Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 48

Die Beziehung zwischen Gehirn und Verstand

Ein Besucher aus Spanien: Swamiji, was ist der Verstand, und woher stammen die Gedanken? Wie entstehen diese Gedanken in unserem Verstand?

Swamiji: Wenn man beginnt, eine Persönlichkeit zu werden, wenn man in das Sein kommt, erscheint auch der Verstand, denn man ist der Verstand selbst. Derjenige, der im Augenblick zu mir spricht ist der Verstand, der im selben Augenblick Herrn Soundso hervorbringt, d.h. Dich. Wann bist Du entstanden? Wie bist Du in das Sein gekommen?

Der Verstand ist das Bewußtsein der Individualität, und im selben Augenblick, wo sich Individualität erhebt, handelt auch gleichzeitig das individuelle Bewußtsein, das in früher Kindheit in einem sehr anfänglichen Stadium vorhanden ist. Wenn die Individualität heranreift, wird das Individualitätsbewußtsein, genannt Verstand, auch immer klarer. Als Du noch ein kleines Baby warst, war das eigene Bewußtsein noch sehr unbestimmt. Jetzt ist es so klar wie der helle Tag.

Die Antwort auf Deine Frage ist kurz gesagt, daß der Verstand das Bewußtsein der Individualität und in jeder erschaffenen Sache gegenwärtig ist. Selbst ein Atom hat eine Art von Verstand. Es wird nicht erlauben, daß seine Individualität durch irgendeine Art äußerer Beeinflussung gesprengt wird; es bewahrt seine Selbstidentität. Der Kern des Atoms, um den Elektronen kreisen, bildet die Individualität, und das unterscheidet ein Atom ebenso vom anderen, wie es eine Person von der anderen und eine Sache von einer anderen Sache unterscheidet.

Alles in der Welt, angefangen bei der unbelebten Materie bis hin zur menschlichen Ebene, bewahrt eine eigene Identität und es wird auch zu nichts anderem werden wollen. Du bist, was Du bist, und Du kannst nichts anderes werden. Dieses eigene Identitätsbewußtsein, das sich selbst bewahrt, kann nicht zu etwas anderem werden als das, was es ist, und das ist der Verstand, der überall im Kosmos handelt. Er ist nicht nur in einem Individuum. Wenn er wie eine individualisierte Selbstbehauptung in einem besonderen Zentrum handelt, wird er im Falle eines Menschen zum „Ich“; und wenn dies in einem anderen Menschen geschieht, ist er ein anderes „Ich“. Wenn er in einem Insekt ist, ist es das „Ich“ in diesem Insekt. Wenn er in einem Baum ist, bewahrt er auch die eigene Individualität, und zwar in einem biologischen Zustand, der seinen eigenen Verstand hat. Er ist nicht so sehr bewußt, vielmehr im Protoplasma und anderen Dingen als biologisches Leben vorhanden.

Im Wesentlichen ist der ganze Verstand kosmisch, denn er handelt überall. Es gibt letztendlich nur einen Verstand, der sinnbildlich wie ein Ozean oder See als Kosmischer Geist bezeichnet wird. Er erscheint als Tropfen, als Welle oder als ein Kräuseln, das individuell in unterschiedlichen Personen, Dingen, Individualitäten usw. wirkt.

Wann auch immer es ein Bewußtsein der Individualität in irgendeinem Menschen oder irgendeiner Sache gibt, beginnt der Verstand sofort zu arbeiten, denn Verstand und individuelles Bewußtsein bedeuten ein und dieselbe Sache. Falls sich irgend jemand dessen bewußt ist, daß er als Individuum existiert, wird dieses Bewußtsein Verstand genannt. Darum ist der Ursprung der Individualität dasselbe wie der Ursprung des Verstandes.

Wie sich die Individualität erhebt, ist eine kosmische Frage. Es ist eine Frage der Kosmologie und der Schöpfung, und damit bewegen wir uns über die Psychologie hinaus. Deine Frage ist teilweise eine psychologische Frage, doch wenn man tiefer hineingeht, wird es eine kosmologische Frage der Schöpfung selbst, was sehr tief geht und weiter, als der Verstand in der Lage ist zu arbeiten. Dann muß man nämlich erkennen, wie die Individualität überhaupt entstand, womit man sich jenseits der Möglichkeiten menschlicher Erfahrungen begibt. Dies ist meine Antwort auf Deine Frage.

Besucher aus Spanien: Vielen Dank, Swamiji.

Swamiji: Man sagt, daß sich der Verstand innerhalb des Gehirns befindet. Woher kommt das Gehirn? Man nimmt auch an, daß sich der Verstand vom Gehirn unterscheidet.

Besucher aus Spanien: Ja, so sagt man.

Swamiji: Berührt der Verstand das Gehirn oder ist er vom Gehirn getrennt? Was für eine Beziehung gibt es zwischen Verstand und Gehirn? Woraus besteht das Gehirn? Woraus besteht der Verstand? Du siehst, es wurde von Dir bereits akzeptiert, daß es zwei Dinge sind.

Besucher aus Spanien: Ja.

Swamiji: Darum kann man sagen, daß das Gehirn aus einem materiellen Stoff besteht. Ist der Verstand auch aus materiellem Stoff? Oder besteht er aus irgend etwas anderem? Laß die Wissenschaftler diese Frage beantworten. Wenn der Verstand aus einem anderem Stoff besteht, aus welcher Substanz besteht er dann? Wenn er aus demselben Stoff wie das Gehirn besteht, wird er zu demselben Material wie das Gehirn; dann kann es sich selbst nicht bewußt sein, denn Materie ist sich selbst nicht bewußt. Wie kommt es also, daß man sich seiner bewußt ist, wenn der Verstand nichts weiter als bloße Materie ist? Ist Materie sich selbst bewußt? Um sich selbst zu erkennen, benötigt die Materie etwas anderes. Materie kann Materie nicht erkennen; nur die nicht-existierende Materie erkennt die existierende Materie, darum müssen wir sagen, daß der Verstand aus nicht­-exi­stierender Materie besteht. Wenn er nicht-existierende Materie ist, was ist nicht-existierende Materie? Woraus besteht sie?

Diese Idee verwirrt. Die Idee ist nicht korrekt, denn es handelt sich nicht um zwei unterschiedliche Dinge. Wenn der Verstand und das Gehirn zwei unterschiedliche Dinge wären, hätte man das Gefühl, wie eine geteilte Persönlichkeit, wie zwei Personen zu sein. Doch hast Du das Gefühl, zwei Personen zu sein? Du bist ein vollkommenes, integriertes, festes Sein. Wie kann dieses Ganzheitsbewußtsein entstehen, wenn zwei verschiedene Dinge in einer Persönlichkeit handeln? Besteht man aus zwei zusammengesetzten Teilen? Hast Du das Gefühl, ein duales Individuum zu sein, oder fühlst Du, ein vollkommenes Ganzes zu sein? Was meinst Du?

Besucher aus Spanien: Ich fühle mich vollkommen.

Swamiji: Wie sind dann diese zwei Dinge dorthin gekommen? Man kann nicht aus zwei Dingen bestehen und sich wie ein Ding fühlen. Dies ist unmöglich, es liegt also ein Mißverständnis in der Vorstellung des Verstandes vor, indem er glaubt, sich innerhalb des Gehirns zu befinden. So ist es nicht, denn es verhält sich vollkommen anders. Der Verstand befindet sich nicht innerhalb des Gehirns.

In Wirklichkeit ist das Gehirn eine verfestigte Form des Verstandes; mit dem Verstand verhält es sich in bezug auf das Gehirn und den Körper wie bei Wasser und Eis. Dies ist der Grund, weshalb man sich als vollkommenes Ganzes fühlt; ansonsten würde man sich wie eine geteilte Persönlichkeit fühlen, - etwas Materie und etwas Nichtmaterie. Man wäre als geteilte Persönlichkeit immer unglücklich. Das Gefühl für das individuelle und das vollkommene Bewußtsein wird nur empfunden, wenn es keinen Unterschied zwischen dem Verstand und der Materie gibt. Es ist eine Sache, die wie zwei aussieht. Du kommst aus Spanien. Es gibt in Spanien einen großen Philosophen namens Spinoza. Hast Du von Spinoza gehört?

Besucher aus Spanien: Ja.

Swamiji: Weißt Du, worüber er schreibt? Du hast nichts von ihm gelesen. Bist Du ein Philosoph?

Besucher aus Spanien: Eigentlich bin ich kein Philosoph.

Swamiji: Unterrichtest Du keine Philosophie? Spinoza sagt, daß der Verstand und die Materie wie zwei Flügel eines Vogels sind. Der Vogel ist die wichtigste Sache; wenn der Vogel nicht da ist, sind auch keine Flügel vorhanden. Darum habe ich gesagt, daß der Verstand in seiner Lebensfunktion vom Gehirn oder der Materie untrennbar ist; doch wie uns Spinoza, Plato und Aristoteles oder Indische Denker und Mystiker usw. richtig sagen, gibt es eine Universale Substanz (Wesenheit), die wie Gedanke und Materie erscheint. Dies will uns Spinoza mitteilen. Du bist tatsächlich Universale Substanz und nicht dieses oder jenes. Aufgrund einiger besonderer Phänomene, die sich im Schöpfungsakt erhoben haben, hast Du Dich selbst von der Kos­mischen Substanz (Wesenheit) getrennt, Du siehst wie ein Individuum aus, das von der Kosmischen Substanz (Wesenheit) isoliert ist.

Die letztendliche Wirklichkeit ist gemäß Spinoza Wesenheit (Substanz). Wer mag, kann sie als Gott bezeichnen. Spinoza nennt ES Universale Substanz, die sich Selbst bewußt ist. Dieses Selbstbewußtsein der Universalen Substanz, von der jedermann letztendlich untrennbar ist, wird Gott genannt. Doch in der Schöpfung hat sich unglücklicherweise aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung von Raum und Zeit dieses getrennte Bewußtsein erhoben und jeder Teil der Universalen Substanz begann sich, als etwas vollkommenen Selbständiges zu behaupten.

Ein Teil dieses kosmischen Verstandes wurde von dem vollkommenen Ganzen getrennt und behauptet sich als „Ich bin Soundso“ bis hinunter zu den Insekten und Atomen. Dann verfestigt sich dieses Bewußtsein der Trennung von der Kosmischen Substanz in die Sinnesorgane und Instrumente der Handlung - bekannt als Körper, Gehirn, Herz, Lungen und viele andere Dinge. Auf diese Weise bin ich tatsächlich langsam unbewußt in ein kosmisches Subjekt hineingeschlittert, was ich vermeiden wollte.

Man ist prinzipiell kosmisches Sein, und wenn einem dies bewußt ist, wird man frei sein und keine Probleme mehr haben. Dies ist ein anderer Weg, um das individuelle Bewußtsein als Teil des Gottesbewußtsein zu beschreiben.

Besucher aus Spanien: Und durch Meditation wird man sich dessen bewußt?

Swamiji: Es ist durch Meditation und große Selbstbeschränkung möglich, wenn unter der Führung einer kompetenten Persönlichkeit die Kontrolle der Sinnesorgane und korrekte Meditation ausgeübt wird.

Besucher aus Spanien: Bezüglich Meditation gibt es viel Verwirrung.

Swamiji: Ja, ich weiß. Es ist keine einfache Angelegenheit und sie muß sorgfältig angeleitet werden. Anfangs sieht es einfach aus; doch danach wird es etwas schwieriger. Für alle Menschen erfordert es einen kompetenten Lehrer.