Göttliche Erkenntnis


Brahmacharya

Brahmacharya

Brahmacharya ist ein göttliches Wort. Es ist die Summe und Substanz von Yoga. Brahmacharya ist Achara, Verhalten, durch das man Brahman erlangt oder erreicht. Es ist Leben im Absoluten. Es ist die Bewegung zu Gott oder Atman hin. Brahmacharya ist Reinheit in Gedanke, Wort und Tat. Es ist Zölibat und Enthaltsamkeit.

Brahmacharya heißt nicht nur Unverheiratetsein. Es ist strikte Enthaltsamkeit nicht nur im Geschlechtsverkehr, sondern auch in autoerotischen Aktivitäten, Masturbation, homosexuellen Handlungen und allen perversen Sexualpraktiken. Dazu gehört auch ein ständiges Sich-Enthalten von Nachsinnen über erotische Vorstellungen und wollüstige Träumerei.

Im engeren Sinn ist Brahmacharya Zölibat. Im weiteren Sinne meint es die absolute Kontrolle aller Sinne. Das Tor zu Nirvana oder Vollkommenheit ist vollständiges Brahmacharya.

Brahmacharya ist für den Yogi das, was Elektrizität für eine Glühbirne ist. Ohne Brahmacharya ist kein spiritueller Fortschritt möglich.

Es kann keine Sprache ohne Vokale geben. Man kann ohne Leinwand kein Bild malen. Ebenso kann man ohne Brahmacharya keine Gesundheit und kein spirituelles Leben haben.

Ein wahrer Brahmachari wird keinen Unterschied spüren bei der Berührung einer Frau, eines Blatt Papiers, eines Holzscheites oder eines Steinbrockens. Nur ein wahrer Brahmachari kann Bhakti pflegen. Nur ein wahrer Brahmachari kann Yoga praktizieren. Nur ein wahrer Brahmachari kann Jñana erlangen.

Brahmacharya ist für beide Geschlechter, Männer wie Frauen, gedacht. Bhishma, Hanuman, Lakshmana, Mirabai, Sulabha und Gargi waren alle Brahmacharins.

Die Lebensenergie

Ein Schüler Dhanvantaris ging nach Beendung seiner vollen Ausbildung in Ayurveda zu seinem Lehrer und fragte ihn: »Oh Bhagavan, ich bitte dich, teile mir nun das Geheimnis der Gesundheit mit.« Dhanvantari antwortete: »Die Samenenergie ist wahrhaft Atman. Das Geheimnis der Gesundheit liegt in der Bewahrung dieser vitalen Kraft. Wer diese Energie vergeudet, kann keine physische, geistige, moralische und spirituelle Entfaltung erreichen.« Veerya ist Gott in Bewegung. Veerya ist dynamischer Wille.

Veerya ist Seelenkraft. Veerya ist die Essenz des Lebens, des Gedankens, der Intelligenz und des Bewußtseins.

Die Lebensenergie, Veerya, die dein Leben trägt, die das Prana der Pranas ist, die in deinen strahlenden Augen leuchtet, die in deinen leuchtenden Wangen strahlt, ist ein großer Schatz für dich. Sie ist die eigentliche Essenz des Blutes.

Die Nahrung wird zu Darmlymphe. Die Darmlymphe wird zu Blut; Blut wird zu Fleisch; Fleisch wird zu Fett; Fett wird zu Mark; Mark wird zu Samen. Samen ist die letzte Essenz. Er ist die Essenz der Essenzen.

Genauso wie Zucker überall im Zuckerrohr ist oder Butter in Milch, so ist Samen überall im Körper vorhanden. Er existiert in einer subtilen Form im gesamten Körper. Er wird in den Geschlechtsorganen zurückgehalten und in eine grobstoffliche Form umgearbeitet unter dem Einfluß sexuellen Wollens und sexueller Erregung.

Sexuelle Erregung und ihre negativen Folgen

Wenn ein Mensch leidenschaftlich erregt ist, wird das Prana in Bewegung gesetzt. Der Lebensstrom, das Prana, bewegt die innere Flüssigkeit, den Samen. Der Samen wird in Brahmacharya in Bewegung gesetzt. Er fällt nach unten, so wie die Wolken in Regenwasser ausbrechen; so wie die Früchte, Blüten und Blätter der Bäume durch die Kraft der wehenden Winde fallen.

Wenn Veerya verlorengeht, wird das Prana unstet. Das Prana wird aufgepeitscht. Der Mensch wird nervös. Dann kann auch der Geist nicht richtig arbeiten. Der Mensch wird wankelmütig. Geistige Schwäche tritt auf.

Schlechtes Gedächtnis, frühzeitiges Altern, Impotenz und verschiedene Augen- und verschiedene Nervenleiden sind dem massiven Verlust dieser Lebensflüssigkeit zuzuschreiben. Ist Veerya einmal verlorengegangen, kann es im ganzen Leben nicht mehr wiedererlangt werden, auch nicht wenn man jede Menge Badam, Nerventonika, Milch, Sahne, Käse, Chyavanaprash oder Makaradhvaja zu sich nimmt.

Befriedigung im Geschlechtsakt ist genauso erschöpfend für das weibliche System und eine ebenso starke Belastung für ihre Vitalität wie beim Mann. Die dabei entstehende Nervenanspannung ist in der Tat beträchtlich. Da ihr System empfindlicher und reizbarer ist, sind Frauen oftmals stärker betroffen als Männer.

Notwendigkeit von Brahmacharya

Wie kann man erwarten, stark und gesund zu sein, wenn die Energie, die man in mannigfacher Weise unter großen Schwierigkeiten ansammelt, täglich verschwendet wird? Es ist unmöglich, stark und gesund zu sein, wenn nicht Männer und Frauen sowie Jungen und Mädchen ihr Möglichstes tun, um Brahmacharya, das Zölibatsgelübde, einzuhalten.

Reine Luft, reines Wasser, gesunde Nahrung, Körperübungen, Spiele im Freien, wie Tennis - all das trägt zur Erhaltung einer guten Gesundheit, Stärke und einem hohen Niveau von Kraft und Vitalität bei. Es gibt in der Tat viele Möglichkeiten, um Gesundheit und Stärke zu erlangen. Diese Möglichkeiten sind zweifellos unbedingt erforderlich. Aber Brahmacharya ist die wichtigste von allen. Es ist das einzige echte Mittel zur Erhaltung wahrer Menschlichkeit.

Der Nutzen aus der Praxis von Brahmacharya

Die Praxis des Zölibats trägt keinerlei Gefahr von Krankheit oder unerwünschte Auswirkungen in sich, wie die diversen ‘Komplexe’, die ihr fälschlicherweise von westlichen Psychologen zugeschrieben werden. Sie haben darüber kein praktisches Wissen. Sie haben die falsche und schlecht begründete Vorstellung, daß die nicht ausgelebte sexuelle Energie verschiedene Formen von Phobien annimmt, wie die Berührungsphobie. Der Komplex beruht auf anderen Ursachen. Es ist ein krankhafter Geisteszustand, der zurückzuführen ist auf übertriebene Eifersucht, Haß, Zorn, Kummer und Depression, die aus verschiedenen Ursachen herrühren.

Im Gegenteil, schon ein geringes Maß an Selbstbeherrschung oder ein wenig Praxis von Enthaltsamkeit ist ein idealer ‘Aufbauer’. Sie gibt innere Stärke und Seelenfrieden. Sie stärkt Geist und Nerven. Sie hilft, physische und geistige Energie zu bewahren. Sie steigert Gedächtnis, Willenskraft und Stärke des Gehirns. Sie gibt ungeheure Kraft, Stärke und Vitalität. Sie regeneriert das System, den körperlichen Zustand, baut Zellen und Gewebe neu auf, stimuliert die Verdauung und gibt die Kraft, Schwierigkeiten im täglichen Lebenskampf zu begegnen. Ein Mensch, der über völlige Beherrschung der Sexualenergie verfügt, erlangt Kräfte, die auf anderem Weg unerreichbar sind.

Wenn ein Mensch ein zölibatäres Leben führt, auch wenn er verheiratet ist, und nur gelegentlich aus Gründen der Fortpflanzung Geschlechtsverkehr hat, kann er gesunde, kluge, starke, schöne und selbstaufopfernde Kinder zeugen. Die Asketen und Erlöser im alten Indien folgten, wenn sie verheiratet waren, dieser vortrefflichen Regel aus diesem Grund sehr sorgfältig und lehrten auch durch ihr Beispiel und ihre Praxis, wie man auch als Familienvater das Leben eines Brahamachari leben kann.

Die Bedeutung richtiger Ernährung

Richtige Ernährung spielt bei der Aufrechterhaltung von Brahmacharya eine wesentliche Rolle. Im Gehirn gibt es verschiedene Bereiche, und jede Nahrung hat ihre eigene Wirkung auf den jeweiligen Bereich und auf den Gesamtorganismus. Ein Gericht aus Sperlingen hat eine aphrodisierende Wirkung. Es stimuliert direkt die Geschlechtsorgane. Knoblauch, Zwiebel, Fleisch, Fisch und Eier stimulieren die Leidenschaft.

Widme der Nahrung die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt. Sei mäßig beim Essen. Iß sattvige Nahrung wie Milch, Früchte und Weizen. Gelegentliches Fasten kontrolliert die Leidenschaft, beruhigt die Emotionen, beherrscht die Indriyas und unterstützt Brahmacharya.

Theorie und Praxis

Die Menschen sprechen über Brahmacharya; aber rar in der Tat sind die, die es praktizieren; ein enthaltsames Leben steckt tatsächlich voller Schwierigkeiten. Es ist leicht, einen Tiger, Löwen oder Elefanten zu zähmen. Es ist leicht, mit einer Kobra zu spielen. Es ist leicht, über das Feuer zu gehen. Es ist leicht, den Himalaya emporzuheben. Es ist leicht, auf dem Schlachtfeld zu siegen. Aber es ist schwierig, die Lust zu entwurzeln.

Du brauchst deswegen überhaupt nicht zu verzweifeln. Vertraue auf Gott, seinen Namen und seine Gnade. Du mußt einfach siegen, wenn Du an Ihn glaubst.

Bloße menschliche Anstrengung allein wird nicht ausreichen. Die göttliche Gnade ist notwendig. Die Lust kann nicht vollständig aus dem Geist entfernt werden, es sei denn durch die Gnade Gottes. Gott hilft denjenigen, die sich selbst helfen.

Mangel an spirituellem Sadhana ist der Hauptgrund für alle sexuellen Anziehungen. Bloße theoretische Enthaltsamkeit von Sinnlichkeit wird Dir keine guten Ergebnisse zeitigen. Du mußt gnadenlos alle Formalitäten gesellschaftlichen Lebens beseitigen und ein frommes Leben führen. Nachgiebigkeit niederen inneren Neigungen gegenüber wird Dich in den Bereich des Leidens bringen. Da nützen auch Entschuldigungen nichts. Du mußt aufrichtig in deinem Streben nach dem erhabenen Leben in Spiritualität sein. Halbherzigkeit wird Dich in deinem alten Zustand des Elends belassen.

Möglichkeiten, um im Zölibat fest zu werden

Denke nicht an Frauen. Schau nicht nach Frauen. Das Anschauen des anderen Geschlechts entfacht das Verlangen, mit ihnen zu sprechen. Das Gespräch erzeugt den Wunsch, sie zu berühren. Schließlich wird dein Geist unrein und Du fällst ihm zum Opfer. Deswegen schau nie nach dem anderen Geschlecht. Rede nie in vertrauter Weise mit ihnen. Werde nie mit ihnen vertraulich.

Lustvolle Blicke, wollüstiges Denken und feuchte Träume sind Mißerfolge, Brüche des Zölibats. Sei keusch in deinen Blicken. Sei keusch in deinen Gedanken. Sei keusch in deinen Worten. Sieh die Mutter in allen Frauen. Pflege erhabene, göttliche Gedanken. Wiederhole den Namen Gottes und meditiere regelmäßig. Dann wirst Du fest im Zölibat wurzeln.

Es gibt vier Vorgänge in der Praxis von Brahmacharya. Zuerst beherrsche den Geschlechtsimpuls und die geschlechtlichen Vasanas. Dann übe das Bewahren der Sexualenergie. Schließe alle Öffnungen, durch die Energie nach außen dringen kann. Dann lenke die bewahrte Energie in die richtigen, geistigen Kanäle durch Japa, Kirtan, selbstloses Dienen, Pranayama, Studium, Wachsamkeit, Selbstanalyse, innere Einkehr und Vichara. Dann verwandle oder sublimiere die Sexualenergie. Laß sie zu Ojas oder Brahma-Tejas werden durch fortgesetzte Meditation oder Brahma-Chintana.

Die Gefahr einer Reaktion

Du mußt Dich sehr vor der Reaktion in acht nehmen. Die Sinne, auf die für einige Monate oder für ein, zwei Jahre Druck ausgeübt wird, werden rebellieren, wenn Du nicht allzeit wachsam und vorsichtig bist. Sie revoltieren und werfen Dich aus der Bahn, wenn sich Gelegenheiten dazu bieten. Es gibt Menschen, die für ein oder zwei Jahre Brahmacharya halten, dann noch leidenschaftlicher werden und am Ende die Energie erheblich verschwenden. Es gibt auch welche, die zu unbelehrbaren, unmoralischen Nervenbündeln werden.

Man darf nicht der Täuschung unterliegen, die Lust wäre völlig entwurzelt, wenn man die Ernährung ein bißchen anpaßt, Pranayama praktiziert und ein wenig Japa macht, und daß damit alles getan wäre. Die Versuchung, Mara, kann Dich in jedem Moment überkommen. Ewige Wachsamkeit und kompromißloses Sadhana sind sehr wesentlich.

Es ist vielleicht möglich, für Monate und Jahre keinen Geschlechtsverkehr zu haben, es darf aber auch keine sexuelle Sehnsucht und kein sexuelles Verlangen nach Frauen mehr bestehen. Es dürfen auch keine schlechten Gedanken auftauchen, wenn man eine Dame ansieht oder sich in Gesellschaft von Damen befindet.

Der Zustand geistigen Brahmacharyas muß selbst unter Versuchungen und Krankheit aufrecht erhalten werden. Nur dann bist Du sicher. Die Sinne fangen in Zeiten des Leidens an zu revoltieren und auch dann, wenn man mit Sinnesobjekten in Kontakt kommt.

Man kann nicht mit begrenztem Einsatz vollkommenes Brahmacharya erreichen. Genauso wie ein Maschinengewehr notwendig ist, um einen mächtigen Feind zu töten, ist auch beständiges, strenges und kraftvolles Sadhana notwendig, um diesen mächtigen Feind, die Lust, zu eliminieren. Du darfst wegen deines kleinen Erfolgs im Zölibat nicht vor Stolz gebläht sein. Wenn Du auf die Probe gestellt wirst, wirst Du hoffnungslos versagen. Du mußt Dir deiner Unzulänglichkeiten immer bewußt sein und unaufhörlich bemüht sein, Dich ihrer zu entledigen. Die höchste Anstrengung ist notwendig. Nur dann wirst Du vollen Erfolg in dieser Richtung haben.