Yoga Geschichten

Ein Heiliger besucht ein Dorf

Über staubige Straßen gelangte ein Heiliger eines Tages in ein Dorf. Als die Bewohner ihn sahen, freuten sie sich sehr, denn sein Besuch versprach Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag.

Bitte“, bestürmten sie ihn, „leite heute Abend auf dem Versammlungsplatz vor unserem Tempel einen Satsang (gemeinsames Meditieren, Singen, Beten, Vortragen oder Lesen aus Schriften)!“

„Gern“, erwiderte der Heilige. Am Abend gegen acht Uhr versammelten sich über zweihundert Dorfbewohner auf dem Rasenplatz. Gemeinsam meditierten sie, sangen Kirtans (kurze Sanskritlieder), einer spielte Harmonium, ein anderer begleitete den Wechselgesang rhythmisch mit der Tambura.

Um neun Uhr, als der Weise aus der Bhagavad Gita (bedeutende alte Yogaschrift; Lehrgespräch zwischen Krishna und Arjuna über richtiges Handeln) rezitierte, lauschten ihm immer noch 150 Zuhörer. Der Weise steigerte sich in die Geschichte des königlichen Familienstreites hinein und seine Worte loderten, als er die weisen Ratschläge wiederholte, die Krishna dem Königssohn Arjuna vor der großen Schlacht gab.

Trotzdem waren um 10 Uhr nur noch 100 Leute um ihn versammelt. Immermehr geriet der Heilige in Ekstase: Er war Krishna, er war der zweifelnde Königssohn: welch eine Mimik, welch eine Gestik! Um 12 Uhr harrte noch eine Hand voll Leute aus. Schließlich, um 1 Uhr morgens, als der Heilige aus seiner Trance erwachte, sah er nur noch einen einzigen Menschen vor sich.

„Wo“, fragte er ernüchtert, „sind all die anderen?“

„Die anderen“, antwortete der Mann, „sind nach Hause gegangen, sie hatten noch einiges zu erledigen, und heute werden sie hart arbeiten müssen.“Der Heilige nickte. Dann sagte er: „Aber schön, dass wenigstens du bis zum Schluss mitgefeiert hast, darüber freue ich mich.“

„Ja, Meister, aber um ehrlich zu sein - du sitzt auf meiner Decke!“