Swami Krishnananda:

Antwort auf deine Fragen

Kapitel 2

Die Schönheit und die Psychologie des Wunsches

Lyle: Swamiji, ich habe eine Frage bezüglich Schönheit. Du hast geschrieben, daß die Schönheit eine sanfte Offenbarung der Seele ist. Ich fühle, daß ich immer nach dieser Schönheit suche, und ich möchte gerne wissen, wie ich damit als Teil meiner spirituellen Übung (Sadhana) arbeiten kann.

Swamiji: Schönheit ist das Merkmal jenes Objektes, das als Gegenstück genau zu einem entsprechenden Mangel im Verständnis eines Menschen paßt. Es gibt so eine Art Lücke im Verstand, und das genaue Gegenstück dazu ist die Schönheit des Objektes. Es ist eine rein psychologische Frage.

Es gibt eine besondere Lücke in der mentalen Struktur eines Menschen, welche ihn rastlos und unglücklich usw. sein läßt. Obgleich jeder irgendwie unglücklich ist, ist der Grund für das Unglücklichsein nicht in allen Fällen gleich. Die Rastlosigkeit und das Unglücklichsein mögen bei unterschiedlichen Menschen durch verschiedene Faktoren hervorgerufen sein, und ein entsprechendes Objekt muß, um ein Glücksgefühl hervorzurufen, für jeden Verstandestyp individuell, gefunden werden.

Was für mich schön ist, mag für Dich nicht schön erscheinen. Manchmal werden die Menschen sogar durch häßliche Dinge angezogen. Was Du als häßlich und uninteressant empfindest, mag für andere Menschen attraktiv sein, weil er/sie eine andere geistige Struktur haben. Jeder muß herausfinden, was er mag. Wenn Du nicht hungrig bist, wird das Essen Dich nicht zufriedenstellen. Deine besondere Art des Hungers bestimmt die Art der Ernährung, die Du benötigst.

Das Unglücklichsein kann nicht bei allen Menschen durch ein gleichförmiges Heilmittel oder eine allgemeine Medizin geheilt werden. Entweder findest Du Deine Mängel selbst heraus, oder Du versuchst es mit Hilfe einer Person, die Dich führen und Deinen Verstand in der Tiefe analysieren kann. Wenn Du einmal herausgefunden hast, warum Du unglücklich bist, wirst Du auch das Heilmittel kennen und Du wirst wissen, nach welcher Art Schönheit Du suchst.

Lyle: Das Merkwürdige an der Schönheit ist, daß sie nicht definierbar ist.

Swamiji: Die Schönheit ist in der Welt nicht überall so verbreitet, daß die Menschen hingehen können, um sie sich anzusehen. Sie ist nicht so ohne weiteres sichtbar. Sie ist nur dem individuellen Auge und nicht der allgemeinen Wahrnehmung sichtbar.

Die Schönheit ist nicht unabhängig vom Beobachter. Tatsächlich gibt es so etwas wie 'die Schönheit' nicht. Sie existiert nicht. Es ist wie mit dem Schmecken. So etwas wie das Schmecken gibt es eigentlich auch nicht; es ist nur ein besonderer Sachverhalt, der aufgrund der Arbeit der Geschmacks-Knospen auf der Zunge hervorgerufen wird. Wenn die Geschmacks-Knospen nicht funktionieren, wird auch nichts zu schmecken sein. Das Objekt als solches schmeckt nicht. Es ist weder süß noch sauer. In den Objekten sind solche Qualitäten nicht enthalten, aber sie wirken über eine besondere Struktur unserer physiologischen Betätigung und werden als schmackhaft oder ähnliches empfunden. Die Welt kennt solche Qualitäten nicht. Sie ist unpersönlich - weder gut noch schlecht, weder hübsch noch häßlich. Wir reagieren aufgrund unserer einzigartigen strukturellen Aufmachung.

Lyle: Auf welche Weise ist Deiner Meinung zufolge Schönheit eine sanfte Offenbarung der Seele?

Swamiji: Schönheit ist eine Offenbarung der Seele mit einem Gefühl der sofortigen Vollkommenheit, wie im Falle eines quadratischen Stabes, der genau in ein quadratisches Loch hineinpaßt. Die Seele ist nichts anderes als die Symmetrie, Vollkommenheit und Harmonie des Bewußtseins. Wenn wir einen runden Stab in ein quadratisches Loch pressen, ist dies keine vollkommene Handlung. Der runde Stab sollte nur in ein rundes Loch eingeführt werden. Es gibt eine Art Wunsch im Verstand des Menschen, welcher nach Erfüllung in einer Wechselbeziehung strebt.

Die Seele ist keine Substanz. Sie ist Bewußtsein; ein Gefühl von Vollkommenheit. Es gibt keine Seele außerhalb oder innerhalb; Bewußtsein ist die Seele. Die Seele handelt nicht direkt. Sie muß durch den Verstand handeln. Was auch immer wir wahrnehmen oder empfangen, ist die geistige Wirkung. Der Verstand reflektiert die Seele, was uns bestimmte Dinge bewußt werden läßt; wir sind uns keiner Sache in seiner “Vollkommenheit” bewußt, da der Verstand selten eine ungeteilte Funktion ausübt.

Es gibt in keiner unserer Wahrnehmungen ein Gefühl von Vollkommenheit. Wie wir die Dinge nicht richtig erkennen können, wenn die Sonnenstrahlen durch defekte Brillengläser hindurchgehen, so können wir auch nicht die Dinge richtig erkennen, wenn die Seele durch einen defekten Verstand reflektiert wird. Wenn der Verstand korrigiert, und der Fehler dadurch beseitigt wird, daß ihm das richtige Gegenstück für den Mangel vorgestellt wird, scheint es so, als ob die Seele vollständig reflektiert wird. Jene vollständige Reflexion drückt sich in einem Gefühl der Zufriedenheit aus. Dann nennen wir jenes Medium schön, geschmackvoll, hübsch. Es ist ein tiefenpsychologischer Vorgang.

Der jeweilige Bedarf unterscheidet sich von Person zu Person. Die Art der Vollkommenheit, die jemand benötigt, wird sich ziemlich voneinander unterscheiden. Und Du kannst auch dieselbe Sache nicht für alle Zeit lieben. Sogar die eigenen Wünsche werden sich entsprechend den Umständen ändern. Du kannst niemals mit derselben Sache ein Leben lang glücklich sein. Das ist unmöglich. Unser Verlangen ist wankelmütig und ungleichmäßig.

Lyle: Swamiji, wie können wir unsere Wünsche sublimieren.

Swamiji: Du kannst die Wünsche nicht sublimieren, es sei denn, Du erfüllst sie. Wichtig ist herauszufinden, wie Du sie erfüllst. Die Art der Erfüllung ihrer Forderungen ist Dein Geheimnis.

Du kannst einen Wunsch nicht unterdrücken; kein Wunsch kann verschüttet werden. Wenn Du ihn unterdrückst, wird er Ärger bereiten. Du mußt ihn erfüllen, aber wie Du ihn erfüllst, das ist Dein Geheimnis.

Manchmal erfüllst Du sogar dadurch seine Bedürfnisse, indem Du ihm buchstäblich nicht nachgibst. Wenn Du ihm buchstäblich alles erfüllst, wie er es wünscht, dann wird es ein großes Problem geben. Sublimieren unterscheidet sich von Erfüllung. Erfüllung ist ein unmittelbarer körperlicher Prozeß, wohingegen Sublimation eine spirituelle Integration bedeutet.

Der Verstand wünscht sich etwas Besonderes, aber nicht alles zur selben Zeit. Der Verstand will nicht, daß ihm die ganze Welt gegeben wird. Niemand bittet um die ganze Welt; weshalb jeder Wunsch auf seine Art intrigierend ist. Wenn Du darauf vorbereitet bist, ihm alles zu geben, so will er es gar nicht, weil er nur bestimmte ausgewählte Dinge mag. Das ist ein Zeichen von Weisheitsmangel hinter jeder Art von Wunsch.

Es gibt einfache Wünsche, starke Wünsche, zulässige Wünsche, entleerende Wünsche. Wünsche, die Dich Deiner Energie berauben und darum nicht erfüllt werden sollten. Jene harmlosen Wünsche, wie zum Beispiel der Wunsch nach einer Tasse Tee bei kaltem Wetter, werden Dir irgendwie nicht schaden; aber es gibt andere gefährliche Wünsche, welche Dich vollständig erschöpfen und schwächen. Solche Wünsche sollten nicht erfüllt werden.

Aus der Sicht eines Sadhaka (spirituell Übender) sollte der Verstand allmählich dahingehend erzogen werden, sich mehr mit dem Ganzen, und nicht nur mit einem Teil, zufriedengestellt zu fühlen. Wenn Du um bestimmte Dinge bittest, werden Deine Wünsche niemals zu Ende kommen, denn Du wirst zwar heute, wenn Du diesen besonderen Gegenstand bekommst, zufrieden sein, doch morgen wird sich derselbe Verstand,- wie ein Bandit -, etwas anderes wünschen. Wenn Du damit anfängst, die Bedürfnisse eines Banditen zu erfüllen, dann will er heute Deinen Geldbeutel, morgen Dein Haus, am übernächsten Tag Dein Land und schließlich Dein Leben. Du solltest also nicht damit fortfahren, einen Straßenräuber zufrieden zu stellen. Die Wünsche sind so und darum solltest Du sie erziehen. Führe eine erzieherische Maßnahme im Denken durch, denke ganzheitlich. Stelle Deinem Verstand keine Teilfragen mehr, sondern gib ihm wohltuende Aufgaben. Schließlich kann Dich nur Gott selbst zufriedenstellen. Alle anderen Wünsche sind nutzlos, und sie werden Dich immer tiefer in Kummer verstricken. Du mußt Deinen Verstand dahingehend erziehen, daß er Gott vertraut und mit der Schönheit Gottes zufrieden ist.

Wir haben über die Schönheit diskutiert. Gott ist das schönste Objekt. Kein anderes Objekt auf der Welt kann so schön sein wie Gott, aber uns wurde in der Religion gelehrt, daß Gott ein alter Mann, ein Schöpfer, der Vater im Himmel ist, der einen langen Bart hat. Wie kann “ER” schön sein?

Keine Religion bekundet öffentlich, daß Gott schön ist. Manchen ist “ER” ein hoher Richter, ein Gesetzgeber und drohender Schrecken, der bereit ist, Gerechtigkeit zu üben; doch keine Religion sagt, daß “ER” schön ist. Hier liegt der Fehler der Religionslehrer. Wir suchen weitaus mehr nach der Schönheit und weniger nach einem Richter.

Wir müssen akzeptieren, daß Gott am schönsten ist, und daß keine andere Schönheit Seiner Schönheit ebenbürtig ist. Mit dieser Wahrnehmung der schönsten Schönheit vor Augen fühlt sich das Herz zufriedengestellt. Gott ist nicht nur groß oder herrlich; “ER” ist schön! Laß dies Dein Herz akzeptieren. Dann wirst Du sehen, wie die Wünsche sich verringern, und Du wirst danach um nichts mehr auf dieser Welt bitten. Es gibt keine erfolgreichere Methode als diese.

Lyle: Mein Verstand sagt mir, daß Gott nicht begriffen werden kann.

Swamiji: Du kannst “Ihn” psychologisch begreifen, indem Du Deinen Verstand in einer wohltuenden Art auf “Ihn” ausrichtest. Alles was zuträglich ist, ist Gott. Gott bedeutet nicht etwas weit Entferntes von Dir. Es beinhaltet die Charakteristik des wohltuenden Denkens, des ganzheitlichen Denkens, und nicht das Denken in Teilen oder Bruchstücken. Das Objekt der Wahrnehmung sollte selbst in dem Gesamtprozeß der Wahrnehmung enthalten sein. Es sollte sich nicht außerhalb von Dir befinden. Unsere Wahrnehmungen sind solange einseitig, wie sich das Objekt außerhalb des Wahrnehmungsprozesses befindet.

Wir sehen die Dinge nicht richtig; wir sehen sie einseitig, als wären sie von uns isoliert. Die Objekte sind nicht wirklich isoliert. Sie befinden sich nicht außerhalb des Prozesses der Wahrnehmung. Du mußt Dich zu der Überzeugung erziehen, daß sich das Objekt der Wahrnehmung innerhalb des gesamten Wahrnehmungsprozesses befindet. Das ist das ganzheitliche Denken, welches ich erwähnte. Dann wirst Du die Wünsche nicht mehr als etwas, was “außerhalb” von Dir ist, betrachten. Wenn das Objekt vollständig im Wahrnehmungsprozeß enthalten ist, wie willst Du dann danach verlangen? Der Wunsch löst sich sofort auf. Sadhana ist ebenfalls ein Erziehungsprozeß. Man muß sehr sorgfältig beim Denken vorgehen, und nichts dem Zufall überlassen. Es ist schwierig, aber Du wirst, wenn Du Fortschritte darin erzielst, glücklich sein.

Lyle: Sollten wir das Objekt in das Subjekt integrieren?

Swamiji: Das, was Du mit Deinen Augen siehst, ist irgendwie in Dir enthalten. Doch wir sind nicht dazu fähig, es zu verstehen, da wir mit der begrenzten Form unseres Verstandes denken. Es gibt einen Prozeß, durch dessen Hilfe wir in der Lage sind zu erkennen, daß das Objekt existiert. Wenn Du diesen Prozeß analysierst, wirst Du feststellen, daß das Objekt sich nicht außerhalb von Dir befindet. Wenn das Objekt sich vollständig außerhalb befände, dann würde es Dir nicht einmal bewußt, daß es so wäre. In der Wahrnehmung findet ein integrierender Prozeß statt, der in sich selbst eine Art Meditation ist.

Lyle: Swamiji, würdest Du im Meditationsprozeß eine Reihenfolge empfehlen, um den Verstand in die “Pratyahara-Konzentration” hineinzuziehen?

Swamiji: Das wird in den Sutras von “Patanjali” erklärt. Man wendet heutzutage zwei psychologische Prozesse an, die als abnorme und generelle Psychologie bekannt sind. Alles Denken in dieser Welt bezüglich aller detaillierten Wünsche bedeutet abnormales Wahrnehmen. Das Denken an Objekte, ohne irgendwelche besonderen Wünsche, bedeutet generelles Wahrnehmen. Wenn ich die Wand anschaue, habe ich bezüglich der Wand keine besonderen Wünsche; aber wenn ich eine Apfelsine sehe, dann kann da der Wunsch entstehen, sie zu essen. Das sind die zwei Arten des Denkens. Das bloße Bewußtsein von einem Objekt ohne spezielle emotionale Reaktion, und das Bewußtsein von einem Objekt mit emotionaler Reaktion gegenüber diesem Objekt, sind die zwei Reaktionen des Verstandes, die man Vrittis nennt. Die emotionell geladenen Vrittis werden Klishta Vrittis genannt, wobei der Autor darunter die schmerzverursachenden Psychosen versteht. Das Schmerzgefühl wird dadurch verursacht, daß Du etwas nicht bekommen hast, was Du gerne gehabt hättest. Zweitens schmerzt es selbst durch die Furcht, daß Du es verlieren könntest, nachdem Du es bekommen hast, und wird noch schmerzhafter, wenn Du es tatsächlich verloren hast.

Ein Wunschobjekt ist daher immer eine Quelle des Schmerzes. Wann bereitet es Dir Freude? Wie auch immer, solche Wünsche und Gedankenwege sind Klishta Vrittis. Diese müssen am Anfang behandelt werden. Du hast nach der Reihenfolge gefragt. Die Schmerzverursachenden sollten, wie bei einer medizinischen Behandlung, zuerst behandelt werden, denn akute Krankheiten werden zuerst behandelt und die chronischen Krankheiten etwas später.

Angenommen, ein Patient hat Atemnot und auch ein Ekzem. Du wirst nicht gleich das Ekzem, sondern zunächst die Atemnot behandeln. Mache Dir auch keine Gedanken über die allgemeine Wahrnehmung von Dingen wie Berge und Flüsse usw., obgleich diese auch Vrittis sind. Wir müssen zuerst die akuten Bedingungen (wunschbeladene Vrittis) behandeln, welche von “Patanjali" knapp als geliebte und ungeliebte Objekte klassifiziert wurden. Beide sind mit Wünschen verbunden. Der Wunsch, etwas besitzen zu wollen und der Wunsch, etwas nicht besitzen zu wollen, sind beides nur Wünsche.

Du kannst tatsächlich nicht etwas wünschen, wenn Du nicht bestimmte andere Dinge nicht wünschst. Wenn du etwas Bestimmtes auswählst, schließt Du etwas Bestimmtes aus, und das, was Du ausschließst, wird zum ungeliebten oder gehaßten Objekt. So dicht liegen Liebe und Haß beisammen; sie sind wie Ober- und Unterseite einer Münze. Die eine Seite kann nicht ohne die andere sein.

Gemäß “Patanjali” gibt es zwei Arten von Vrittis, die mit den geliebten und ungeliebten Objekten verbunden sind. Es gibt eine weitere Vritti, die die Form der Todesfurcht annimmt. Der ganze Lebenskampf scheint sich um die Erhaltung des eigenen Lebens zu drehen. Aus diesem oder jenem Grund möchte man überleben. Nicht für allen Reichtum dieser Welt möchte man das eigene Leben bedroht sehen. Todesfurcht, Liebe und Haß, Egoismus und Selbstbehauptung wie: “Ich komme zuerst und jeder andere nach mir”, werden von “Patanjali” als schmerzbringende Vrittis betrachtet.

Jeder Wahrheitssucher, spirituelle Sucher, Sadhaka (spirit. Übender), sollte leidenschaftslos diese Psychosen analysieren. Wenn Du etwas wünschst, mache eine Liste aller Dinge, die Du wünschst und finde die Wege und die Bedeutung, wie Du damit umgehen willst, heraus. Die ganzen anderen Vrittis müssen jede für sich, unabhängig davon, betrachtet werden. Sie sollten so behandelt werden, daß sie im normalen Leben keine Beunruhigung hervorrufen. Sehr selten sind die Menschen im Kontrollieren dieser abnormen Vrittis erfolgreich.

Selbst wenn du Fortschritte darin erzielst, kein abnormales Verlangen zu haben, wirst Du außerhalb Deines Selbst’ die Welt als Objekt genereller Wahrnehmung empfinden. Das muß als zweite Stufe behandelt werden, was sich als schwieriger als die erste Stufe herausstellen wird. Du magst irgendwie Deinen Verstand vom Wunschdenken befreien, aber wie willst Du Deinen Verstand vom Bewußtsein der Welt selbst zurückziehen? Das muß in Samadhi und Samapatti (Stadien des Überbewußtseins) behandelt werden. Es gibt Meditationsstufen, die von “Patanjali” beschrieben werden. Ich habe diesen Prozeß detailliert in meinem Buch “Yoga As a Universal Science” abgehandelt.

Diese Wünsche haben bestimmte Besonderheiten. Sie offenbaren sich nicht offen. Häufig sind Wünsche sehr intelligent. Sie wissen, daß ein direkter Angriff nicht immer erfolgreich ist. Sie liegen im Hinterhalt, und wenn Du unaufmerksam bist, stürzen sie sich plötzlich auf Dich und Du bist gefangen, ohne sogar zu wissen, daß Du auf diese Art durch diese Wünsche gefangen wurdest. Plötzlich beginnst Du damit, etwas zu tun, was Du später bereuen wirst, weil Du nicht vorsichtig genug die Möglichkeit versteckter Wünsche bedacht hattest.

Wünsche können auch schlummern, wie ein schlafender Dieb. Oder, wenn Du sie mit Hilfe Deiner Meditation in die Ecke zu treiben versuchst, mögen sie kleiner werden, geschwächt, so als ob sie sterben würden, aber, wenn die Gelegenheit kommt, werden sie wieder stark. Ein ausgehungerter Dieb ist auch ein Dieb; er mag sich sättigen und danach wieder stark werden.

 

Manchmal erscheinen die Wünsche, um zu anderen Zeiten wieder zu verschwinden. Wenn sie verschwinden, bedeutet es nicht, daß sie wirklich weg sind; das, was nicht sichtbar ist, muß nicht notwendigerweise seine Existenz verloren haben. Und manchmal tauchen sie wieder offen vor Dir auf. So können sie schlafen, geschwächt oder unterbrochen sein, oder aber direkt angreifen. Dies sind die Fallen, in denen die Wünsche den Menschen gefangen halten. Man muß viele Jahre lang kämpfen, um sie zu überwinden.

Angenommen, Du erzielst durch Deine Reife in der Meditation Fortschritte im Besiegen des abnormalen Verlangens, dann wirst Du das Problem des Bewußtseins von etwas, das außerhalb Deines Selbst’ ist haben. Das ist eine sehr ernsthafte Sache. Das Universum muß in tiefer Meditation mit dem Selbst identifiziert werden, so daß das Phänomen von “außerhalb” in der universellen Wahrnehmung aufgelöst wird. Das ist in Kürze die Reihenfolge, wie Du den Verstand behandeln mußt.

Lyle: Ich habe geglaubt, daß man beim Meditieren zuerst auf den “tamasischen” und “rajasischen” Verstand achtet.

Swamiji: Diese abnormalen Wünsche sind eine Mixtur von Tamas (Trägheit) und Rajas (Leidenschaft). Das reine Bewußtsein eines Objektes ohne Wunsch ist Sattvik Guna oder die handelnde Qualität. Es schadet Dir in keiner Weise, wenn Du Dir eines Baumes im Walde bewußt bist; doch dadurch, daß sich hier das Bewußtsein außerhalb von Dir befindet, ist es von Bedeutung. Es ist eine Sattvik Vritti, aber es ist dennoch eine Vritti.

Daß Du lediglich durch eine goldene Kette gebunden bist, bedeutet nicht, daß Du nicht gebunden bist, denn die Sattvik Vrittis müssen ebenfalls überwunden werden. Von Rajas und Tamas gehst Du allmählich zu Sattva (Reinheit) über.

Lyle: Und danach muß man nicht weiter in “Ida” oder in “Pingala” sein? Man muß sich in “Sushumna” (drei verschiedene Bez. zur Lokalisation des Pranastromes) einrichten.

Swamiji: Sie werden während Deiner Meditation auf sich selber achten. Du mußt nicht einmal an Ida und Pingala denken. Der Kanal, durch den Du atmest, entspricht der Art Deines Denkens. Wenn Deine Gedanken korrekt sind, dann wird Prana (Lebensatem) automatisch korrigiert. Du brauchst Dich darum überhaupt nicht zu kümmern. Du ignorierst es. Der Atem wird automatisch in die Sushumna eintreten.

Die erste und wichtigste Pflicht ist darum, auf die Gedanken zu achten. Der Prana-Strom kommt als nächstes, und Du brauchst Dich darum nicht zu sorgen. Der Kummer kommt nur vom Verstand. Das gilt es zuerst zu beachten. Yoga ist schließlich eine mentale Funktion, eine Gedankenanordnung im integrierten Sinne.

Lyle: Während der Meditation finde ich meinen Verstand in tamasischem oder rajasischem Zustand. Was kann ich dann tun?

Swamiji: Wenn tatsächlich Tamas und Rajas hinzukommen und Dir Sorgen bereiten, höre auf zu meditieren. Trinke eine Tasse Tee, schlendere ein wenig auf der Veranda herum, atme zehn oder fünfzehn Minuten lang tief ein und aus, und dann meditiere wieder. Danach wird der Verstand wieder anfangen sich zu konzentrieren. Er ist in der Meditation, aufgrund eines Gefühls von Ermüdung, in Tamas und Rajas eingetreten. Er ist erschöpft wie ein Pferd, das einen Wagen über eine längere Entfernung gezogen hat. Nach einiger Zeit will das Pferd anhalten und dann ist es sinnlos, es weiter anzutreiben.

Wenn der Verstand müde und unwillig ist, solltest Du nicht meditieren. Wenn er erschöpft ist, ruhe Dich aus. Wenn er unwillig ist, finde den Grund dafür heraus. Er möchte etwas anderes tun als das, was Du tun möchtest.

Lyle: Normalerweise kann die Situation bewältigt werden, nicht wahr?

Swamiji: Wenn er turbulent ist, kannst Du nicht meditieren. Wenn es sich nur um eine kleine Zerstreutheit handelt, dann warte einige Minuten, und beginne wieder. Warte zehn oder fünfzehn Minuten; verhalte Dich ruhig, atme tief und beginne dann wieder. Manchmal kannst Du etwas hörbar kauen, so daß er zufriedengestellt sein mag. Der Verstand möchte Zufriedenheit und nicht so viel Beunruhigung. Danach setzt Du Dich dann zur Meditation. Es wird sich legen.

Manchmal, wenn es sehr schwierig ist und der Verstand sich überhaupt nicht beruhigt, lege Dich für einige Minuten schlafen; dann steh’ auf und beginne noch einmal zu meditieren. Du mußt verschiedene Methoden anwenden, so als ob Du mit einem ungezogenen Kind, das überhaupt nicht auf irgend etwas hören will, umgehst. Manchmal mußt Du seinem Verlangen nachgeben; manchmal mußt Du erzieherische Methoden anwenden; manchmal kannst Du ihm eine Medizin usw. geben. Du mußt Deine Intelligenz gebrauchen, um das Problem zu verstehen.

Lyle: Würdest Du “Pranayamas” (Atemübungen) vorschlagen?

Swamiji: Sie sind bis zu einem gewissen Grade, aber nicht vollkommen, nützlich. Du kannst den Verstand nicht bloß mit Pranayama kontrollieren. Wie willst Du Deine Wünsche, wenn sie stark sind, nur mit dem Atmungsprozeß zurückziehen? Parallel dazu mußt Du auch mit dem Verstand arbeiten. Pranayama ist als zweite Hilfe notwendig, - aber keine komplette Lösung.

Lyle: Swamiji, wie können wir versuchen, die Wünsche zu sublimieren?

Swamiji: Zuerst mußt Du herausfinden, warum die Wünsche entstehen. Warum sollten die Wünsche im Verstand überhaupt entstehen, wenn Du beschließt, daß sie nicht gut sind? Wenn sie gut sind, gibt es keinen Grund dafür, sie zu sublimieren. Wenn sie nicht gut sind, warum erlaubst Du ihnen zu entstehen? Du stellst sie wohlüberlegt unter dem Eindruck her, daß sie gut sind und sagst gleichzeitig, sie sind nicht gut. Somit hast Du eine geteilte Einstellung gegenüber den Wünschen.

Nun, wer erschafft denn die Wünsche? Bist Du der bedachte Schöpfer der Wünsche, oder sind sie es selbst, die aus Deinem Selbst’ hervortreten? Das mußt Du zuerst in einem Prozeß der Selbstanalyse herausfinden. Die tiefe Wurzel des Wunsches muß gefunden werden.

Lyle: Ich glaube es sind Bedürfnisse von der “Basis”.

Swamiji: Wenn Du das Wort “Basis” gebrauchst, dann schließt Du wahrscheinlich diese Wünsche als untrennbar von Deiner Existenz als Person ein. Das ist die Bedeutung von “Basis”. Deine Existenz als Person bedeutet auch die Existenz dieser Wünsche. Das würde bedeuten, sie würden nur verschwinden, wenn Du als Persönlichkeit verschwindest, denn sie sind untrennbar mit Deiner Existenz verbunden.

Wie willst du verschwinden? Deine Persönlichkeit sollte aufhören zu existieren, dann verschwinden, entsprechend unserer Analyse, auch diese Wünsche. Wenn die Ursache verschwindet, verschwindet auch die Wirkung. Die ganze Frage betrifft die grundsätzliche Existenz des Menschen als eine individuelle psycho-physikalische Existenz. Das muß verschwinden. Das muß sublimiert werden und nicht die Wünsche. Die armen Wünsche sind nur die Begleiter der grundsätzlichen Existenz eines Menschen. Der Hauptangeklagte ist die Existenz des individuellen Selbst’, und die Wünsche sind nur Sprößlinge des Menschen. Darum betrifft das Sublimieren nicht die Wünsche, sondern das Persönlichkeitsbewußtsein.

Das Persönlichkeitsbewußtsein kann nur sublimiert werden, indem es in das Universelle Bewußtsein transzendiert wird. Du bist Dir bewußt, daß Du eine Person namens “Lyle” bist, und daß es sich hierbei um eine vollkommen falsche Definition von Dir handelt, nämlich um eine bloße Namengebung einer physischen Persönlichkeit. So lange diese physische Persönlichkeit besteht, werden sich auch Deine Probleme fortsetzen. Wenn Du Dich von diesen Problemen befreien willst, mußt Du sehr sorgfältig im Umgang mit dieser Feststellung sein. So etwas sollte nicht gesagt und danach wieder vergessen werden. Deine physische Existenz ist das Problem, und diese Existenz muß verschwinden.

Die individuelle Existenz hört nur in der Universellen Existenz auf zu existieren. Sie kann nirgendwo anders aufhören. Wenn sich Deine Meditation auf das Universelle Selbst richtet, wird sich das individuelle Bewußtsein mit Ihm vereinigen und transzendiert werden. Mit dem Universellen Selbst vereinigt, werden auch die Wünsche blitzartig sublimiert. Dies ist die höchste Technik, an die man denken kann. Es gibt schließlich keine andere Lösung. Alle anderen Lösungen sind vorübergehend und ein Notbehelf. Die endgültige Lösung besteht ausschließlich in der tiefen Meditation auf die Universelle Existenz, vor der kein Problem bestehen kann. Alles verschwindet, wie die Dunkelheit in der Sonne.