Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 38

Prüfen unseres Fortschritts auf dem spirituellen Weg

Swamiji: Wenn ein Baby schreit, weiß man manchmal genau, was es wünscht, und ein anderes Mal weiß man überhaupt nicht, warum es schreit. Häufig schreien die Kinder, ohne zu sagen warum. Sie hören auch nicht auf zu jammern, wenn man sie fragt, und sie sprechen auch nicht, wenn man danach fragt, was denn los sei. Nur selten sagen sie, was sie wünschen.

Darum muß man diesem Phänomen auf jeden Fall Aufmerksamkeit schenken. Man muß sich auch selbst sehr sorgfältig die Frage stellen, ob man alles bekommen hat, was man sich wünscht oder ob man das Gefühl hat, daß es nicht alles war. „Ich habe nicht alles bekommen; es gibt noch bestimmte Dinge, die ich mir wünsche.“ Prüfe, ob sich im Inneren eine solche Stimme erhebt.

Auf diese Weise kann man sich selbst überprüfen. Wie häufig wird man tagsüber ärgerlich? Man stelle sich folgende Frage: „Wie oft habe ich mich im letzten Monat geärgert?“ Falls es keinen Ärger gegeben hat, ist es wundervoll, gut und schön. Wenn es jedoch Ärger gegeben hat, warum ist es geschehen? In diesem Fall kann man sich die Frage stellen: „War er berechtigt?“

Es gibt zwei Arten von Ärger. Der Ärger der Mutter über das kleine ungezogene Kind, um es vor Schaden zu behüten; der Ärger des Arztes über den ungehorsamen Patienten und der Ärger des Lehrers über den Schüler, der seine Schulaufgaben nicht ordentlich erledigt, dies sind alles erzieherische Ärgernisse, aber kein wirklicher Ärger. Das ist gut so, denn hier werden die Gefühle nicht unnötig strapaziert. Der Richter wird ärgerlich, wenn ein Rechtsanwalt nicht richtig argumentiert, aber dies ist kein gefühlsbetonter Ärger, sondern nur ein intellektuelles Befremden.

Der schädliche Ärger entsteigt den Gefühlen des Herzens und verletzt wirklich jemanden. Dies ist gefühlsmäßiger Ärger und man muß sich sehr davor schützen: „Habe ich mich auf diese Weise geärgert? Wenn ja, dann muß ich darauf achten, daß es in Zukunft nicht wieder vorkommt.“

Gestern hat mich jemand nach der ersten Stufe im Yoga gefragt und ich habe dazu vier oder fünf Prinzipien erwähnt. Brichst Du irgendeines dieser Prinzipien im täglichen Leben? Es sind wichtige Grundprinzipien, da sie sich mit den Beziehungen zu anderen Leuten und dem Ausmaß der erreichten Gefühlsbeschränkungen, die man erreicht hat, befassen. Bei diesen kleinen Dingen kann man etwas darüber erfahren, welche Fortschritte man macht.

Es gibt noch eine andere Sache. Fühlst Du Dich inmitten vieler Leute wohl, oder bist Du glücklich, wenn Du vollkommen allein und unbekannt bist? Angenommen, Du bist drei Tage lang allein und bekommst niemanden zu Gesicht, es besucht Dich auch niemand, denn Du bist weitab in einer isolierten Region an einem abgesonderten Platz, - fühlst Du Dich unter diesen Bedingungen glücklicher als inmitten von vielen anderen Menschen, oder fühlst Du eher, daß dies ein Unglück ist, daß Du auf diese Weise nicht allein sein kannst, sondern eine bestimmte sozial Atmosphäre um Dich herum brauchst?

Je glücklicher jemand ist, wenn er allein ist, desto spirituell fortgeschrittener ist er. Je miserabler sich jemand fühlt, wenn er allein ist, desto weniger Fortschritte hat er gemacht. Die großen Mystiker erzählen uns manchmal tatsächlich, daß das eigene außerordentliche Bemühen ein „Alleinflug zum ALLEINSEIN“ ist.

Wir sind letztendlich allein in diesem Universum, doch wir erkennen diese Tatsache aufgrund unserer Illusionen nicht. Unser Geist ist in einem Netzwerk voller Irrtümer gefangen, aufgrund dessen wir fühlen, daß wir viele Freunde haben, die uns unterstützen, doch in Wirklichkeit sieht es anders aus.

In dieser Welt, die auf Verhältnismäßigkeit eingerichtet ist, kann kein Teil von sich behaupten, Freund eines anderen Teils zu sein. Alle sind wie Kettfaden und Schuß in einem Stück Stoff miteinander verflochten und sind in diesem Sinne als Teile des Universalen Ganzen voneinander abhängig, wobei niemand ein Freund bzw. Feind des anderen ist. Man kann dies als Kosmische Demokratie bezeichnen, in der man weder Gelegenheit hat, irgend jemanden zu mögen, noch jemanden nicht zu mögen. Die Dinge sind wie das Garn bei einem Kleidungsstück durch Kette und Schuß voneinander abhängig, und sie sind eng miteinander verbunden, so daß man sie als Brüder oder Schwestern bezeichnen kann, doch man kann ein Stück Garn nicht als Freund eines anderen Stück Garns ansehen. Es ist eine Zusammenarbeit, die zwischen den Garnen stattfindet, und diese Zusammenarbeit ist mehr eine transzendentale Handlung als eine gefühlsbetonte Freundschaft.

Das bedeutet jedoch letztendlich, daß Du allein bist, daß Du zu niemandem gehörst und niemand zu Dir gehört. In diesem Bewußtsein nähert man sich jenem Höchsten ALLEINSEIN, welches das Absolute ist. Gott hat weder Freunde noch Verwandte und dennoch kann ER deshalb nicht als weniger glücklich angesehen werden. Kann man sagen, daß Gott, nur weil ER keine Freunde und keine Familie hat, deshalb eine unglückliche Person ist, und daß es uns besser geht, nur weil wir all dieses Zubehör haben? Das Gegenteil ist der Fall.

Je weiter man sich der letzten Form des ALLEINSEINS nähert, desto größer ist der Fortschritt, den man auf dem spirituellen Sektor gemacht hat. Doch, wenn man in Gesellschaft, Politik, Gemeinschaft usw. verstrickt ist, bleibt man solange unglücklich, wie man nicht im Mittelpunkt des Marktplatzes, Kinos und Ballsaales steht, denn ohne diese gibt es keinen Frieden, was wirklich eine tragische Bedingung des Geistes ist. Wer jedoch mit sich selbst zufrieden ist und von niemandem irgend etwas begehrt - „Mein Bewußtseinszustand ist so, daß ich alles, was ich jetzt zum Leben brauche, aufgrund der kosmischen Handlungen bekomme“ - der braucht niemanden um irgend etwas zu bitten, denn „Alle diese Dinge werden Dir zuteil werden.“

Das Universum ist sowenig außerhalb von Dir, wie sich ein Stück Stoff außerhalb des Garns befindet. Wenn das Garn mit dem Stoff etwas besprechen muß, dann braucht es zur Begegnung kein Flugzeug, denn es ist bereits dort. Wenn Du also irgend etwas von der Kosmischen Bewegung wünschst, dann brauchst Du nicht hierhin und dorthin zu gehen, denn „ALLES“ berührt bereits Deine Nase,- nimm es in Anspruch, denn es ist bereits da.

Soweit zum Wesen der Überprüfung, die man bei sich selbst bezüglich des eigenen Fortschritts auf dem spirituellen Weg anwenden kann. Dies ist meine kurze Botschaft an Dich. Ohne eine Frage von Dir, habe ich Dir nun einiges erzählt.