Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 52

Wer ist Dein Nachbar?

Besucher: Wir fühlen , daß es etwas Besonderes ist, Indien und Dich, Swamiji, und all Deine Freunde zu besuchen. Wir fühlen uns wohl hier.

Swamiji: Es ist ein Vorrecht, Gott - auf welche Art auch immer - zu erfreuen.

Bruce aus Neuseeland: Ich nehme an, daß es dabei viele Wege gibt.

Swamiji. Ja, es gibt viele Wege. Es gibt Millionen von Wegen. Gott hat viele Millionen Ausdrucksformen, so daß es auch ebenso viele Wege gibt, IHM zu dienen, welche IHN, so glaube ich, zufriedenstellen. Es ist nicht leicht, IHN zufrieden zu stellen. ER ist eine schwierige Person, doch, wenn man einmal die Kunst erlernt hat, IHN zufrieden zu stellen, bleibt man unbelastet. Es gibt danach keine Probleme mehr.

Bruce: Das ist wahrlich schwer, nicht so einfach. Ist es für Menschen wie diese Leute hier, uns eingeschlossen, und für die ganze Menschheit gut, hierher zu kommen?

Swamiji: Es wäre besser, wenn Du die hier sitzenden Leute befragen würdest. Frage sie: „Ist es gut für Euch, hier zu sitzen, anstatt zum Markt zu gehen und Einkäufe zu machen?“

Bruce: Ist es gut für die Menschheit, hierher zu kommen?

Swamiji: Die Ladenbesitzer sind auch ein Teil der Menschheit, und wenn man die Menschen auf diese Weise glücklich macht, entspricht es dem Dienst an der Menschheit. Die Menschheit muß nicht notwendigerweise eine riesige Zahl von Menschen bedeuten. Selbst wenn man nur zwei Menschen dient, bedeutet das ein Dienst an der Menschheit, wobei es völlig in Ordnung ist, wenn sich die Anzahl der Menschen vergrößert. Ein jedes Herz möge erkennen, was gut ist, und das Herz entscheidet über die Bestimmung eines Menschen. Niemand kann jemand anderen darüber belehren, was gut für ihn wäre.

Jeder sagt: „Es ist gut.“ Der Tiger sagt sich, es ist gut, eine Kuh zu fressen. Und ein Bandit glaubt, daß es gut sei, einen Raub zu begehen; ein Politiker glaubt, daß es gut ist, noch größere Gewinne dadurch zu erzielen, in dem er die Massen ausbeutet. Jeder Mensch hat seine eigenen Ansichten darüber, was tugendhaft ist. Der ganze Punkt ist: „Was ist Tugend?“ Dies zu wissen, beantwortet dann jede Frage.

Es ist gut, Gutes zu tun. Es mag der Dienst an der Menschheit oder auch kein Dienst an der Menschheit sein, es mag alles Mögliche sein. Das Richtige zu tun ist gut; doch was ist das Gute? Dies ist entscheidend und beantwortet alle Fragen. Laß jemanden sagen, was gut und was nicht gut ist. Die ganze Philosophie, die ganze Religion des Menschengeschlechts ist in dieser Frage enthalten: Was ist Gut? Jeden berührt das, was gut ist, doch was ist Gut? Welche Idee verfolgt man damit? Laß das Herz eines jeden sich öffnen und diese Frage beantworten: Was verstehst Du unter „Gut“? Dann wird man dieser Tugend ständig nacheifern.

Es kann der Dienst an Gott sein, am Menschen, an Tieren, Bäumen und Pflanzen oder der Dienst an irgend etwas. All dies gehört zu der Frage von „was ist gut?“ Laß jeden, der hier sitzt, mir erzählen „was Gut ist“. Wenn die Antwort auf diese Frage gekommen ist, hat man keine Probleme mehr. Jeder schließt seinen Mund. Der Mund kann nicht geöffnet werden, denn wenn man etwas sagt, würde man in den nachfolgenden Schwierigkeiten gefangen sein. Darum ist es besser, nichts zu sagen und das zu tun, von dem man glaubt, daß es Gut ist. Ob es gut ist oder nicht, - wie auch immer -, denke, daß es Gut ist, und tu es.

Ein Indischer Besucher: Was immer die Schriften sagen ist Gut.

Swamiji: Was auch immer die Stimme des Herzens, unabhängig von den Schriften sagt, ist gut. Laß die Schriften irgend etwas sagen; was macht das schon? Man kann nicht gegen sein eigenes Gewissen handeln. Die Schriften mögen auf etwas verweisen und doch sagt das eigene Gewissen: „Nein, nein. Dies gilt nicht für mich.“

Wenn die Schriften sagen, daß die Hand aufgrund eines gestohlenen Bleistiftes abgehackt werden muß, ist dies auch ein Gesetz. Stimmst Du damit überein? Oder vergräbst Du jemanden für ein Vergehen, das er begangen hat im Sande, bis nur noch der Kopf herausschaut und bewirfst ihn dann mit Steinen? Ist das richtig, nur weil es irgendwo in den Schriften erwähnt wird? Was meinst Du dazu?

Indischer Besucher: Für mich sind dies, so scheint es, von Menschen gemachte Schriften.

Swamiji: Dies ist ein anderes Argument dafür, daß man sich nicht so sehr um die Schriften kümmern sollte. Wir sollten nicht an den Buchstaben glauben. Laß die Schriften „Schriften“ sein. Was meint Ihr dazu? Was sagst Du dazu? Was sagt die Stimme Deines Herzens?

Jede Regierung der Welt hat ein eigenes Verteidigungsministerium, um sich vor Angriffen zu schützen. Es besteht keine Notwendigkeit für ein Verteidigungsministerium, es sei denn, jemand greift an. Doch jenes besondere Gebiet, von dem ein Angriff erwartet wird, hat ebenfalls ein Verteidigungsministerium. Es gibt kein Land, das ein Angriffsministerium eingerichtet hätte. Wenn niemand angreift, wozu benötigen wir ein Verteidigungsministerium? Dies hat etwas mit der Beantwortung Deiner Frage zu tun.

Ist es gut, ein Verteidigungsministerium zu haben, weil man seinem Nachbarn mißtraut? Wenn man seinem Nachbarn nicht mißtraut, benötigt man auch kein Verteidigungsministerium. Dies widerspricht dem Gesetz: „Liebe Deinen Nächsten (Nachbarn), wie Dich selbst.“ Wo bleibt die Nächstenliebe, wenn man ein Verteidigungsministerium aufrecht hält? Jedes Land hat dieses Ministerium. Kein Land der Welt ist von dieser Schwierigkeit befreit. Ist es gut, seinem Nachbarn zu mißtrauen und immer auf der Hut vor ihm zu sein? Wer der Meinung ist, daß dies nicht richtig ist, muß feststellen, daß es niemanden in der Welt gibt, der das Richtige tut. Alle sind voller Furcht, und zwar nicht vor Tieren, Schlangen, Skorpionen und Tigern; - es ist die Furcht des Menschen vor dem Menschen.

Du sprichst über den Dienst an der Menschheit. Du dienst derselben Menschheit, vor der Du Dich fürchtest, und Du mußt Waffen und all das produzieren, um Dich selbst gegen diese Leute zu schützen. Man muß sich nur vor den Menschen schützen, nicht vor Tigern, denn diese greifen nicht an. Es ist Dein Bruder, der Dich angreift, und darum benötigst Du Polizei und Militär zu Deiner Sicherheit.

Du fürchtest Dich vor derselben Person, der du dienst. Hier ist ein Widerspruch in der Psyche, im Gedanken selbst. Der Verstand sagt: „Sei vorsichtig gegenüber dieser Person.“ Doch zur gleichen Zeit sagt der Verstand: „Diene diesem Menschen.“ Was ist dies für eine Art von Gedanke? Wer ist denn Dein Nachbar?

Bruce: Die Schriften der Christen sagen, jeder ist Dein Nachbar.

Swamiji: „Nachbar“ ist ein Wort, welches grammatikalisch bedeutet: „Jener, der Dir am nächsten ist.“ Derjenige, der Dir nahe ist, ist Dein Nachbar. Nun, ich glaube, daß die Erde, auf der Du sitzt, Dir am nächsten ist. Diese Erde, dieser Boden auf dem Du kauerst, berührt Dich. Die Erde selbst ist der teuerste und nächste Nachbar. Und diese Erde scheint ein Planet zwischen vielen anderen zu sein, die die Sonne umkreisen und diese, wie ihre eigene Seele verehren.

Wenn unser nächster und teuerster Nachbar in Gestalt der Erde, auf der wir sitzen, die Sonne als ihren teuersten und nächsten Nachbarn betrachtet, wird die Sonne auch unser Nachbar sein. Die Sonne am Himmel ist eine sehr gute „Person“! Ohne sie könnten wir nicht atmen. Und die Sonne gehört zur gesamten Galaxis. Die Galaxis kann einiges über die Gesamtorganisation des Sonnensystems erzählen; und die Galaxis wiederum wird durch den weiteren Raumzeit-Komplex kontrolliert. Wer ist also Dein Nachbar, - der ganze Raum und die Zeit, die gesamte lebende und nicht lebende, sichtbare und unsichtbare Schöpfung, die Du verstehen und auch nicht verstehen kannst.

Das Zentrum des Kosmos wird für Dich zum nächsten Nachbarn. Es sieht so aus, als wäre dieses Zentrum Millionen von Lichtjahren entfernt, doch es befindet sich ohne, wie man sagt, ‘begrenzten Umkreis’ überall. Dies ist Dein teuerster Nachbar. Doch wo sitzt Du nun wirklich? Worin liegen in diesem Zusammenhang unsere Pflichten? Dies sind Fragen, zu denen eine Antwort, - nicht von mir, sondern aus dem Herzen eines jeden Menschen - , kommen muß.

Manchmal, wenn jemand im Begriff ist zu sterben und seinen letzten Atemzug macht, mag er seine Pflicht viel besser erkennen, als zu Lebzeiten. Wenn der letzte Atemzug vollzogen wurde, wird man seine Pflicht erkennen. Woran wird man denken, wenn man dabei ist, diese Welt zu verlassen? Man wird dann erkennen, wer der Nachbar ist, der unverzüglich zu Hilfe eilt.

Derjenige ist Dein Nachbar, der unverzüglich kommt, um Dir zu helfen, wenn Du Deinen letzten Atemzug vollbracht hast; erzähl mir, wer dieser Freund ist. Alle anderen Freunde werden Dich verlassen, doch ein Freund ist dort, der genau in diesem Augenblick kommen wird, um dir zu helfen. Ein Freund in der Not ist ein wahrhafter Freund; doch Deine Not liegt darin, daß Dein Atem stirbt. Wer kommt dir zu Hilfe? Doch es gibt jemanden, den wir aufgrund des Egoismus der menschlichen Natur vollkommen vergessen haben. Genau dann wirst Du erkennen, was Deine Pflicht ist und wer Dein Nachbar ist.

Das „Gute“ daran ist „Das“, was Dich in die Lage versetzt, jenen teuersten Nachbarn zu lieben, der genau dann, wenn du in Not bist, zu dir kommen wird, um dir zu helfen. Damit habe ich ein Streiflicht auf die Frage geworfen, was Wirklich „Gut“ ist. Es ist gut, Deinen Nachbarn zu lieben und herauszufinden, wer Dein Nachbar ist.