Der Aufstieg des Geistes

 
 
   4 Die Stufenleiter der erzieherischen Methoden

Die Tatsache, daß das menschliche Individuum die Welt immerzu als ein außerhalb seiner selbst befindliches Objekt betrachtet und sich ihr in vielfältiger Weise beinahe hoffnungslos ausgeliefert fühlt, nötigt es dazu, sie zu studieren, ihre Struktur und ihren Aufbau zu erforschen und seine Beziehung zu ihr begreifen zu lernen. Das Subjekt (Adhyatma) steht dem Objekt (Adhibhuta) als einer unbegreiflichen Größe gegenüber, von dem es manchmal unterhalten wird, indem dieses seine Bedürfnisse befriedigt und seine Sehnsüchte erfüllt, und das immer dann mit schrecklichen Konsequenzen droht, wenn sich das Subjekt nicht an die Gesetze hält, nach denen das Objekt wirkt. Diese unsichere Situation des Menschen in der Welt hat ihn dazu gezwungen, die Welt in all ihren Erscheinungen zu studieren, und dies ist es, was wir für gewöhnlich den Vorgang der Erziehung oder Bildung nennen.

Was tun wir, wenn wir in eine schulische Institution eintreten? Direkt von den Frühstadien der Kindheit an bis hinauf zu dem, was wir als die volle Reife des Geistes erachten, wird der Schüler in eine Reihe von Studien und Untersuchungen eingeführt, deren Themenbereiche laut Lehrplan in einer stufenweise zunehmenden Komplexität und Tiefgründigkeit methodisch durchlaufen werden. Für gewöhnlich beginnen die Eltern bereits zu Hause mit der Erziehung des Kindes, bevor es in die Schule kommt, indem sie ihm das Grundwissen über die Umwelt und deren direkte soziale Bedeutung für den täglichen Ablauf zu Hause vermitteln, wie zum Beispiel die Namen der sieben Wochentage sowie die Verbindung dieser Tage mit den sieben Planeten , die diesen Tagen vorstehen; die Namen der zwölf Monate des Jahres und ein grobes Wissen über die Familienbräuche, Familientraditionen und die generellen Beziehungen zu den Nachbarn im Ort, in der Stadt und so weiter. In orthodoxeren Kreisen, wo die Menschen in einer religiösen Tradition aufgezogen wurden, erzählt man dem Kind, daß es Götter gibt, die die Welt regieren und denen man täglich Gebete darbringen muß, um materiellen Nutzen wie Speise, Kleidung, Behausung, Gesundheit, langes Leben, Schutz vor Schwierigkeiten und Unglück daraus zu ziehen. Ein tägliches Gebet, das Singen einer Gebetsformel oder Hymne, entweder in der klassischen Sprache des eigenen Landes oder in Mundart, die jeden Tag zu einer festgelegten Zeit rezitiert werden soll, sind Grundzüge, die das Kind in bestimmten Familien sogar schon vor seinem Schuleintritt lernt. Mehr weltlich orientierte Menschen mit moderner Einstellung ziehen ihre Kinder in einer rein materiellen Atmosphäre des Komforts, der sozialen Verhaltensregeln und der Etikette auf, ohne dabei jedoch die anderen Elemente gebührend zu berücksichtigen, die vielleicht keine direkte Beziehung zur körperlichen Bequemlichkeit und Befriedigung oder der sozialen Würde und Anerkennung haben mögen.

Im Kindergartenalter und in der Grundschule wird man erstmals in die Bereiche des Lesens, Schreibens und Rechnens eingeführt. Man lernt, die Buchstaben des Alphabetes zu schreiben, und übt deren Aussprache, außerdem auch die einfache Addition und Subtraktion und etwas später dann die Multiplikation und Division von Zahlen. Diese Übung wird nun für einige Zeit fortgeführt, bis der junge Schüler in die bildhafte Darstellung historischer Persönlichkeiten und in die geographischen Gegebenheiten der näheren Umgebung des Wohnortes eingeführt wird. Langsam wächst das Lehrsystem nun in interessante und fesselnde Geschichten von Personen hinein, die allgemein als herausragend anerkannt werden, sei es auf Grund ihrer Taten, ihres Charakters und Verhaltens, ihres Wissens oder ihrer Macht, wobei die Erzählungen derart gestaltet sind, daß sie die Neugier des Kindes stimulieren und seine Instinkte dahingehend erwecken sollen, daß es Freude in jenen Dingen suchen möge, die seine junge Persönlichkeit anregen, die dann später zu dem heranwächst, was wir das Ego nennen. Lieder und Reime, Spiele und Theatervorführungen in der Schule helfen dabei, diese Lehrinhalte anschaulicher zu gestalten, indem sie diesen eine konkrete Form der Sichtbarkeit und Lebendigkeit verleihen.

In etwas höheren Klassen wächst das Erziehungssystem in das einführende Studium der Grundgrammatik der eigenen Sprache hinein. Oftmals beginnt zu diesem Zeitpunkt auch das Studium einer Fremdsprache, wie es heutzutage üblich ist, wenn die anfänglichen Studien der eigenen Muttersprache Hand in Hand mit einer elementaren Einführung in Sanskrit oder Englisch angeboten werden. In anderen Ländern außerhalb Indiens mögen es je nach Vorliebe, Gewohnheit und Interesse des Landes Latein, Französisch und dergleichen sein. Die Grammatik der Fremdsprache wird für gewöhnlich, wenn auch in elementarer Form, als Notwendigkeit erachtet und kann Hand in Hand mit einfachen Lesebuch-Geschichten gehen, wobei mit einzelnen Worten begonnen wird, die später zu Sätzen führen. Sätze entwickeln sich dann zu kleinen Abschnitten, beispielsweise aus Anekdoten, Geschichten oder Beschreibungen vertrauter Umstände des sozialen Lebens. Solches Lesen kann zu entsprechenden Schreiben entwickelt werden und dazu, das Gelesene soweit wie notwendig ins Gedächtnis zu übertragen. Einfache Mathematik wird natürlich in jeder Studienklasse zu einem unvermeidlichen Fach. All diese Grundlagen entwickeln sich somit zu den Umrissen von Sprache, Geschichte, Geographie und Mathematik. Bis zu diesem Niveau kann die gesamte Struktur als Grundlagenbildung angesehen werden, die in den als Grundschulen bekannten Institutionen vermittelt wird.

Auf den höheren Ebenen der Erziehung gibt es zur Zeit vier verschiedene Abschlüsse, die als Hauptschul-, Realschul-, Gymnasial- und Hochschulabschluß bekannt sind. Über dem Grundschulniveau finden wir im ersten dieser Erziehungsbereiche normalerweise eine Fortführung der anfänglichen Methoden vor, wobei es zu einer Vertiefung jener Fächer kommt, mit denen in der Grundschule bereits begonnen wurde. Die Themen ändern sich zunächst nur unwesentlich, doch kommt es zunehmend zu einer Detaillierung und einem Übergang zu fortgeschrittenen Studien der zuvor bereits erwähnten Themenbereiche. Grammatik, Satzkompositionen, Erzählungen und Geschichten, die dem doppelten Zweck der literarischen Anmut und der historischen Information dienen, sind die Themen, in denen die Schüler ausgebildet werden. Die hauptsächlichen Fächer sind hier die Sprache in ihrer grammatikalischen und literarischen Struktur, Geschichte, Geographie, Mathematik, eine Fremdsprache und die elementaren Naturwissenschaften, die sich mit den Grundprinzipien der Botanik, Zoologie und Physiologie befassen, und somit die groben Umrisse des Pflanzen-, Tier- und Menschenlebens behandeln. In der zweiten Stufe nach dem Grundschulabschluß kommt es zu einem weiteren Voranschreiten der früheren Lehr- und Studienmethoden. Nun wird die wahre Grundlage dessen gelegt, was als Schulbildung bekannt ist. Die behandelten Themen sind die gleichen wie in den vorangegangenen Stufen, wobei die Umrisse der staatsbürgerlichen, sozialen und politischen Beziehungen menschlicher Individuen bestimmter Nationalitäten hinzukommen, sowie Moral und Ethik, wie sie für die unmittelbaren Belange des persönlichen und sozialen Lebens anwendbar sind. In der Geographie werden nun relevante Aspekte der Astronomie, wie etwa die Sonnen- und Planetensysteme und deren Einfluß sowohl auf den Planeten Erde als auch auf das Leben im ganzen angesprochen. Die Naturwissenschaften schreiten im Studium der Grundprinzipien von Physik, Chemie und Biologie zu deren tieferen Bedeutungen voran. Bis zu dieser Erziehungsstufe werden die Studien der vorangegangenen Bereiche nicht ausgeschlossen, sondern mit immer detaillierteren und tiefgründigeren Informationen stufenweise in den Lehrplan mit einbezogen.

Erst in den Hochschulbereichen erhält das Erziehungssystem durch die stufenweise Verringerung der Fächerzahl auf drei, zwei oder eines ein völlig neues Gesicht, und die Spezialisierung hält in den gewählten Fächern Einkehr. Die Studien umfassen die wichtigsten Themenbereiche, die dem menschlichen Geist bekannt sind, wie zum Beispiel Literatur, Mathematik, Astronomie, Geologie, Geographie, Physik, Chemie, Biologie, Psychologie einschließlich Psychoanalyse, Medizin, bildende Künste, Ökonomie, Ethik, Soziologie, Politik, Weltgeschichte, Weltkultur, Technik und all deren Anwendungsbeieriche. All dies sind rein empirische Studien. Studenten der Philosophie beschäftigen sich intensiv mit den Bereichen Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik, Religion und Mystizismus, wobei die letzten beiden Bereiche auch die Theorie und Praxis der als “Yoga” bekannten Techniken beinhalten. Normalerweise greift man in seinen Studien nicht all dies Themenbereiche auf. Vielmehr richtet man seine Aufmerksamkeit zur gleichen Zeit auf nicht mehr als einen oder zwei davon, so daß sich das Studium zum Schluß auf ein einziges Spezialgebiet konzentriert. Dies ist dann der letzte Schliff auf dem Weg zur Spezialisierung und Dissertation. Eine spezielle Ausbildung in Management, Technologie, Industrie, Ingenieurwesen, Wirtschaft, Landwirtschaft, Militärwissenschaft und dergleichen kann das Interesse derjenigen in Anspruch nehmen, deren Begabung dafür ganz speziell geeignet ist. Diese Aufzählung sollte uns einen ausreichenden Überblick über die Bestandteile jener menschlichen Unternehmung geben, die wir heutzutage ganz allgemein als Bildung betrachten. Und es fällt schwer, sich unter der modernen Definition des Begriffs “Bildung” irgend etwas anderes vorzustellen.

Nun ist es für uns an der Zeit, erst einmal eine Weile darüber nachzusinnen, was dem gebildeten Menschen eigentlich widerfahren ist, wobei unter “Bildung” das Wissen all jener gewaltigen und menschlich vorstellbaren Themenbereiche gemeint ist, die oben bereits angeschnitten worden sind. Was soll man mit all diesem Wissen anfangen? Diese Frage ist kaum zu beantworten, und sie lastet entsprechend schwer auf den Schultern aller modern ausgebildeten Menschen. Was soll man nach dem Verlassen der Universität mit all diesen Qualifikationen tun, die von der Menschheit als die krönende Vollendung einer akademischen Karriere bewundert werden? Die unmittelbare Antwort auf diese Frage wäre wohl, zunächst einmal eine Arbeit oder eine Anstellung zu suchen, ein Geschäft zu eröffnen oder wenigstens einem ökonomisch gewinnbringenden Gewerbe oder Beruf nachzugehen, oder aber zu lehren. Angenommen, all diese Bestrebungen sind erfüllt. Kann sich irgend jemand vorstellen, daß das Leben mit diesen Errungenschaften bereits vollendet ist, oder fehlt in diesem Schema irgend etwas, auf Grund dessen es sein kann, daß man trotz der eigenen Qualifikationen unglücklich verbleibt? Die zentrale Frage lautet nämlich: Ist der gebildete Mensch auch glücklich? Diese Frage muß man wohl mit “nein” beantworten. Um diese Wahrheit zu demonstrieren, müssen wir nur eine repräsentative gebildete Person herausgreifen und das Ausmaß ihrer Glücklichkeit untersuchen. Wir werden überrascht sein, in welch einem Zustand sich der moderne gebildete Mensch tatsächlich befindet. Es gibt Fragen, die niemand so einfach beantworten kann, und diese Fragen werden sich dem menschlichen Geist selbst nach der Errungenschaft der höchsten erzieherischen Qualifikationen stellen. Die Probleme lauten etwa folgendermaßen: Wir wissen nicht, wie viele Wünsche und ehrgeizige Ziele wir haben, und selbst wenn wir einige von ihnen erkennen können, sieht es nicht so aus, als ob wir sie in dieser Welt jemals alle befriedigen können. Diese Tatsache macht uns niedergeschlagen und unglücklich. Es sieht nicht so aus, als würde eine Sehnsucht oder ein ehrgeiziger Plan nach seiner Erfüllung auch wirklich abklingen. Vielmehr wird dieser eher noch angeregt und verlangt nach immer größerer Befriedigung, was beweist, daß er nicht wirklich befriedigt werden konnte. Nach einer Analyse des Sachverhalts wird man feststellen, daß dieser psychologische Umstand niemals ein Ende findet. Nahezu für jedermann kommt irgendwann einmal in seinem Leben der Tag, an dem er notgedrungen einsehen muß, daß es in dieser Welt keine wahren Freunde gibt, und daß jede Freundschaft bei der geringsten Berührung der eigenen Schwachpunkte in einer Trennung enden kann, wobei die gesamte Lebensperspektive plötzlich zusammenbricht und einem die eigene Bildung auch nicht mehr weiterhelfen kann. Von den Objekten, die den Sinnen Befriedigung zu bringen scheinen, erkennt man später, daß sie einen unweigerlich in Schwierigkeiten verwickeln, so daß man sich in einem Sumpf wiederfindet, aus dem es kein einfaches Entrinnen gibt. Darüber hinaus wird man von einem beständigen Druck der Angst und Anspannung gequält, gepaart mit einem wiederholt auftauchenden Gefühl der Unsicherheit, das von allen Seiten auf uns einzudringen scheint. Zu guter letzt droht uns allen auch noch der Tod, der selbst das großartigste Genie dieser Welt nicht vom Wirken seiner Gesetze ausspart. Und niemand weiß, wann ihn der Abruf ereilt!

Es gibt die Sprichworte: “Wissen ist Macht” und “Wissen ist Tugend”. Die indische Metaphysik verkündet darüber hinaus auf ihren höchsten Stufen, daß “Wissen Glückseligkeit bedeutet”. Ist nun Bildung der Erwerb von Wissen? Kein vernünftiger Mensch würde daran zweifeln. Doch in welchem Zustand befindet sich der gebildete Mensch der Welt heutzutage? Hat er Macht? Ist er tugendhaft? Ist er glückselig? Anhand einer Untersuchung würden wir entdecken, daß unsere Gebildeten nicht wirklich mächtige Menschen sind. Auch sind sie nicht unbedingt tugendhaft. Und Glückseligkeit scheint weit von ihnen entfernt. Wenn Ausbildung der Vorgang zum Erwerb von Wissen ist, beziehungsweise wenn Bildung dasselbe ist wie Wissen, und wenn Wissen auf die oben angeführte Weise definiert wird, wie ist es dann möglich, daß zwischen Bildung und den durch sie erhofften Früchten eine derartige Kluft besteht? Wir sehen, daß Machthaber entweder politische Führer oder Besitzer von enormen Reichtümern sind. Tugendhafte Menschen sind im allgemeinen arm, sei diese Armut nun, wie im Falle einiger, freiwillig gewählt ,oder aber, wie in der Mehrzahl der Fälle, von den Umständen aufgezwungen. Wir mögen sie als Heilige, als Asketen oder ähnlich bezeichnen, jedenfalls sind es meist Leute, die in der menschlichen Gesellschaft keinerlei Art von Macht ausüben, zumindest keine Macht, wie sie üblicherweise verstanden wird. Viele der guten Menschen auf Erden werden von äußeren Umständen, der Apathie der Gesellschaft und der Unwissenheit der Öffentlichkeit gequält, was alles nicht dazu beiträgt, eine tugendhafte Person mit Macht auszustatten, die dann auf irgendeine Weise ausgeübt werden könnte. Doch wer sind dann die glücklichen Menschen oder jene, die sich der inneren Glückseligkeit erfreuen? Vielleicht kann niemand diesen begehrten Zustand sein eigen nennen. Es ist völlig unnötig einzuwenden, daß es Menschen gibt, die sich zufrieden oder glücklich wähnen und an diese Tatsache auch selbst glauben. Nach einer genaueren Überprüfung der Sachlage wird man jedoch leicht feststellen, daß diese Einschätzung nicht mit der Realität übereinstimmt, wobei es unwesentlich ist, ob jemand aufgrund einer Ironie des Schicksals unglücklich ist, aufgrund des äußerlich vorherrschenden Unrechts oder aufgrund der Sorgen, die von dem Gefühl herrühren, seine Ziele im Leben nicht erreicht zu haben. Was auch immer die Ursache sein mag, die Tatsache bleibt die gleiche.

Zusammenfassend kann man wohl mit Recht behaupten, daß der Erziehungsprozeß von einer ernsthaften Katastrophe befallen worden ist, es sei denn, wir sind dazu bereit, zu dem Schluß zu kommen, daß Ausbildung nichts mit Wissensvermittlung zu tun hat und daß der Schulungsprozeß nicht der Weg dafür ist, Wissen zu erwerben. Wenn man jedoch behauptet, wirkliches Wissen könne auf einem anderen Weg erworben werden als über Bildung, bewegt man sich auf schwankendem Boden. Denn wie könnte Wissen sonst erworben werden?

Die vorherrschende Meinung ist, daß Wissen ein Mittel zum Zweck ist. Für einige Menschen ist dieser Zweck ökonomischer Wohlstand und Reichtum in Form von Geld oder gesellschaftlicher Macht. Dies ist denn auch der Grund dafür, daß qualifizierte Personen Anstellungen in Instituten, Organisationen, Firmen, der Regierung und dergleichen suchen. Dieses anvisierte Ziel beinhaltet eine subtile Hoffnung auf einen gleichzeitigen Prestige- und Autoritätsgewinn in der Gesellschaft. Eine Person in sozial hochangesehener Stellung wird automatisch auch als “wertvolle” Person geachtet, egal ob die Art dieses Wertes jedermann klar ist oder nicht. Warum aber sollte eine Person in hoher Stellung auch ein hohes Ansehen genießen? Die Antwort darauf ist sehr schwierig. Vielleicht verbirgt sich in den Köpfen der Leute die unterschwellige Erwartung, daß man eine solche Person als “Mittel” für irgendwelche anderen “Zwecke” benutzen kann. “Prestige” ist demnach ein sehr zweifelhafter Wert, der einer genaueren Untersuchung nicht standhalten kann. Der Grund dafür ist, daß das “Prestige” eine Form der Eitelkeit ist, die für das menschliche Ego so charakteristisch ist, dessen Natur an sich schon keine Überprüfung ertragen kann. Die Selbstwertschätzung bildet den Hintergrund der allgemein üblichen Form der Wertschätzung, die unter der Bezeichnung “Prestige” bekannt ist. Und “Prestige” ist eines jener Ziele, die man mit Hilfe des Wissens erwerben will, das man sich in Lehrinstituten aneignen kann.

Warum wollen wir überhaupt gebildet sein? Warum wird der “Bildung” ein so hoher Wert beigemessen? Sollten wir in unserem Versuch, diese Frage zu beantworten, bis zu den Wurzeln der Angelegenheit vorstoßen wollen, so stehen wir einigen Problemen gegenüber. Es sieht nämlich so aus, als suchten wir alle etwas, ohne zu wissen, was wir suchen und wofür wir es überhaupt suchen. Folgen wir damit einfach dem Herdentrieb, der kein rationales Fundament unter den Füßen hat? Vielleicht sollten wir an dieser Stelle erst einmal etwas Zeit und Muße dafür aufwenden, in dieses für unsere Betrachtungen äußerst interessante Thema tiefer vorzudringen.

Bevor wir versuchen wollen, eine einigermaßen zufriedenstellende Antwort auf dieses Problem zu finden, täten wir gut daran, uns mit dem Kummer auseinanderzusetzen, den der große Weise Narada dem mächtigen Sanatkumara präsentierte, wie wir es im 7. Abschnitt der Chandogya-Upanishad beschrieben finden:

“O Herr, bitte lehre mich!” - mit dieser Bitte kam Narada zu Sanatkumara. Dieser antwortete ihm: “Sage mir zuerst, was du bereits weißt, dann werde ich dir weitere Unterweisung erteilen.” Narada zählte all sein umfangreiches Wissen auf, indem er erwiderte: “O Großartiger! Ich habe den Rig-Veda, den Yajur-Veda, den Sama-Veda, den Artha-Veda, altertümliche Geschichte und Religion, Grammatik, die Kunst der Befriedung der Verstorbenen, Mathematik, Wahrsagen und Zeichendeuten, Chronologie, Logik, Politik, die Wissenschaft von den Himmelswesen, die Wissenschaft von der heiligen Erkenntnis der übernatürlichen Reiche, Dämonenlehre und Physik, Verwaltung und militärische Wissenschaften, Astronomie und Astrologie, die Wissenschaft von der Schlangenzähmung und alle schönen Künste gemeistert. Herr, all dies weiß ich.”

“O Edler! Doch obwohl ich all diese Künste und Wissenschaften beherrsche, kenne ich doch die Wahrheit nicht! Von solchen, die wie du sind, o Großartiger, habe ich gehört, daß derjenige, der die Wahrheit kennt, das Leiden hinter sich läßt. Ich leide so sehr, o Edler! Steige herab, o Herr, um mich, der ich so elendiglich bin, zu lehren, wie man auf die andere Seite jenseits allen Leides gelangt!”

Sanatkumara antwortete ihm: “Wahrlich, was auch immer du gelernt hast, sind nur leere Worte und Vorstellungen.”

Doch wie können all diese Studien, all diese Künste und Wissenschaften als eine bloße Angelegenheit von leeren Worten und Vorstellungen angesehen werden? Gibt es dafür eine Erklärung? Vielleicht finden wir hier einen Hinweis auf die Lösung der Menschheitssorgen.