Mysterium und Kontolle des Geistes

Auszüge aus dem Buch "Mind - Its Myteries and Control" von Swami Sivananda

8. Kapitel

Gedankenkraft

Gedanken sind eine vitale, lebendige Kraft; die lebendigste, feinste und unwiderstehlichste kraft im Universum. Gedanken sind lebendige Dinge. Jede Gedankenveränderung wird von einer Schwingung ihrer geistigen Substanz begleitet. Der Geist nimmt jede Form an, auf die er sich konzentriert. Jeder Gedanke hat seinen bestimmten Namen und auch Form. Die Form ist der gröbere und der Name ist der feinere Zustand einer einzigen, sich offenbarenden Kraft, namens Gedanke.
Sprachen und Bezeichnungen (für etwas) gibt es viele, doch dahinter steht immer nur ein Gedanke. Die geistige Vorstellung ist überall gleich. Gedanken sind feine Substanzen, die so fest wie ein Stein sein können. Die Gedanken sterben im Gegensatz zum Körper nie. Sie haben eine eigene Form, Größe, eigenes Aussehen, Farbe, Eigenschaft, Beschaffenheit, Kraft und Gewicht. Ein Yogi kann all diese Gedanken mit seinem inneren Yogischen Auge sehen. Man kann mit Gedankenkraft wahre Wunder bewirken. Wenn ein kraftvoller Gedanke im Geist aufrechterhalten wird, dann wird auch der physische Körper kraftvoll sein. Es steht geschrieben, dass „ein Mensch so ist, wie er denkt“. Wenn man über Mut als eine gute Eigenschaft meditiert, wird man auch Mut im Charakter entwickeln. Wer edel und erhaben denkt, wird damit einen edlen Charakter erwerben; wer dagegen niederträchtig denkt, wird Niedertracht in seinen Charakter einpflanzen. Beständig andauernde Gedanken bilden eine bestimmte Gedankengewohnheit, die sich als eine Charaktereigenschaft offenbart. Das Denken formt den Charakter, so dass man sich durch den Faden der Gedanken sein eigenes Schicksalskostüm strickt.
Jeder Mensch hat seine eigene geistige Welt, seine eigenen Ansichten, Empfindungen, Gefühle, gewohnheitsmäßigen Gedanken, seine eigenen Erfahrungen und seine eigene Art zu denken. Im Reich der Gedanken ziehen sich gleichgeartete Gedanken an, so dass ein Mensch durchaus anhand der Gesellschaft, in der er sich aufhält, erkannt werden kann. Ein Arzt sucht die Gesellschaft von Ärzten, ein Dichter sucht seinesgleichen, ein Sänger zieht einen anderen Sänger an, ein Philosoph liebt andere Philosophen, und ein Vagabund mag am liebsten andere Vagabunden. Das Geistorgan ist mit einer gewissen ‘Zugkraft’ ausgestattet. Von allen verfügbaren sichtbaren und unsichtbaren Lebenskräften, Einflüssen und Bedingungen zieht man stets jene an sich, die den eigenen Gedanken und Absichten am ähnlichsten sind.
Ein guter Gedanke ist dreifach gesegnet: Erstens trägt er zur Verbesserung des eigenen Geistkörpers bei; zweitens begünstigt er jene Person, an die der Gedanke gerichtet ist, und drittens wirkt er für die gesamte Menschheit aufbauend, in dem er das allgemeine Gedanken- und Geistesklima aufhellt.
Jeder böse Gedanke ist wie ein Schwert, das über dem Kopf dessen schwebt, auf den dieser Gedanke gerichtet ist. Hassgedanken lassen den Denkenden zum Mörder an demjenigen werden, dem diese Hassgedanken gelten. Dadurch ermordet man sich letztendlich selbst, da diese Gedanken wie ein Bumerang wieder zurückfliegen. Böse Gedanken vergiften die geistige Atmosphäre und die aufnahmefähigen Geistorgane anderer. An einem bösen Gedanken festzuhalten bedeutet, ihn allmählich seiner Widerwärtigkeit zu berauben und den Denker schließlich zu einer entsprechenden bösen Handlung zu zwingen. Gedanken sind Dein privates Eigentum, das Du gänzlich nach Deinem eigenen Geschmack gestalten kannst, wenn Du nur regelmäßig davon Gebrauch machst und fest davon überzeugt bist. Es liegt ganz allein in Deinen Händen, welche Art von Gedanken Du pflegst, und welcher Art von Einflüssen Du unterliegst, so dass Du nicht bloß eine, den Umständen entsprechende, biegsame Kreatur sein musst, es sei denn, Du hast Dich dafür entschieden. Gedanken sind wahrlich Deine eigenen Kinder, sei deshalb im Umgang mit Deiner gedanklichen Nachkommenschaft vorsichtig. Böse Gedanken bringen Dir Unglück und Sorgen; edle Gedanken dagegen Glückseligkeit und Freude. So, wie man die eigenen Kinder mit großer Lieben und Sorgfalt aufzieht, so sollte man ebenfalls gute und erhabene Gedanken pflegen und aufziehen.
Der Geist arbeitet wie eine drahtlose Maschine. Ein im Frieden, innerem Gleichgewicht und Harmonie - voller spiritueller Wellen - befindlicher Geist, sendet Gedanken des Friedens und der Harmonie in die Welt hinaus. Diese Gedanken reisen mit unvorstellbarer Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen und treten in die Geistorgane unzählbarer Menschen ein, um dort gleichartige Gedanken der Harmonie und des Friedens zu erzeugen. Ein weltlicher Mensch dagegen, dessen Geist mit Eifersucht, Rache und Hass angefüllt ist, sendet misstönende Gedanken aus, die in die Köpfe vieler Menschen eintreten und dort dieselben Hass- und Eifersuchtsgedanken hervorrufen. Gedanken sind ansteckend. Geselle einen guten und ehrlichen Menschen zu einem Dieb, und er wird alsbald auch stehlen. Ebenso wird ein nüchterner Mensch, alsbald in der Gesellschaft eines Trunkenboldes anfangen zu trinken.
Welches Medium ist möglicherweise vorhanden, durch das bzw. in dem die Gedanken von einem Geistorgan zum anderen reisen können? Die beste Erklärung wäre wohl die, dass die Manas-, d.h. Geistsubstanz selbst den gesamten Raum wie Äther ausfüllt, und somit lückenlos als Vehikel zum Transport der Gedanken dient, wie dies im Falle der Gefühlsempfindungen durch das PRANA99 und für den Klang durch den Äther geschieht. Der Geist ist all-durchdringend wie AKASHA109. Gedanken bewegen sich ihrer Natur gemäß zeitlos. Man kann einen nützlichen und kraftvollen Gedanken an einen Freund wie einen Apfel in dessen Hand so übergeben, und diesen Gedanken auch wieder zurückerhalten. Wenn man an jemanden einen liebevollen und hilfreichen Gedanken aussendet, dann verlässt dieser Gedanke das Gehirn, erreicht unmittelbar den Empfänger, in dem der gleiche liebevolle und hilfreiche Gedanke aufsteigt und mit doppelter Kraft zum Absender zurückkehrt. Die meisten unserer Gedanken sind nicht fest genug verankert; sie kommen und entschlüpfen wieder, weshalb sie auch nur unbestimmt und schwankend sind. Die Umrisse der Gedanken sind nicht klar und bestimmt genug. Durch Selbsterforschung, tiefe Reflexion und Meditation muss man die Gedanken sesshaft werden lassen und zu einer klaren Form kristallisieren. Durch klares Denken, Abwägen, Selbsterforschung und Meditation müssen die Ideen deutlich ihren Charakter zeigen, nur dann wird jegliche Verwirrung verschwinden. Denke klar und reinige Deine Gedanken zu einem beträchtlichen Ausmaß. Beruhige die Gedanken und erlaube dem Geist keine Luftblasen. Lass eine Gedankenwelle nach der anderen sich beruhigen und erlaube erst dann, einem neuen Gedanken einzutreten. Vertreibe alle fremdartigen Gedanken, die nicht mit dem Gegenstand der gegenwärtigen Überlegungen in Verbindung stehen. Jemand, der immer die Wahrheit spricht und moralisch rein ist, hat stets machtvolle Gedanken. Wenn ein Yogi mit kraftvollen Gedanken auch nur ein Wort spricht, wird dies einen gewaltigen Eindruck im Geist anderer hinterlassen. Unnachgiebiges, beständiges und klares Denken, bis hin zu den Wurzeln aller Probleme, bis zu den tatsächlichen Grundlagen aller Situationen und den wahren Vorbedingungen allen Denkens und Seins, ist die Essenz des Vedantischen Sadhanas. Du wirst eine alte Idee dann aufgeben müssen - unabhängig von ihrer Stärke und inneren Verwurzelung -, wenn sich eine neue, erweiternde Idee einstellt. Wer nicht den Mut aufbringt, sich mit dem Ergebnis seines Denkens auseinanderzusetzen und die Schlussfolgerungen ernst zu nehmen, - was dies auch im Einzelnen für jemand bedeuten mag -, sollte sich nicht auf die dornigen Pfade der Philosophie begeben, sondern sich der Hingabe unter den Willen Gottes widmen.
Gedanken führen zur Handlung. Der Gedanke ist das eigentliche KARMA110. Wenn Du aus der Quelle trinken kannst, wirst Du frei von all den Leiden und Lasten dieser Welt sein. Beobachte Deine Gedanken sorgfältig. Ein weiser Mensch überwacht seine Gedanken und merzt alle üblen Gedanken aus, sobald sich diese an der Oberfläche des Geistes zeigen. Die Meditation auf Gott lässt im Geist reine Gedanken sich erheben, denn Gott ist Reinheit. Wer seine Gedanken beherrscht, kann mit äußerster Konzentration gewaltige Taten vollbringen. Sämtliche geistigen Turbulenzen, Sorgen, Ängste und Unklarheiten werden verschwinden. Jene, die auch nur ein wenig Gedankenkontrolle erreicht haben und ihr Sprechorgan beherrschen können, offenbaren ein ruhiges, heiteres, leuchtendes und angenehmes Gesicht mit glänzenden Augen, wie auch eine milde Stimme.
Im Aufrechterhalten unnützer Gedanken wird, wie im Falle von eitlem und rechthaberischem Geschwätz, unnötige Energie verschwendet. Deshalb sollte auch kein einziger Gedanke unnötig verschwendet werden. Lagere keine unnötigen Informationen in Deinem Gehirn. Lerne, den Geist zu entleeren und zu vergessen, was Du jemals gelernt hast. Unnütze Gedanken behindern Dein spirituelles Wachstum; abstoßende Gedanken sind Stolpersteine auf dem Weg zum spirituellen Fortschritt. Mit unnützen Gedanken bewegt man sich von Gott weg. Denke nur an das, was hilfreich und nützlich ist. Erlaube dem Denkorgan nicht, in alte Denkrillen abzugleiten und eigene Wege zu gehen. Man muss durch Selbsterforschung alle Arten von bedeutungslosen, unnützen, wertlosen, unreinen und sexuellen Gedanken, wie auch Gedanken der Eifersucht, des Hasses und der Selbstsucht ausmerzen. Man muss eine Gedankenkultur guter, liebender, erhabener und göttlicher Gedanken entwickeln. Jeder Gedanke muss von aufbauender, positiver Natur sein. Die Gedanken müssen stark, positiv und bestimmt sein. Die geistige Vorstellung muss deutlich und klar umrissen sein. Ein jeder Gedanke muss Frieden und Trost für andere sein, dann darf man sich für eine gesegnete Seele auf Erden halten; dann ist man eine mächtige Kraft auf Erden.
Es gibt verschiedene Wege, um böse Gedanken auszurotten: Ein Jnana-Yogi71 (jemand, der den Pfad der Erkenntnis geht) erreicht dies, indem er in OM oder der EINEN WAHRHEIT lebt. Er vernichtet alle üblen Gedanken durch VICHARA97 und eine innere Haltung des Gleichmutes. Er sagt, „dies oder das hat nichts mit mir zu tun, dieser Impuls entspringt dem Geist, von dem ich verschieden bin.“
Ein BHAKTA40 löst dieselben bösen Gedanken durch Gebet und Selbsthingabe auf, indem er sagt, „Oh mein Gott! Ich gebe mich Dir ganz hin, alle Früchte meines Handelns und selbst das Handeln opfere ich Dir; gib mir die Kraft, diese bösen Gedanken abzuwehren und zu vernichten.“ Aufgrund seiner Selbsthingabe wird ihm Gott zu Hilfe eilen. Der RAJA-YOGI beseitigt böse Gedanken dadurch, dass er aufsteigende VRITTIS4 entweder gleich auslöscht oder gegensätzliche, positive und sattvische Gedanken ersetzt.
Der vorangehende und allererste aller Gedanken ist das ‘ICH’. Das Geistorgan spielt ein verwirrendes Spiel. Es zu beherrschen gelingt nur, wenn man sein Wesen, Wirken und seine Gewohnheiten studiert und verstanden hat. PRANA99 ist der äußere Umhang des Geistes. Durch die Schwingung des feinstofflichen, psychischen PRANAS verdichtet sich die Gestaltung eines Gedankens. Durch PRANAYAMA93 (Kontrolle des PRANAS, d.h. der Atmung) kann man die geistigen Energien steigern und Gedankenkontrolle bzw. -kultur sich erwerben, was die Zustände der Leidenschaft (Rajas) und Trägheit (Tamas) beseitigt und jeglichen Unrat im Geist verbrennt.
Wer nicht dazu fähig ist, irgendeinen bösen Gedanken zu beherrschen, sollte zunächst seinen Körper und sein Sprechorgan zügeln, um dann allmählich auch die Gedanken zu beherrschen. Sprich nicht abfällig über andere, dann wird auch der Geist allmählich nicht mehr abfällig über andere denken. Man kann seine Handlungen nur kontrollieren, wenn man moralisch ist. Abfälliges Reden vergiftet den Geist verschiedener Menschen, was höchst schändlich ist. Unterbreche solches Reden und fordere den Geist unverzüglich zu einigen guten Gedanken auf. Wiederhole einige Gebete. Eine täglich, mehrstündige Schweigezeit ist hilfreich zur Kontrolle der Sprechimpulse und der Gedanken wird zur Einsparung von Energie, zur Entwicklung der Meditation, der Kontrolle und der Kultur der Gedanken verwendet. Das wirklich ernsthafte Bestreben, die üblen Gedanken zu überwinden, wird Dich so beschäftigen, dass Du unmittelbar erwachen wirst, sobald sich störende Gedanken im Traum erheben.
Die geistige Handlung ist die wirkliche Handlung. Erinnere Dich stets daran. Gott richtet den Menschen nach seinen Absichten; weltliche Menschen dagegen urteilen nach den äußeren körperlichen Handlungen. Wenn man auf die Absichten eines Menschen schaut, wird man nicht fehlgehen. Beschäftige den Geist, dann können sich nicht so leicht schlechte Gedanken einschleichen. Ein träger Geist ist die Werkstatt des Teufels. Sei immer mit einer Arbeit beschäftigt und beobachte ständig Deine Gedankenwellen. Vermeide loses Reden und Geschwätz. Fülle den Geist mit erhabenen Gedanken. Entwickle einen reinen Gedankenhintergrund bzw. eine reine Vorstellungsgrundlage. Im Ruhestand sollte jeder auf dem geeigneten Fundament seine philosophischen Studien und Göttliche Verinnerlichung betreiben. Nur durch beständige und intensive Praxis kann man im Geist vollkommen still werden.