Der Aufstieg des Geistes

 
 
   6 Gib dem Cäsar, was des Cäsars ist, und Gott, was      Gottes ist

 Das Problem des menschlichen Lebens ist in Wirklichkeit ein Problem des menschlichen Bewußtseins. Oder besser gesagt: Das Problem ist, daß der Mensch nicht begreifen kann, daß dies das Problem ist. Wissen und Handlungen sind die Früchte der Erziehung, und beide beziehen sich auf äußere Objekte. Das bedeutet, daß unsere Beziehung zu äußeren Dingen den Wert unseres Wissens und unserer Taten bestimmt. Dies deutet wiederum darauf hin, daß der Wert unserer Erziehung in der Bedeutung liegt, die unserer Beziehung zu den Objekten unseres Studiums anhaftet. Die gesamte Angelegenheit dreht sich um die Subjekt-Objekt-Beziehung. All unser Wissen und all unsere Bemühungen richten sich auf ein Ziel oder verfolgen eine Absicht. Sollte dieses Ziel verfehlt werden, der Zweck vergessen, das Subjekt vom Objekt getrennt, oder der Bewußtseinsinhalt vom Bewußtsein abgeschnitten werden, dann ist das Resultat offensichtlich. Und genau dies ist unseren Erziehungsmethoden und unserem gesamten heutigen Lehrsystem widerfahren. Wenn Wissen keinen Inhalt hat, was bleibt dann noch übrig? Bloße Worte? Inhaltsloses Wissen kann wohl mit Recht als sinnlos bezeichnet werden. Wie könnte ein Wissen dieser Art und Taten, die auf einem solchen Wissen basieren, etwas zum menschlichen Wohl beisteuern oder gar zu wahrem Wissen, Macht und Glück führen, nach denen die Menschheit letztendlich strebt?

        Es ist unmöglich, sich um die Lösung ultimativer Probleme zu bemühen, ohne sich auf fundamentale Prinzipien zu stützen. Dies bedeutet, daß man sich nicht völlig von der Notwendigkeit befreien kann, die Dinge philosophisch zu betrachten, und daß man nicht in der bequemen und falschen Vorstellung verweilen kann, daß Philosophie eine lyrische Theorie und ein unnützer Ausflug in unpraktisches Denken wäre. Philosophie ist keine bequeme Lehnstuhl-Beschäftigung, die dem weisen Alten für gewöhnlich von unerfahrenen Jüngeren angehängt wird, sondern formt die Wissenschaft der wahren Grundlagen der menschlichen Gesellschaft und des Lebens im allgemeinen.

        Die Dinge in der Welt sind nicht so einfach, wie es an der Oberfläche erscheint. Daß einige Leute Freunde und andere Feinde sind, daß einige Dinge gut und andere schlecht sind, daß einiges schön und anderes häßlich ist, ist das Ergebnis des leichtgläubigen Denkens eines Analphabetenverstandes. Derartige Beurteilungen basieren auf  einer falschen Einschätzung der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Bewußtsein und seinem Inhalt. An dieser Stelle ist es jedoch noch nicht ratsam, sich in diese Angelegenheit zu vertiefen, ohne sich zunächst einmal mit der Lage der Dinge vertraut zu machen, in der die Menschheit als Ganzes plaziert ist. In der Aitareya-Upanishad erhalten wir eine bildhafte Beschreibung dieses Sachverhalts, die, in eine für uns verständliche Sprache übersetzt, etwa folgendermaßen lautet:

        Das eine Sein, das seit aller Ewigkeit existierte und außerhalb dessen nichts war, wollte sich selbst in der Form der Schöpfung materialisieren. Es konkretisierte sich durch den universellen Willen zum Herrscher des gesamten Universums. Es verdichtete sich bis hin zur Stofflichkeit der materiellen Welten (die aus den fünf Elementen gebildet sind: Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde).

        Der ursprüngliche Manifestationsprozeß der Welten, die zum Objekt der subjektiven Erfahrung werden sollten, verlief etwa folgendermaßen: Aus dem Mund dieser universellen Person kam Sprache hervor und aus der Sprache “Feuer”. Aus ihren Nasenlöchern kam Atem und aus dem Atem “Luft”. Aus ihren Augen trat Licht aus und aus dem Licht die “Wahrnehmung”. Aus ihren Ohren kam Klang und aus dem Klang die “Himmelsrichtungen”. Aus ihrer Haut kamen Haare hervor und aus den Haaren die “Pflanzen und Bäume”. Aus ihrem Herzen entsprang der Geist und aus dem Geist der “Mond”. Aus ihrem Nabel entwich der ausströmende Atem und aus diesem das “Prinzip des Todes”. Aus ihrem Zeugungsorgan kam die Vitalkraft, und der Vitalkraft entsprangen die “Gewässer”.

        Diese Beschreibung des Ursprungs der kosmischen Differenzierung ist dazu gedacht, uns eine Idee des Bewußtseinszustandes zu vermitteln, in dem sich das menschliche Wesen im gegenwärtigen Zeitpunkt befindet. Obwohl es schwierig ist, anhand dieser Beschreibung aus der Upanishad eine vollständige Analyse des Bewußtseins vorzunehmen, gibt sie uns ohne Zweifel einen Schlüssel dafür, welche Art der Analyse wir anwenden müssen, um die Position des Menschen im Universum richtig verstehen zu können. Die Upanishad hält für uns jedoch noch eine Überraschung bereit, da sie ihre Beschreibung nicht mit diesem Gleichnis abschließt, sondern noch fortfährt, womit es für uns schwerer wird zu verstehen, was uns in diesem Zustand tatsächlich widerfahren ist, in dem wir uns heute befinden. Die Individualisierung des kosmischen Seins ist nicht nur die Absonderung eines Teils vom Ganzen, wie das einfache Abziehen einer bestimmten Menge von einer größeren Maßeinheit, denn sonst wären wir als Individuen quasi kleine Götter auf Erden. Nein: Wir sind keine kleinen Stücke dieser großen Masse Goldes, sondern es ist uns etwas viel Schlimmeres widerfahren, so daß wir nicht einmal mehr der Bruchteil dieses Goldes sind, das wir einst waren. In Wahrheit gibt es in dieser Welt nichts, was mit dem vergleichbar wäre, was uns wirklich zugestoßen ist. Metaphern, Bilder, Gleichnisse und Beispiele jeglicher Art sind hier zum Scheitern verurteilt. Der Zustand, in dem wir uns hier befinden, ist etwas völlig anderes als alles, was man mit Worten erklären könnte. Dies ist vielleicht der Grund dafür, warum wir weder uns selbst noch andere richtig verstehen können. Um uns mit einem noch größeren Mysterium zu verblüffen, fährt die Upanishad nämlich fort:

        Als das Individuum vom Ganzen abgetrennt wurde, wurde das “Feuer” zur Sprache und trat in den Mund des Individuums ein; die “Luft” wurde zu Atem und trat in seine Nasenlöcher ein; die “Wahrnehmung” wurde zu Licht und betrat die Augen des Individuums; die “Himmelsrichtungen” wurden zu Klang und traten in seine Ohren ein; die “Pflanzen und Bäume” wurden zu Haaren und traten in seine Haut ein; der “Mond” wurde zum Geist und trat in sein Herz ein; der “Tod” wurde zum ausströmenden Atem und trat in seinen Nabel ein; die “Gewässer” wurden zur Vitalkraft und traten in sein Zeugungsorgan ein.

        Wir sollten uns den gewaltigen Umkehrungsprozeß vergegenwärtigen zwischen dem, was ursprünglich zur Zeit der kosmischen Individualisierung in den Funktionen der Prinzipien stattgefunden hat, und anschließend mit Beginn der Funktionen des Individuums. Greifen wir nur einmal eine der oben erwähnten Funktionen heraus: Als die erste Trennung des Individuellen vom kosmischen Sein stattfand, kam aus dem Mund der universellen Person Sprache heraus und aus der Sprache “Feuer”. Wenn es jedoch um die Frage der Funktion des Individuums geht, so erklärt man uns, daß “Feuer” zur Sprache wurde und in den Mund des Individuums eintrat. Was während des Ursprungs der Dinge anfänglich als Ursache wirkte, wird im Individuum zur Wirkung. Während die Kraft, die wir Sprache nennen, die Auswirkung des Standorts, das heißt des Mundes der universellen Person ist, und das “Feuer-Prinzip” eine Auswirkung der Sprachkraft ist, ist dies beim Individuum genau umgekehrt. Bei ihm wird “Feuer”, das ursprünglich die letzte Auswirkung war, zur ersten Ursache, die im Individuum die Kraft der Sprache hervorruft und die Wirkung des Sprachorgans auf den Mund beschränkt. Um das Beispiel einer anderen Funktion aufzugreifen: Nasenlöcher, Atem und Luft wirkten ursprünglich der Reihe nach als Ursache und Wirkung, doch im Individuum ist der Prozeß nun genau umgekehrt, so daß Luft, Atem und Nasenlöcher die Reihenfolge in der Ursache-Wirkung-Beziehung bilden. Und so verhält es sich auch mit den anderen Funktionen.

        Überdenken wir die oben geschilderte Beschreibung der Evolution des Individuums aus dem Kosmischen, so können wir schlußfolgern, daß über den Menschen ein großes Unglück hereingebrochen ist, auf Grund dessen ihm die direkten Mittel dazu fehlen, das Kosmische unmittelbar kontaktieren zu können. In dem oben beschriebenen “Umkehrungsprozeß” der Funktionen kehrt sich nämlich die als “Auswirkung” wirkende Ursprungsfunktion beim Individuum zur “Ursache” seiner Funktion um, wie dies bei Spiegelungen der Fall ist, in denen sich die Merkmale entweder mit dem Kopf nach unten oder auf irgendeine andere Weise umgekehrt abbilden. Und wie berührt ein Spiegelbild sein Original? In gewisser Weise ähnlich zu dieser Situation ist die Bemühung der im Wasser reflektierten Sonne, mit der Originalsonne in Kontakt zu kommen. In diesem Vergleich besteht die Ähnlichkeit darin, daß die Spiegelung das Original ebenso wahrheitsgetreu darstellt, wie der Mensch angeblich nach dem Bilde Gottes geschaffen sein soll. Doch wie kann das Spiegelbild das Original kontaktieren oder gar wieder zum Original werden? Was ist seine Beziehung zum Original? Allem Anschein nach gibt es keine Beziehung, da die beiden auf Grund der Abwesenheit eines wechselseitigen tatsächlichen Kontakts weit entfernt voneinander liegen. Und doch gibt es eine Beziehung, da das Original andernfalls nicht im Spiegelbild erscheinen würde. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß die eben genannte Analogie nicht die gesamte Wahrheit der menschlichen Situation repräsentiert, und zwar deshalb, weil die Spiegelung der Sonne räumlich durch eine große physische Entfernung vom Original getrennt ist, während man sich im Falle des kosmischen Wesens und des Individuums keine physische Entfernung zwischen dem Original und der Spiegelung vorstellen kann. Die beiden überlappen sich sozusagen gegenseitig, was auch der Grund dafür ist, warum die ganze Angelegenheit nur sehr schwer zu untersuchen oder gar zu verstehen ist.

        Der Umkehrungsprozeß der Funktionen im Abstieg des Kosmischen zum Individuellen kann auch mit einer anderen Analogie erklärt werden, nämlich mit der Spiegelung unseres eigenen Gesichts in einem Spiegel, in dem das, was rechts ist links, und was links ist, rechts erscheint. Was im Kosmischen die Wirkung ist, wird im Individuellen zur Ursache. In der Terminologie der Vedanta-Philosophie durchläuft der Prozeß des universellen Wesens die Stufen von Ishvara, Hiranyagarbha und Virat, die die kosmischen Ebenen des Absoluten darstellen. Die spätere Stufe ist hierbei jeweils die Wirkung der vorherigen. Im Individuum sind diese kosmischen Ebenen jedoch in Form der Erfahrungen, die als Visva (Wachzustand), Taijasa (Traumzustand) und Prajna (Tiefschlaf) bekannt sind, umgekehrt. Während Virat der niederste Effekt im kosmischen Prozeß des Abstiegs ist, ist Visva im Individuum die höchste Ursache, so daß man zumindest in gewisser Weise sagen kann, daß das Verbindungsglied zwischen dem Individuum und dem Kosmischen, nämlich zwischen Visva und Virat, vom Wachzustand des Individuums repräsentiert wird. Doch Vorsicht! Das wache Individuum ist kein exakter quantitativer Teil des Virat, da ersteres ebenso auch ein Spiegelbild ist, so daß es nicht die Eigenschaftsmerkmale des Originals aufweist und aufweisen kann, wie etwa Allwissenheit und Allmacht, um nur zwei der hervorragenden Eigenschaften des Universellen zu nennen.

        Folgender Hinweis soll nun die weiterführenden Überlegungen erleichtern: In der Brihadaranyaka-Upanishad heißt es, daß jede individuelle Funktion vom Tod oder dem Prinzip des Wandels und der Zerstörung heimgesucht wird und daß die Funktionen, sobald sie aus den “Klauen des Todes” befreit sind, zum Original zurückkehren, von dem sie gekommen sind. Wie kann das Spiegelbild also zum Original, der Teil zum Ganzen und die Wirkung zur Ursache werden? Die Antwort lautet: Indem die Spiegelung oder der Teil von den Bedingungen befreit wird, die sie zur Spiegelung oder zu einem bloßen Teil machen. Und was sind diese Bedingungen? Es sind die Prinzipien, die Veränderung und Zerstörung verursachen. Diese Prinzipien sind die Bildungsfaktoren der Individualität und dafür verantwortlich, daß das Individuum als sterblich bezeichnet wird, während das kosmische Wesen unsterblich ist. Die Upanishad sagt, daß Sprache, wenn sie vom Prinzip des Todes befreit ist, zu “Feuer” wird. Ähnlich wird Atem, wenn er vom Prinzip des Todes befreit ist, zu “Luft”. Die Augen, wenn sie vom Prinzip des Todes befreit sind, werden zu “Licht” und mit den anderen Funktionen verhält es sich ebenso. Die Bedeutung scheint hierbei zu sein, daß der oben beschriebene Umkehrungsprozeß der Funktionen im Individuellen das Prinzip des Todes ist und daß das Individuelle zum Universellen wird, sobald es vom Prinzip des Todes oder der Zerstörung befreit ist. Werden muß sich ins Sein zurück verwandeln.

        Tod oder Zerstörung bedeuten demnach nicht Auslöschung, sondern eine Tendenz, sich von der Wirkung zur Ursache hin zu bewegen, eine Bewegung, die von einem inneren Drang des Teiles notwendig gemacht wird, um zum Ganzen zu werden, da das Ganze den Teil in einer organischen „Einsheit“ beinhaltet. Was wir im weitläufigen Sinn als Evolution bezeichnen, ist nichts als dieser Kampf des Universums, sich vom Niederen zum Höheren hin zu entwickeln. Und in diesem Prozeß ist die Tendenz des Individuums zum Universellen enthalten. Das gesamte Universum ist damit beschäftigt, seine Bestandteile für deren Selbsterkenntnis im Absoluten neu zu ordnen. Evolution ist die Bewegung des Nicht-Selbst zum Selbst, indem es seinen Zuständigkeitsbereich sowohl vertieft als auch ausdehnt, und dies sowohl qualitativ im Inneren als auch quantitativ im Äußeren, bis der höchste Zustand erreicht ist, in dem die Qualität und die Quantität in das einzige Sein des unendlichen Selbst verschmelzen. Will man über die Beziehung des Absoluten zum Individuum noch weiter nachlesen, sei auf einen interessanten und majestätischen Vortrag im vierten Abschnitt des ersten Kapitels der Brihandaranyaka-Upanishad hingewiesen. Da unser gegenwärtiges Interesse jedoch dem Erziehungsprozeß gilt, werden wir hier auf dieses Thema nicht ausführlicher eingehen, als es für unseren jetzigen Bedarf an Klärung notwendig ist.

        Erziehung kann keine wahre Bedeutung haben, solange sie keine systematisierte Kunst ist, die Wahrheit in stufenweise ansteigenden Ebenen zu berühren. Wahrheit ist mit unserem eigenen Leben und unserer eigenen Existenz untrennbar verbunden, da alles, was mit unserer Existenz nicht verbunden ist, für uns keine Wahrheit sein kann. Anhand der obigen Beschreibung von der Situation des Menschen im Universum, die uns von der Upanishad bereitgestellt wurde, sieht es so aus, als ob Wahrheit für uns eine “graduelle Annäherung der Erfahrung an umfassendere Dimensionen der Universalität” wäre. Demzufolge muß auch der Erziehungsprozeß ein stufenweiser Anstieg der Erfahrung durch die verschiedenen Ebenen hindurch sein, die unsere Existenz mit der Wahrheit verbinden.

        Der wahre Erziehungsprozeß würde von uns verlangen, zuerst einmal die unmittelbaren Tatsachen der Erfahrung als fundamentale Wahrheiten der Erziehung zu akzeptieren. Dies bedeutet, daß sich keine Erfahrung außerhalb der Wahrheit befinden kann, da jede Erfahrung ein Teil von ihr ist und somit irgendeinen Grad der Wahrheit offenbart. Erziehung ist somit eine universelle Bewegung des Geistes in Richtung Selbsterkenntnis im höchsten Zustand der Wahrheit, auch wenn sie auf den frühesten und primitivsten Stufen der Erfahrung aufbaut und von dort beginnt. Sie erstreckt sich von der einfachsten Vorstellung, die ein Kind von der äußeren Welt haben mag, bis hin zum hochtrabendsten Konzept des Wissenschaftlers oder Philosophen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, müßten in etwa folgende Themenbereiche in den Studienlehrplan aufgenommen werden: Lesen, Schreiben und Arithmetik in ihren fundamentalsten Formen; elementare  Geographie und Geschichte in Form von Geschichten und inspirierenden Erzählungen; einfache dramatische Porträtierungen; Grammatik, Sprache und Literatur in stufenweise zunehmendem Umfang und zunehmender Intensität; Mathematik, Naturwissenschaften, Botanik, Zoologie und Physiologie; Ethik, Zivilrecht, Soziologie und Politik, Astronomie, Physik, Chemie und Biologie in ihren entwickelten Formen; Psychologie, Künste, Ökonomie; die Philosophie der Geschichte und Weltkultur. Diese Aufzählung der Themenfächer umfaßt praktisch alles, was heutzutage in unseren Schulen und Universitäten gelehrt wird, und man glaubt, daß mit dem Studium dieser Themenbereiche das gesamte Spektrum des Wissens erschöpft sei.  Dies ist jedoch ein bedauernswerter Irrtum. Das Studium der Wirklichkeit kann unmöglich vollständig sein, solange es auf die empirischen Denkräume des menschlichen Geistes in einer sichtbaren Welt der Sinneswahrnehmung beschränkt ist. Um zu verstehen, warum diese Studien in sich nicht vollständig sein können, müssen wir nur zur Evolutionsbeschreibung der Upanishad zurückkehren, die wir in den vorangegangenen Absätzen betrachtet haben. Im besten Fall repräsentieren all diese Studien die schlechteste Form des Wissens, das wir hoffen können uns anzueignen, da sie nur subjektiv angesammelte Begriffe sind, die die Objekte der äußeren Welt betreffen, wobei es der Welt gelingt, ihre eigene Unabhängigkeit vom individuell erfahrenden Subjekt zu wahren. Warum aber ist die Welt so unabhängig und unhandlich? Für eine Antwort müssen wir uns nur auf die Upanishad beziehen. Die Welt der Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther) ist unglücklicherweise zur Ursache unserer Erfahrungen geworden, die somit Auswirkungen sind, die von unserer Sinneswahrnehmung der Elemente hervorgerufen werden. Dies entspricht jedoch nur dem Wissen, das das Spiegelbild vom Original hat. Und dieses ist auf Grund des in der Upanishad erwähnten “Umkehrungsprozesses” weit von der Wahrheit entfernt. Wäre die Spiegelung das Original, dann wäre unsere heutige Erziehungslaufbahn bereits die Krönung aller menschlichen Bemühungen. Kein Wunder also, daß der Weise Sanatkumara all dieses Wissen nur als “leere Worte” bezeichnete, da es sich selbst vom Original entfremdet hat, das ja eigentlich Gegenstand des Wissens sein sollte. Dennoch erachtete Sanatkumara diese “Worte” als den ersten Schritt in der Untersuchung der Wirklichkeit, da das “Wort” auf etwas hinweist, das “benannt” ist, auch wenn es nichts weiter als ein bloßer Fingerzeig ist. Ebenso steht es um die Notwendigkeit und den Wert unserer empirischen Wissenschaften und Künste. Wenn Wissen von seinen Objekten getrennt ist, wie kann es dann Glückseligkeit bescheren? Wie kann Wissen mit Macht gleichgesetzt werden? Wie kann Wissen dasselbe sein wie Tugend? Glückseligkeit, Macht und Tugend sind nämlich Aspekte der Wirklichkeit. Wenn Wissen jedoch nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat und nur noch Symbol, Markierung, Spiegelbild und nicht mehr Original ist, verbleiben nur “Worte”, wenn auch im Sinne des niedrigsten Wirklichkeitsgrades. Wenn ein solches Wissen den Anspruch auf Fortschritt, Wachstum und Kultur erhebt, indem es sich über seine Begrenzungen als “Fingerzeig”, “Hinweis” oder “Spiegelbild” hinaus übermäßig aufbläht, dann maßt es sich auf diese Weise den Status des Originals unrechtmäßig an. An dieser Stelle müssen wir nun die Prinzipien des wahren Wissens gründlicher untersuchen. Was ist wahres Wissen? Wie sollten die “Ziele” und “Methoden” der Erziehung sowie ein Lehrplan aussehen, der auf die Annäherung an die Wahrheit abzielt?