        Jede Handlung ist eine Bemühung, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Der Mensch existiert nicht nur einfach so, vielmehr neigt er ständig dazu, etwas anderes zu werden. Der Impuls zur Handlung ist in die Beschaffenheit der eigenen Individualität eingebettet. Handlung ist demnach ein Ausdruck der Konstitution des Individuums. Und unser gesamtes Leben ist Handlung. Leben und Handlung bedeuten heutzutage ein und dasselbe. Das Verlangen danach, Beziehungen mit äußeren Erscheinungen herzustellen und zu pflegen, ist die Lebensquelle aller Handlungen. Das begehrende Individuum ist sich nicht immer über die Natur des begehrten Objekts im klaren. Diese Verwirrung im menschlichen Geist endet im Vollzug unkluger Handlungen gegenüber den äußeren Objekten. Handlungen sind in ihren Motiven einseitig, da der Handelnde im allgemeinen eine eingeengte Sicht hat, die ihm nur einen gewissen Handlungsspielraum erlaubt. Dieser Kurs wird in Unkenntnis der Handlungsergebnisse eingeschlagen, die mit der Struktur des Universums als Ganzem zusammenhängen. So wie ein guter Arzt bei der Verschreibung eines Medikaments außer seiner heilenden Wirkung auch seine möglichen Nebenwirkungen berücksichtigen muß, sollte ein Experte im Umgang mit den Lebenssituationen in seinen Handlungen die verschiedenen Reaktionen kennen, die über die Errungenschaft des augenblicklich anvisierten Ziels hinaus noch hervorgerufen werden können. Sobald die Gedanken auf das in Sichtweite befindliche empirische Ergebnis konzentriert sind, ist man sich dieser Nebenwirkungen für gewöhnlich nicht mehr bewußt. Wenn sich das Individuum nach der Befriedigung eines Wunsches sehnt, hat es nur eine grobe Vorstellung von der Art des Aufwands, der zur Erfüllung des Wunsches notwendig ist. Es weiß jedoch nicht, daß die Quelle dieser Handlungen dabei verschiedene andere Lebensaspekte stören kann und am Ende womöglich eine Reaktion in Form von Leid und Schmerz heraufbeschwört, da es vorübergehend nämlich so aussehen mag, als würde die gewählte Initiative zur Befriedigung des eigenen Verlangens führen. Dies ist auch der Grund dafür, warum die Welt sowohl mit Freuden als auch mit Leiden erfüllt ist; mit den vorhersehbaren Wunschbefriedigungen und den unvorhergesehenen Ergebnissen. Ein Individuum wird aus zwei Gründen in eine bestimmte Umwelt hinein geboren: (1) entweder auf Grund eines vergangenen Wunsches danach, unter diesen Umständen zu leben, oder aber (2) auf Grund der unbekannten Konsequenz von Begierden. Die Leiden der Welt sind die Reaktionsformen fehlgeleiteter Handlungen, die von ihren Bewohnern früher einmal ausgeführt wurden. Die Welt ist eine Bezeichnung für den Ort, der die Situation widerspiegelt, in der die Individuen die Früchte ihrer eigenen Wünsche und Handlungen erfahren. Sie ist der Schatten, der von den Wünschen ihrer Inhalte geworfen wird, und entspricht diesen Wünschen somit in gewisser Weise. Wir sind dazu aufgefordert, Handlungen in Nichterwartung ihrer Früchte auszuführen, da sich die Früchte nicht in unserer Hand befinden, sondern von dem allgemeinen Gesetz des Universums bestimmt werden, das wir als individuelle Handlungsquellen weder richtig verstehen noch befolgen können.

        Die angesammelten Wirkungen aus den Handlungen, die die Individuen in all ihren vergangenen Leben ausgeführt haben, sind in ihrer subtilsten und innersten Schicht in einen konzentrierten Rückstand von Potentialen verpackt, die die kausale Welt bilden. Die Anhäufung aller vergangenen Handlungen, die somit in latenter Form je nach individuellem Fassungsvermögen abgespeichert sind, wird als Sanchita Karma (angehäufte Handlung) bezeichnet. Dieses potentielle Bündel wird von jedem Jiva[27] in all seinen Inkarnationen ausgetragen und bis zur Errungenschaft von Moksha Befreiung niemals zerstört. Der bestimmende Faktor in jeder Inkarnation des Jiva ist die Charakteristik jenes Anteils des Sanchita Karma, der als spezifische Mitgift abgegeben wird, um in einer geeigneten Umgebung ausgelebt werden zu können. Dieser abgesonderte Teil des Sanchita Karma wird Prarabdha Karma (das, was begonnen hat, Wirkung zu erzeugen) genannt. Nachdem der Jiva durch die Kraft des Prarabdha in eine Inkarnation hinein geboren wird, führt er in seinem neuen Leben weitere Handlungen aus, Agami Karma genannt, deren Ergebnisse dem noch nicht verbrauchten Anteil des Sanchita Karma hinzugefügt werden. Dies weist darauf hin, daß das Sanchita Karma solange nicht verbraucht werden kann und die Serie der Wiedergeburten demzufolge solange nicht beendet werden kann, bis der Jiva damit aufhört, dem alten Sanchita neues Karma hinzuzufügen. Die Technik, Handlungen auszuführen, ohne dabei Rückwirkungen auszulösen, wird Karma-Yoga genannt. Die Lehre des Karma-Yoga, und besonders jene, die in der Bhagavadgita verkündet wird, ist ein Kommentar zum Prinzip der universellen Aktion und Reaktion, und somit der Weg zur Erlösung aus deren Fesseln.

        Die aus Handlungen resultierenden Kräfte bestimmen die eigene Zukunft. Patanjali sagt in seinen Yoga-Sutras, daß die Gesellschaftsschicht, in die man hinein geboren wird, sowie die Lebensspanne, die einem zur Verfügung steht, und die Art der Erfahrungen, die man durchschreiten muß, allesamt vom Restpotential vergangener Handlungen bestimmt werden. Dieses Potential wird in diesem oder einem späteren Leben aktiv. Ein berühmter Vers verkündet: “Das Schicksal, die Handlungen, der Wohlstand, die Erziehung und der Tod eines Menschen sind allesamt bereits im Mutterleib festgelegt.” Menschliches Bemühen spielt dabei eine relative Rolle und bildet einen Teil dieses universellen Gesetzes der Selbstvollständigkeit. Die unpersönliche Wahrheit äußert sich dabei in Form der menschlichen Bemühungen, wenn sie in die Formen der Persönlichkeit und der Individualität gegossen wird. Die Lehre des Karma ist somit kein Glaube an den Fatalismus, wie oftmals fälschlicherweise vermutet wird, sondern die Verkündigung eines wissenschaftlichen Gesetzes, das ebenso wie das Prinzip der Schwerkraft überall im Universum unerbittlich und unparteiisch wirkt.

        Oft sieht es danach aus, als bedürften wir eines permanenten Ansporns von außen, der unseren dahinwelkenden Geist aufrüttelt und die Flamme mit Öl nährt. Statt dessen sollten unsere Bemühungen jedoch vom wahren Geist des Karma-Yoga angetrieben werden. Dies bedeutet, daß wir, sobald wir einen bestimmten Standpunkt einnehmen, auch alle anderen möglichen Blickwinkel berücksichtigen sollten und uns nicht nur auf die eine oder andere Seite beschränken, die dem Auge gerade sichtbar ist. Die Ursachen für die Unzulänglichkeiten einer Person, einer Familie, einer Institution oder einer Nation entziehen sich weitgehend unserem Sehvermögen, da wir die Wahrheit meist nicht ans Tageslicht des Bewußtseins kommen lassen wollen, obwohl sie vielleicht sehr einfach zu verstehen sein mag. Auch hierfür kann es verschiedene Gründe geben, wie etwa die Unfähigkeit zu genauer Untersuchung, blindes Vertrauen, persönliche Vorurteile oder eine Mischung aus verschiedenen Faktoren, die von der mangelnden Objektivität des Durchschnittsmenschen nicht aus dem komplexen Netzwerk extrahiert werden können, aus dem das Leben besteht. In dieser Struktur der Schöpfung ist es schwer, das eigene Gleichgewicht und den eigenen Geistesfrieden aufrechtzuerhalten. Ein Teil unserer Sorgen, Leiden, Absichten und Enttäuschungen kann wohl auf diese offenkundigen Tatsachen zurückgeführt werden. Das Hauptproblem jedoch, mit dem man in allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen konfrontiert wird, ist die Verwechslung von Prinzipien mit Persönlichkeiten. Hier begegnen wir einem soziologischen Ableger der berühmten metaphysischen Lehre des Adhyasa[28], und unsere Glückseligkeit hängt von dem Ausmaß ab, in dem es uns gelingt, das Prinzip aus der Persönlichkeit zu befreien, wobei es egal ist, wo und auf welchem Lebensweg wir uns auch immer befinden mögen.

        Swami Sivanandas Ansichten zur Eigenbemühung können folgendermaßen zusammengefaßt werden:

        Ein Tier, das mit einem Seil an einen Pfahl gebunden ist, hat die Freiheit, sich innerhalb des Kreises zu bewegen, der vom Radius dieses Seiles festgelegt ist. Über diese Grenze hinaus hat es jedoch keine Freiheit; es kann sich nur innerhalb dieses festgelegten Raumes bewegen. Die Lage des Menschen ist diesem Beispiel sehr ähnlich. Sein Verstand und seine Unterscheidungskraft erlauben ihm innerhalb ihres Spielraums einen bestimmten Grad an Freiheit. Das logische Denkvermögen entspricht jedoch dem Seil, mit dem das Tier gebunden ist. Unser Verstand ist nicht unbegrenzt, sondern von der Natur der Kräfte umschrieben, die den Körper regieren, durch den er funktioniert. Solange der Mensch im Bewußtsein der Persönlichkeit und Individualität lebt, ist er für seine eigenen Taten auch verantwortlich. Da diese Handlungen mit dem Gefühl der Urheberschaft verbunden sind, bezeichnet man diese als sogenannte “frische Taten” oder Kriyamana-Karmas. Sollten jedoch Situationen eintreten, in denen der Mensch seine Verstandeskräfte nicht mehr einsetzen kann, wie etwa, wenn er nicht im Körperbewußtsein weilt oder sich irgend etwas ohne seine bewußte Einmischung ereignet, dann ist er nicht dafür verantwortlich, da es sich in diesem Fall nicht um “frische Taten”, sondern um die Früchte einer oder mehrerer vergangener Handlungen handelt. Obwohl jede Erfahrung in einem gewissen Ausmaß mit unbekannten Kräften zusammenhängt, bildet ihre Verbindung mit dem eigenen Bewußtsein die Bedeutung einer “frischen Tat”. Bemühung ist nichts anderes als das Bewußtsein einer Eigeninitiative, wobei es egal ist, wer oder was einen letztlich zur Ausführung dieser Handlung angetrieben hat. Es ist nicht die Handlung an sich, die darüber entscheidet, ob sie ein Kriyamana-Karma ist oder nicht, sondern die Art und Weise, in der sie ausgeführt wird. Die Handlungen eines Jivanmukta[29] sind kein Kriyamana-Karma, da sie in keiner Weise mit irgendeinem persönlichen Bewußtsein verbunden sind. Vielmehr handelt es sich dabei um spontane Funktionen der verbliebenen Schwungkraft von vergangenen bewußten Bemühungen, die nun nicht mehr mit dem Bewußtsein einer Urheberschaft gekoppelt sind. Erfahrungen, die sich einem aufdrängen oder von selbst kommen, ohne daß sie der Erfahrende willentlich herbeigeführt hat, sind nicht als wirkliche Handlungen zu betrachten. Eine Erfahrung, die nur vom Prarabdha verursacht wurde, ruft keine neuen Ergebnisse hervor, sondern erschöpft sich durch die Erfahrung. Ein Kriyamana-Karma hingegen neigt dazu, eine erneute Erfahrung in der Zukunft zu erzeugen, da es mit dem Gefühl der Urheberschaft verbunden ist.

        Manchmal können sich die ursächlichen Faktoren von Handlungen auch auf andere Weise manifestieren als durch das Bewußtsein des Erfahrenden, nämlich durch einen äußeren Auslöser oder durch Ereignisse, die ihre Ursachen jenseits des menschlichen Verständnisses haben. Selbst wenn man von einer anderen Person dazu getrieben wird, eine bestimmte Handlung auszuführen, ist dies nur die Auswirkung eines Aspekts der eigenen Verdienste in bezug zu den Verdiensten des anderen. Im Zustand der spirituellen Verwirklichung verebben derartige Anregungen von außen. Alle Bemühungen enden erst mit der Selbsterkenntnis, die ja das Ziel aller Bemühungen ist, und nicht eher. Solange sich der Mensch jedoch des Körpers und der Welt bewußt ist, wird er sich auch zwangsläufig weiterhin darum bemühen, sein angestrebtes Ziel zu erreichen. Das Bewußtsein der Mühe ist die natürliche Begleiterscheinung des Bewußtseins der Unvollkommenheit. Der Mensch, wie er ist, kann nicht anders, als sich so lange weiter zu bemühen, bis er sein Ziel erreicht hat. Die Frage des freien Willens und der Notwendigkeit ist dabei relativ und verliert ihre Bedeutung im Morgendämmerung der aufgehenden Weisheit des Selbst.

        Das Gesetz des Karma belästigt uns nicht mehr, wenn es uns gelingt, das Bewußtsein der Individualität zu überwinden und aus dem Blickwinkel der Struktur des Universums als einer Gesamtheit heraus zu denken, zu empfinden und zu handeln. Es kann nur dort zu Auswirkungen von Reaktionen kommen, wo ein lokalisiertes Zentrum existiert, das die Reaktion empfangen kann. Da das unpersönliche Bewußtsein kein solches Zentrum ist, können die Reaktionen des Karma auch kein Ziel finden, in dem sie sich in Form einer Erfahrung verwirklichen können. Dies ist ein guter Hinweis, der uns lehrt, daß wir auch in unseren Alltagsaktivitäten unbeeinflußt von den rückwirkenden Kräften der äußeren Umwelt verbleiben können, da es dort, wo es keinen selbstzentrierten Gedanken gibt, auch die Erfahrung von Rückwirkung nicht geben kann. Diese Regel gilt nicht nur für den Siddha (den Vollkommenen), sondern auch für den Sadhaka (den Strebenden), da das Gesetz des Karma zugleich das Gesetz der Natur ist, das niemanden von seinen Begrenzungen befreit und auch niemanden aus seinen Begünstigungsklauseln ausschließt. Karma ist demnach nicht nur das Gesetz der individualistischen Handlung, sondern auch das Gesetz der Wirkungsweise des Universums in seiner ewigen Vollständigkeit.