Der Aufstieg des Geistes

 
 
   16 Ziele der menschlichen Existenz 2

Einige der heutzutage führenden Wissenschaftler vertreten die Ansicht, daß das Universum seinen Ursprung in einer riesigen und unbegreiflichen Einzelzelle hatte, die sich aufspaltete, was zu zwei Teilen führte, die sich dann ihrerseits in unzählige, individuelle und in alle Richtungen sich zerstreuende Kopien ihrer selbst aufteilten. Eine weitere Theorie besagt, daß vor abermillionen von Jahren ein unvorstellbar heiß kochendes Zentrum einer homogenen, seit jeher existierenden Substanz den Kern des Universums bildete, in der keine Unterscheidung in physikalische Elemente, Moleküle, Atome und dergleichen vorgenommen werden konnte. Diese furchterregende Temperatur sei im Verlauf von Jahrmillionen schrittweise abgesunken, wobei sich die inneren Bestandteile dieser universellen Masse zu konkreteren Formen und Zentren verdichteten. Elektronen wurden ausgestrahlt und fügten sich in die unzählbaren Zentren ein, indem sie um je einen Kern kreisten und somit Atome formten. In dieser Weise wurden in dunkler und unvorstellbarer Vergangenheit alle Elemente im Universum geschaffen und ihre Funktionen und Rollen für alle Ewigkeit bestimmt. Man nimmt an, daß die allmähliche Weiterführung dieser schöpferischen und gestaltenden Aktivität des Universums schließlich zu einer Zerstreuung von Substanz und Energie sowohl innerhalb des Atoms als auch im Weltraum führen wird, und man glaubt, daß all dies auf das Herannahen einer Zeit hindeutet, in der die Energie des Universums durch seine gesamte Struktur hindurch gleichmäßig verteilt sein wird, was bedeutet, daß es dann keine Bewegung, keine Kraft, keine Aktivität und somit weder Licht und Wärme, noch Leben geben kann. Dies ist in der Tat eine unheilvolle Vorhersage für die Zukunft. Es gibt jedoch auch andere, die die Ansicht vertreten, daß sich das Universum irgendwie und irgendwo jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens wiederaufbauen wird und daß sich die im Raum verstreute Strahlung erneut in Elektronen, Atome und materielle Substanzen verdichten wird, die sich dann ihrerseits mit Hilfe ihrer Gravitationskraft zu Nebeln, Sternen, Sonnen und Galaxien formen könnten, so daß sich die Schöpfung und die Auflösung des Universums in alle Ewigkeit hin wiederholen werden.

        Diese Schlußfolgerungen der modernen Wissenschaft würden auf eine selbstgesteuerte und sinnvolle Aktivität des Universums hindeuten, die über niemals endende Äonen hinweg andauert. Genies der Wissenschaft wie Albert Einstein sind über die Existenz einer mysteriösen Größe, eines Mysteriums, gestolpert, das sie dazu bewegt hat, die Möglichkeit der Existenz eines kosmischen spirituellen Bewußtseins in Erwägung zu ziehen, das  dieses Drama des Universums sowohl in seinen gigantischen kosmischen Dimensionen als auch in seinen winzigen Einzelheiten spielt. Die mysteriöse Entdeckung der Wissenschaft, die “Einheitliche-Feld-Theorie”, versucht, die Konzepte von Raum, Zeit und Schwerkraft mit jenen der subatomaren Strukturen der Materie, die das elektromagnetische Feld bilden, zu vereinen, um so die Gesetze des äußeren Weltraums von Raum und Zeit mit den Gesetzen der inneren Struktur des Individuums und der materiellen Körper in einem einzelnen, universell anwendbaren Gesetz zu vereinigen. Diese These soll andeuten, daß das gesamte Universum von einem zentralen Gesetz regiert wird und daß das Kosmische und das Individuelle keine gesonderten Wirklichkeiten darstellen, sondern eins sind: “Tat Tvam Asi” - “Das bist du”, heißt es in den Upanishaden. Die Wissenschaft scheint hier die große Entdeckung der Upanishaden zu bestätigen, daß das Einzelne und das Universelle das gleiche sind, und daß Gravitations- und elektromagnetische Felder eine tiefere Wahrheit andeuten, nämlich ein zugrunde liegendes universelles Sein, in dem diese beiden wirksamen Aspekte nur als Zustände oder Bedingungen erscheinen. Das Universum ist ein allumfassendes Ganzes und wird als ein unteilbares, zentrales und elementares Feld erklärt, in dem jeder materielle Inhalt, sei dies die strahlende Sonne oder ein winziges Atom, wie eine kleine Welle im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum existiert. So sehen sich die Wissenschaftler der heutigen Zeit letzten Endes dazu genötigt, als endgültige Schlußfolgerung ihrer Erkenntnisse eine tiefere, hinter allem stehende Einheit des Universums zu akzeptieren. Wahres Wissen ist das Wissen vom “Sein”; und die Bestrebungen eines jeden sind nichts anderes als der konstruktive Kampf darum, dies zu erfahren. Der Grund dafür ist einfach: Der Mensch ist von den Bedingungen seiner eigenen Individualität begrenzt, wobei seine begrenzte körperliche Struktur und seine mentale Konstitution wiederum vom Gesetz des Universums kontrolliert und regiert werden. Es war der Physiker Niels Bohr, der verkündet haben soll, der Mensch sei sowohl Zuschauer als auch Handelnder im Drama der Existenz. Da der Mensch zu seinem Leidwesen ein Teil des Universums ist, das er zu verstehen versucht, und sein Körper und Geist aus der gleichen Substanz wie alles andere im Universum gebildet sind, ja mehr noch, da seine Persönlichkeit ein Teil des riesigen Phänomens des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums ist, kann er das Universum, in das er geboren wurde, nicht verstehen, da sich dieses nicht als Objekt der Gedanken und der Sinne “außerhalb” seines Seins befindet. Der Mensch ist ein untrennbarer Teil des Universums, woraus folgt, daß er es solange nicht begreifen kann oder irgend etwas darüber zu wissen vermag, bis er sich selbst kennt. Wer sein Selbst kennt, kennt das Universum. Die höchste Weisheit erwächst demnach aus der Erfahrung, daß der Mensch organisch mit dem Universum verbunden ist und daß es so etwas wie einen unabhängigen Menschen und Individualität nicht gibt, sondern einzig den universellen Organismus. In dieser universellen Erkenntnis transzendiert sich der Mensch selbst und begreift das Universum im Erkennen seiner selbst. Dies ist die überraschende Schlußfolgerung der gegenwärtigen Physik.

        Sowohl die Pflichten als auch der Charakter und das Verhalten einer Person werden von der Bedeutung bestimmt, die sie in ihrem eigenen Leben zu erkennen imstande ist. Oder besser gesagt, sie werden von dem eigenen Lebensziel bestimmt, das die letztendliche Absicht darstellt, auf deren Errungenschaft alle Aktivitäten des eigenen Lebens ausgerichtet werden. Dies würde bedeuten, daß die Art, in der man denkt, lebt und handelt, wie man sich anderen gegenüber verhält und wie die eigene Beziehung zur Umwelt ist, von der Bedeutung, die man in seinem eigenen Leben sieht, oder vom eigenen letztendlichen Lebensziel, abhängig sind. Obwohl es den Anschein haben mag, daß sich das Lebensziel, auf das man sich zubewegt, weit entfernt in der Zukunft befindet, muß nicht extra erwähnt werden, daß selbst der kleinste Schritt, den man im gegenwärtigen Augenblick in irgendeine Richtung unternimmt, völlig von den Regeln und der Bedeutung dieses angestrebten Zieles regiert wird. Wie aber ist es möglich, daß man verschiedene Menschen und Gruppierungen in der Welt vorfinden kann, die alle einen unterschiedlichen Charakter und verschiedene Verhaltensmuster in ihrem persönlichen und sozialen Leben zur Schau stellen? Es sollte klar sein, daß der Grund dafür mit Sicherheit in einer Verschiedenheit der Lebensziele zu finden ist, und es sieht so aus, als hätten die Ziele, für die die Menschen zu leben glauben, oder die Ziele, die sie für ihren letztendlichen Lebenssinn halten, scheinbar keine Verbindung miteinander. Obwohl schwer einzusehen ist, daß es für unterschiedliche Menschentypen verschiedene und vollkommen voneinander getrennte Lebensziele geben sollte, kann man täglich beobachten, daß die Menschen offenbar doch davon ausgehen, in ihrem persönlichen und sozialen Leben voneinander abweichende Ziele zu verfolgen. Vieles deutet auf Grund von unterschiedlichen Wünschen und andersgearteten Ansprüchen auf verschiedene Lebensziele hin, wobei diese nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben und oberflächlich betrachtet das eine keine signifikante Relevanz für ein anderes hat, geschweige denn in organischer Beziehung zu ihm steht.

        Anhand der zuvor bereits durchgeführten Analyse der wahren Lage der Dinge müßte es nun jedoch offensichtlich sein, daß die letztendlichen Lebensziele ebenso wenig wirklich voneinander verschieden sein können, wie die Naturgesetze für unterschiedliche Menschengruppen verschieden sein können. Eigentlich sollte von jedem denkenden und intelligenten Wesen die Schlußfolgerung akzeptiert werden, daß sich das Universum auf die Verwirklichung eines einzigen Zieles oder Zweckes zubewegt und hin entwickelt und daß sich seine Inhalte in Form der vielen Personen und Dinge, die seine Teile darstellen, somit  notwendigerweise an dieses allgegenwärtige Gesetz des Universums halten müssen, das jeden gleichermaßen regiert und die Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen, ja selbst die Gefühle, Gedanken und Handlungen eines jeden Individuums bestimmt, so daß in seiner organischen Verbundenheit alles eine eigene Wichtigkeit für die Erfüllung der kosmischen Absicht haben muß, die letztlich nur eine und absolut sein kann.

        Wie aber ist es dann möglich, daß die meisten Menschen dieses geheime Prinzip allen Lebens nicht erkennen und in ihrem Leben unterschiedlich denken, fühlen, sich verhalten und handeln? Der Grund ist wohl der, daß die Menschen ihr Bewußtsein im allgemeinen nur innerhalb des begrenzten Rahmens der Sinneswahrnehmung ausrichten können, der nur ein atomares und winziges Bruchstück jenes riesigen kosmischen Ganzen darstellt, zu dessen äußersten Enden die menschliche Sinneswahrnehmung nicht reichen kann. So begehen die Menschen den Fehler zu glauben, daß ihr begrenzter Kreis der Wahrnehmung die gesamte Wirklichkeit ist und daß das, was für andere wirklich und bedeutsam ist, nichts mit ihnen zu tun hat. Dies kommt daher, daß die kleinen “Kreise” unglücklicherweise auf Grund ihrer Selbstsucht und intensiven Eigendurchsetzung, die sie zu persönlichen Egos macht, voneinander getrennt sind, obwohl sie alle in dem großen “Kreis” des Universums enthalten sind, dessen “Kreisumfang nirgendwo und dessen Zentrum überall ist”. Als zusätzlich erschwerender Faktor kommt noch die Einschränkung des Bewußtseins auf die komplexe Struktur der Körper-Geist-Individualität mit ihren begrenzten Sinnesoperationen hinzu, die die Wirklichkeit nur innerhalb ihres eigenen isolierten Wahrnehmungskreises und ihrer Sinneswelt sieht, für deren Befriedigung sie ihr ganzes Leben hindurch unermüdlich arbeitet. Natürlich kann der Egoismus dieser personalisierten Lebenszentren in Konflikt mit anderen solchen Zentren geraten, da keines von ihnen in der Lage ist, über die Grenzen des eigenen Kreises hinaus zu sehen, so daß es unter den Menschen zu Reibungen, Spannungen oder Krieg kommen kann. Aber so ist das Leben. All dies ist das Unglück der heutigen Weisheit, die der Mensch so stolz und gerne zur Schau stellt.

        Die begrenzten Zentren von Persönlichkeiten oder Gruppen sollten deshalb unbedingt versuchen, über die Grenzen ihres eigenen Kreises hinaus zu blicken, um eine größere, zwischen allen Kreisen überall existierende Verbindung erkennen zu können, so daß ein jeder dieser unzähligen Kreise als ein Aspekt des einen universellen Ganzen oder als Brennpunkt für die Projektion der Lichtaspekte einer einzigen Vollkommenheit zu sehen wäre, die die absolute Wirklichkeit ist. Wenn man erkennen würde, daß die scheinbar vielen kleinen Absichten lediglich aufgefächerte Spektralwellen eines einzigen universellen Lichtes darstellen, das durch die Prismenkörper der verschiedenen Individualitäten, die die sogenannten Personen und Dinge zu sein scheinen, hindurch strahlt, dann gäbe es für die verschiedenen Menschentypen auch keine Vielzahl an Wirklichkeiten oder Lebenszielen mehr. Wenn diese Erkenntnis herauf dämmert und dieses Wissen reift, dann wird es möglich sein, Personen und Gesellschaften in einer bei weitem umfassenderen Atmosphäre von größerem Wirklichkeitsgehalt zu organisieren. Würde man diese Erkenntnis in die Praxis umsetzen, würde dies das Leben der Menschheit mit einem Schlag lebendig verändern und neu orientieren, womit angedeutet sein soll, daß das Aufgehen einer belebenden, erleuchtenden und wärmenden Sonne mit dem Licht der Einsicht in die wahre Bedeutung des Lebens schließlich doch noch eine Möglichkeit darstellen könnte.