Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 47

Wissen und materielle Macht

Swamiji: Selbst wenn ich es erkläre, wird es nicht in den Verstand eingehen, denn ein fundamentales Problem hindert Dich daran, es zu verstehen. Es wird Dich sogar daran hindern, das was ich sage, zu würdigen.

Wie will man dieses fundamentale Problem entfernen? Es ist der grundsätzliche Fehler im Denken, was jeden Menschen, bis auf wenige Ausnahmen, betrifft. Es ist jener fundamentale Fehler im Denken, der bestimmte Lehren der Psychologie, wie Verhaltensforschung, Pragmatismus, Nützlichkeitstheorie, Materialismus usw. zur Folge hat. Man kann nicht sagen, daß es unsinnige Lehren sind, dennoch sind sie wirklich unhaltbar, da sie die Vorstellung vermitteln, daß der Verstand eines Menschen dem physischen Körper untergeordnet, und eine Offenbarung des Körpers oder eine Funktion des Körpers ist. Dies ist ein fundamentaler Denkfehler.

Wenn der Verstand dem Körper untergeordnet ist, ist jegliche Verstandesarbeit ohne Wert, womit auch Erziehung wertlos ist, weil sie aus einer geistigen Handlung hervorgeht. Man möchte lieber ein reicher Geschäftsmann als ein wirklich gebildeter Mensch sein. Es gibt kein Verlangen nach wirklicher Erziehung, denn man möchte nicht so sehr ein gebildetes Genie, sondern, um Macht anzuwenden, lieber ein wertvoller Geschäftsmann sein. Dies ist das Wesen des weltlichen Denkens.

Die Verhaltensforschung der Psychologie sagt, daß der Verstand eine Offenbarung des Körpers ist. Als Beispiel dafür, daß der Verstand aus dem Körper hervorgeht, dient durchaus der Vergleich mit einem Streichholzkörper, aus dem nach dem Entzünden Feuer hervorgeht, so daß der Körper die Ursache (die Quelle) und der Verstand die Wirkung ist. Die Wirkung kann nicht so bedeutsam wie die Ursache sein. Darum dient alles, was zur Zufriedenheit und Bestätigung des physikalischen Körpers beiträgt, - das Ego und was man als Egoismus, Selbstachtung usw. bezeichnet, - zur Bestätigung des Körpers. Physische Bestätigung schließt das Streben nach Wohlstand, Name und Ruhm mit ein. Alles dies ist nur mit dem physikalischen Körper verbunden und jede mentale und intellektuelle Aktivität wird durch die falsche Vorstellung ersetzt, daß der Verstand eine Offenbarung des Körpers ist.

Gut ausgebildete, hoch begabte, wissenschaftliche Denker des Westens waren keine dummen Menschen, sondern intellektuelle und scharfe Denker, und dennoch sind sie zu dem Schluß gekommen, daß der Verstand dem Körper untergeordnet und letztendlich in ihm eingeschlossen ist. Der Körper steht an erster; der Verstand an zweiter Stelle.

Dies ist der fundamentale Fehler im menschlichen Denken als solchem, von dem ich nicht sagen kann, daß irgend jemand davon befreit ist. Niemand ist von dieser falschen Denkweise befreit, weshalb auch eine akademische Erziehung nicht zum wirklichen Ziel führt. Erziehung ist nicht attraktiv und darum wird einem gut erzogenem Menschen nicht so viel Respekt entgegen gebracht wie einem Millionär. Ein Millionär hat eine größere Anziehungskraft als ein wohlerzogener Mensch. Dies ist wiederum ein fundamentaler Fehler im Denken, der nicht korrigiert werden kann, wenn nicht eine göttliche Orientierung, eine außerordentliche Shirshasana (Umkehrhaltung) des Bewußtseins stattfindet.

Glaubt irgend jemand daran, daß bloße Gedanken im Verstand über der physischen Existenz stehen? Niemand glaubt daran, denn die physische Existenz ist weit wichtiger als bloße Gedanken. Was ist das Gute am Denken? Dies ist der Grund, warum Meditation in vielen Fällen auch keine Wirkung hat und nutzlos wird, da der Verstand sich an zweiter und der Körper an erster Stelle befindet. Auf diese Weise bewegt sich das Denken in der Meditation mehr über den Körper als über alles andere!

Wenn der Körper in der Meditation vor allem anderen anfängt zu denken, dann ist das eine sehr ernst zu nehmende Angelegenheit. Denke über diese Sache nach. Es ist der Körper, der schwingt und denkt, wobei man sich vorstellt, daß man, - was nicht der Wahrheit entspricht, - auf Gott meditiert. Die Wahrheit ist anders; der Verstand ist die Ursache; der Körper ist die Wirkung. Der Körper entspringt dem Verstand und nicht umgekehrt. Diese Art der Philosophie ist falsch, doch der Körper ist so stark, daß er den Verstand herausfordern und sagen kann: „Sei still, denn ich bin stark; das ist alles.“

Alle politischen Aktivitäten, alle Kriege in der Welt, alles, was in der Welt stattfindet, sind Aktivitäten des Körpers, die den Verstand beeinflussen. Der Körper bestätigt sich selbst. Die Welt verlangt nicht so sehr nach einem geistigen, denkenden Genie, sondern nach einem politischen Machthaber, - nenne ihn König oder Minister. Wer genießt mehr Ansehen, ein Minister oder ein wohlerzogener Mensch? Sag mir, wer mehr Ansehen hat. Man kann die Frage nicht beantworten. Die Antwort ist wie ein fürchterliches Erdbeben. Wer ist größer, der Präsident eines Landes, oder ein hoch qualifiziertes Genie? Wer ist angesehen? Warte die Antwort ab, sie wird kommen.

Diese Antwort wird auch über das Schicksal der akademischen Erziehung bestimmen. Die Antwort wird über das Schicksal aller erzieherisch tätigen Institute und über alles, was man als Lernen bezeichnet, bestimmen. Darum wird das Herz diese Frage auch nicht beantworten. Es wird sagen: „Es ist besser, wenn ich nichts sage.“ Man sollte nichts sagen, denn es ist sehr gefährlich, eine Antwort anzubieten, weil man hier eine Verbotszone betritt. Die irdischen Rufe können sogar einer göttlichen Sehnsucht trotzen. Die Welt wetteifert mit Gott.

Dies ist der Grund, warum niemand zur Akademie (d.h. zur wahren Erziehung) kommen möchte, und auch niemand sonderlich an ihr interessiert ist. Das Urteil darüber, warum das Wissen aufgrund der Dummheit der Menschen, die sich in der Wurzel aller Dinge befindet, keine Fortschritte erzielen wird, habe ich in dieser Hinsicht zur letzten Entscheidung dem Höchsten Gericht vorgelegt.

Damit habe ich jetzt meine erste akademische Vorlesung gehalten. Ich spreche aus dem Herzen und nicht nur als Denker. Mein Herz vibriert; es revoltiert gegenüber dieser Idiotie der Machtverehrung, gegenüber den sozialen Werten, Geld und der physikalischen Stärke. Die Seele revoltiert gegenüber dem bloßen Gedanken an die materielle Vorherrschaft. Die Seele sagt: „Glaubst Du denn wirklich, daß ich keine Kraft habe?

Glaubst Du, daß der Oberbefehlshaber stärker als die Seele ist? Glaubst Du das wirklich? Sag es mir ehrlich. Ist der Oberbefehlshaber stärker als die Seele, ja oder nein? Das Herz kann diese Frage nicht beantworten. Es revoltiert innerlich: „Was ist los? Du machst einen großen Aufstand vor mir.“ Es fürchtet sich, irgend etwas zu sagen. Darum laß ihn fortfahren. Ich möchte nichts weiter dazu sagen.

Niemand kann sich die Stärke des Körpers richtig vorstellen. Er hat eine solche Macht, daß er die Seele herausfordern und unterdrücken kann; was er auch bereits getan hat. Dies ist der Grund, warum die Welt so bleibt, wie sie ist. Die Welt dreht sich in dieser Art und Weise weiter, denn die Seele wurde unter dem Gewicht des Körpers mit den Füßen niedergetrampelt.

Es ist nicht leicht, Gott zu erkennen, denn, wieviel man auch immer singt und springt, der Körper wird sagen: „Ich stehe über Gott. Was willst Du eigentlich?“ Und selbst die Idee von Gott ist nur eine Offenbarung des Körpers. Dies ist der schlimmste Teil davon, - selbst die Idee von Gott ist eine auf Erfahrung beruhende, unwirkliche Vorstellung, sagt der Deutsche Philosoph Emanuel Kant. Leute wie Kant haben die Idee in Verruf gebracht, daß Gedanken Wirklichkeit sind. Er unterscheidet sich von Hegel; Hegel und Kant sind gegensätzlich in ihrer Ansicht, ob Gedanken Wirklichkeit sind oder sich davon unterscheiden. Ist etwas Gedachtes tatsächlich vorhanden, oder stellt man sich nur etwas vor? Wenn man gemäß Kant an etwas denkt, bedeutet es nicht, daß es existiert. Doch Hegel sagt, wenn man denkt, ist es da. Warum haben sie zwei unterschiedliche Denkansätze? Es liegt an jedem selbst, dies zu erkennen, - es ist der Weg der Erfahrungen und der Weg des Abstrakten, die den Verstand formen. Kant sagt, daß selbst die Idee von Gott nicht beweist, daß Gott existiert, und daß die Gedanken über ein Objekt kein Objekt in die Existenz bringen. Dies bedeutet, daß der Gedanke unwirklich ist. Im Denken, das auf Erfahrungen beruht, befindet sich das Objekt außerhalb des Gedanken’. Im abstrakten Denken, das aufrichtige Meditation ist, ist der Gedanke EINS mit dem Objekt. Hier liegt der Unterschied zwischen Kant und Hegel, d.h. der Erfahrungslehre und der Metaphysik.

Diese Frage wirkt sich auch schädlich auf den Meditationsprozeß aus, denn, wenn das Denken unwirklich ist, ist Meditation ebenfalls wirkungslos, es sei denn, man führt eine Hegelsche Umwandlung herbei, die im Gegensatz zur Meinung von Kant steht. Das, was Kant sagt, entspricht der Erfahrungslehre, wobei die Gedanken in Wirklichkeit nur eine Funktion des Körpers sind. Eine physische Schwingung denkt in der Form eines Gedankens und stellt sich vor, daß das, was sie denkt, bereits vorhanden ist: Wenn wir dem großen Kant folgen wollen, dann ist unsere Idee von Gott nicht Gott Selbst.

Doch solange die Idee nicht zu Gott wird, wird die Meditation ergebnislos sein. Darum muß man einen Weg finden, bei dem die Idee und Gott nicht nebeneinander stehen. Sie müssen identisch sein. Gedanke ist Sein; Bewußtsein ist Existenz. Wenn dieser Anspruch geltend gemacht wird, dann wird die Meditation erfolgreich sein. Wenn das Bewußtsein nicht Existenz ist, dann wird sich die Existenz von einem selbst wegbewegen, und es bleibt lediglich Bewußtsein ohne Existenz übrig, was ein anderer Weg für die Behauptung von Nichtexistenz wäre.

Die Menschen sind sofort bereit, zu einem Tanzvergnügen, in einen Film, oder zu einem großen Fest mitzugehen. Du wirst sehen, ob die Leute mitgehen oder nicht. Was glaubst Du? Du könntest an dem schönsten Fest teilhaben. Wirst Du hingehen, oder wirst Du sagen: „Ich habe leider viel zu tun.“ Heute nacht findet im Club ein schönes Tanzvergnügen statt. Wirst Du hingehen, oder wirst Du sagen, daß Du viel zu tun hast? Zu dem Zeitpunkt wirst Du nicht zuviel zu tun haben. Wenn ich um Unterstützung in der Akademie bitte, bedauerst Du, viel zu tun zu haben. Du hast keine Zeit, dorthin zu gehen, um zu unterrichten oder am Unterricht teilzunehmen.

Der physische Körper hat eine solche Macht, und kann seine Stärke in so mannigfacher Weise offenbaren, daß Du selbst nicht einmal erkennen wirst, was da vor sich geht. Du wirst Dich in einem Traumland befinden, unter der Vorstellung, daß Du ein großer, reifer Mensch bist.

Shri Krishna Sharmaji: Aber kann jemand über etwas nachdenken, was nicht existiert?

Swamiji: Es scheint so, als ob es existiert. Das ist ein anderer Trick des Verstandes, nämlich zu behaupten, daß er existiert, doch es ist der Körper, der ihm das Gefühl dazu gibt. Es ist der Körper, der sagt: „Ich existiere,“ und er gibt einem das Gefühl, daß da noch etwas existiert; andererseits hätte der Materialismus nicht so viel Erfolg in dieser Welt. Materialismus ist heutzutage das regierende Gesetz, oder glaubst Du, daß alle Menschen dieser Welt Narren sind? Es sieht fast so aus. Gerade habe ich gefragt, ob ein hoch qualifizierter, gebildeter Mensch oder ein Oberbefehlshaber mehr angesehen ist. Wer hat mehr Ansehen? Hat der Präsident eines Landes oder ein Meistergenie mehr Ansehen? Diese Frage entscheidet darüber, ob der Verstand oder der Körper mehr Ansehen genießt?

Was machst Du, wenn ein Präsident kommt, und was machst Du, wenn ein hoch gebildeter Mensch kommt? Sieh Dir den Unterschied in Deinem Verhalten an. Das Ganze ist ein Trick des Körpers. Der Körper sagt: „Ich bin unter allen Umständen angesehener“, obgleich man theoretisch akzeptiert, daß es den Verstand gibt, doch es ist das „Ich“, das handelt, sagt der Körper. Der Körper handelt auch als Verstand. Darum fürchtet sich sogar der gebildete Mensch vor dem Oberbefehlshaber, doch was geschieht dann mit der Bildung? Warum fürchtet sich der Verstand vor dem Körper? Hier liegt das Wesentliche verborgen. Die Furcht vor dem Oberbefehlshaber oder dem Präsidenten ist die Furcht des Verstandes vor dem Körper. Der Verstand fürchtet sich vor dem Körper und wenn solch ein Verstand auf Gott meditiert, was geschieht dann?

Sharmaji: Wenn sich ein gebildeter Mensch vor etwas fürchtet, so bedeutet das, daß er nicht wirklich richtig gebildet ist.

Swamiji: Dies ist unser Verstand; jene Art von Verstand, mit der wir ausgestattet sind. Der wirkliche metaphysische Verstand ist nicht gegenwärtig und handelt nicht. Es ist nur der Verstand der Sinnesempfindungen, der handelt. Der Verstand der Erfahrungen und der Empfindungen handelt; der metaphysische Verstand handelt nicht. Diese beiden Verstandesformen, der metaphysische und der erfahrende Verstand, wurden in vielen Einzelheiten von zwei großen Denkern des Westens, Hegel und Kant, studiert. Jedermann sollte verstehen, warum sie in zwei unterschiedliche Richtungen sprechen. Beide haben gleiches Ansehen; man kann nicht sagen, wer weniger Ansehen hätte. Zwei Menschen mit gleichem Ansehen lehren zwei unterschiedliche Dinge. Wie ist das möglich? Dies zu erkennen ist notwendig, und dieses Wissen versuchen wir Eurem Verstand in der Akademie einzuträufeln, - doch die Leute haben keine Zeit!

Selbst wenn ein Mensch im Sterben liegt, fürchtet er um seine Ersparnisse. „Ich habe viel Erspartes und an verschiedenen Stellen Goldketten versteckt. Was wird damit geschehen?“ Er wird zu Dir sagen: „Mein lieber Junge, ich gehe. Wo sind meine Ersparnisse?“ Sein Prana (die Lebensenergie) schwindet. An welchen Gott wird er in diesem Augenblick denken.

Man bittet um die mächtige Gnade Gottes, um über dieses Problem hinweg zu kommen. Oder, so könnte man sagen, man bittet um die mächtige Gnade eines spirituellen Meisters, eines Gurus; denn ansonsten wird uns der Teufel in diesem Körper nicht erlauben, auf die richtige Weise zu denken.

Birgit: Aber arbeiten die beiden in der Meditation nicht zusammen? Arbeitet die Meditation nicht durch die Sinneswahrnehmung und beobachtet den Atem?

Swamiji: Man geht davon aus, daß in der Meditation der Verstand nicht durch die Sinnesorgane und unter den Bedingungen des physischen Körpers arbeitet; doch unglücklicherweise verhält sich der Verstand in bezug auf den physischen Körper wie ein Sklave und befürchtet, sich selbst zu verlieren. Todesfurcht ist die größte Furcht. Man befürchtet nicht den Tod des Verstandes, sondern man befürchtet den Tod des Körpers. Niemand möchte sterben. Im Tode stirbt der Verstand nicht wirklich, sondern er besteht weiter. Nur der Körper wird verschwinden. Die Todesfurcht ist nichts weiter als die Furcht vor dem Verlust der eigenen physischen Existenz. Das verdeutlicht die falsche Beziehung des Verstandes zum Körper, denn der Verstand ist tatsächlich vom Körper unabhängig. Er ist nicht der Sklave des Körpers. Doch im normalen Denken stellen wir uns vor, daß der Verstand eine Offenbarung des Körpers ist, und darum lieben wir den Körper weit mehr als den Verstand. Meditation oder wahrhafte Erkenntnis ist eine nicht auf Erfahrungen beruhende Identität des Gedankens mit dem Sein.