Autobiographie von Swami Sivananda

Kapitel 4 - Die göttliche Mission

 

Erste Stufe

Wie Schüler ausgebildet werden

Ich habe immer die stille spirituelle Praxis in Zurückgezogenheit geliebt. Während des Tages schrieb ich für gewöhnIich ein paar Artikel und Briefe an wissensdurstige Aspiranten. Ich arbeitete nie nachts mit einer Lampe. Morgens verließ ich meine Behausung nur für etwa eine Stunde, um die Kranken mit Arzneimitteln zu versorgen, einen raschen Spaziergang auf dem Gelände zu machen, im Ganges zu baden und zur Speisestätte zu gehen, um mein Essen zu holen. Dieser Tagesablauf wurde während meines 35jährigen Lebens in Rishikesh zur Gewohnheit. Ich ließ mich nie in unverbindliche Gespräche mit Freunden ein. Wenn ich zur Küche ging, wahrte ich Schweigen. Ich nahm einen schmalen Pfad durch den Dschungel, um niemandem zu begegnen. Auf dem Weg zum Kshetra (Küche) verband ich tiefe Atmung mit geistiger Mantrawiederholung (Japa).

Ich hatte keinen Ehrgeiz, durch eine ausgedehnte Reise oder aufsehenerregende Vorträge weltberühmt zu werden. Ich machte nie den Versuch, für irgendjemand ein Guru zu sein. Ich freue mich nicht, wenn die Leute mich "Sat Guru" (Weisheitslehrer) oder "Avatar" (Inkarnation Gottes) nennen. Ich bin ganz und gar gegen "Gurutum", gegen jede Art von Guru-Kult. Er ist eine Gefahr für die Menschheit und ein großes Hindernis, das den Sturz vieler großer Persönlichkeiten auf dem spirituellen Pfad ausgelöst hat. Auch heute noch bitte ich die Menschen, sich nur im Geist vor mir zu verneigen. Meine Haltung dazu bringen die folgenden Zeilen von 1931 an einen meiner Schüler klar zum Ausdruck:

"Ich bin nur ein gewöhnlicher Einsiedler (Sadhu). Ich könnte Dir nicht viel helfen. Außerdem nehme ich keine Schüler an. Ich kann bis zu meinem Lebensende Dein aufrichtiger Freund sein, aber ich möchte niemanden längere Zeit bei mir haben. Ich gebe einige Monate lang Unterweisung und bitte dann meine Schüler, an einsamen Orten in Kashmir oder Uttarkashi zu meditieren."

 

Zurückhaltung und Demut

Ich sagte oder tat nie auch nur das geringste, um Menschen mit Versprechungen großer Erfolge wie Mukti (Befreiung) nur durch einen Tropfen Wasser aus der Bettelschale (Kamandalu) oder Samadhi (überbewußter Zustand) durch eine bloße Berührung anzulocken. Ich betonte stets die Wichtigkeit von stillem Sadhana (spirituelle Praktiken), Japa (Mantrawiederholung) und Meditation für einen regelmäßigen Fortschritt auf dem spirituellen Weg. Alle Aspiranten hielt ich dazu an, sich durch selbstlosen Dienst an der Menschheit zu läutern. 1933 schrieben die Verleger in Madras Artikel über mein Leben, in denen sie von mir als "Avatar" sprachen. Meine Antwort darauf zeigt meine Einstellung, die ich immer beibehielt: "Bitte streichen Sie alle Bezeichnungen wie ,Krishna Avatar’ (Inkarnation von Krishna) und ,Bhagavan’ (ehrfürchtige Anrede: Erhabener, Göttlicher). Halten Sie den Text natürlich und einfach, dann wird er die Leser ansprechen. Übertreiben Sie nicht zu viel und zu oft. Betiteln Sie mich nicht als ,Weltenlehrer’, ,Mandaleshwar’ und ,Bhagavan’. Zeigen Sie einfach die Wahrheit auf; die Wahrheit strahlt aus sich selbst. Ich führe ein einfaches, natürliches Leben. Ich habe unermeßliche Freude am Dienen. Selbstloser Dienst hat mich erhoben und gereinigt. Dieser Körper ist zum Dienen bestimmt. Ich lebe, um allen zu dienen und die Welt glücklich und froh zu machen." Ich verneige mich im Geist sogar vor Eseln und anderen Tieren. Ich verneige mich (Namaskara) zuerst vor meinen Schülern und Anhängern. Ich sehe das eigentliche Wesen hinter allen Namen und Formen. Das ist echter Vedanta (Philosophie des Absoluten) im täglichen Leben.

 

Die Schritte von Neulingen lenken

Von 1930 an kamen viele ernsthafte Schüler zu mir mit dem brennenden Wunsch, ihr Leben der Spiritualität zu widmen und baten um Führung. Ich hatte ein ebenso brennendes Verlangen, der Welt zu dienen. Damals lebten Sadhus (Weise, Einsiedler) und große Meister (Mahatmas) unter eigentümlichen, erbärmlichen Bedingungen, ohne die nötigen Voraussetzungen und Einrichtungen und ohne geeignete Führung für die spirituelle Entwicklung. Viele quälten ihren Körper in der heißen Sonne und in der Kälte des Himalaya. Manche verfielen dem Genuß von berauschenden Getränken, um den sogenannten überbewußten Zustand (Samadhi) herbeizuführen. In der Absicht, eine Gruppe von Entsagten (Sannyasins) und Yogis in den richtigen Grundlagen zu unterweisen, erlaubte ich ein paar Anwärtern, in den benachbarten Hütten zu wohnen. Ich traf Vorkehrungen mit der Küche (Kshetra) für ihre Mahlzeiten und weihte sie ein. Ich sorgte dafür, daß sie alles Nötige hatten. Ich ermutigte sie und flößte ihnen Wunschlosigkeit (Vairagya) ein. Ich achtete besonders auf ihre Gesundheit. Ich fragte sie häufig nach ihren Übungen (Sadhana) und gab ihnen nützliche Hinweise, um Schwierigkeiten und Hindernisse in ihrer Meditation auszuräumen. Wenn sie mir ihre Dienste anboten, bat ich sie, eine Hütte nach der anderen aufzusuchen und den alten und kranken Mahatmas mit Hingabe (Bhakti) und Glauben (Shraddha) zu dienen, indem sie ihnen Essen aus der Küche brachten, die Beine massierten und ihre Kleider wuschen. Gebildete Schüler beauftragte ich, Abschriften kurzer Artikel von mir anzufertigen und sie zur Veröffentlichung an Zeitschriften und Zeitungen zu schicken, sowie sich dem Studium, der Mantrawiederholung (Japa) und der Meditation zu widmen. Das Kopieren meiner Artikel machte ihnen große Freude, da diese das Wesentliche der Lehren aller Weisen und Heiligen sowie klare Erläuterungen zu den schwierigen Teilen der Upanishaden und der Bhagavad Gita enthielten. Meine Abhandlungen gaben auch praktische Anweisungen zur Beherrschung der ungestümen Sinne und Schwankungen des Geistes. Statt jahrzehntelang alte heilige Schriften zu studieren, verbrachten meine Schüler täglich nur ein paar Minuten mit der Abschrift meiner Abhandlungen und lernten dabei Yoga und Philosophie leicht in kurzer Zeit. Ich beobachtete ihre Gesichter genau, um zu sehen, ob ihnen die Arbeit gefiel und suchte dann sorgfältig Themen aus, die ihren Vorlieben und ihrer Veranlagung entsprachen und betraute sie damit. Manchmal mußte ich die ganze Arbeit selbst machen. Ich liebe die Schüler. Ungefragt kümmerte ich mich um ihre Bedürfnisse. Alte Menschen, die keine weltlichen Bindungen mehr hatten, waren mir willkommen. Ich ermutigte sie, ihre spirituellen Übungen fortzusetzen und bat sie, ein Bad im Ganges zu nehmen, Mantras zu wiederholen (Japa) und Wissen über die höchste Wahrheit zu erwerben (Shravana, die erste Stufe des Jnana Yoga). Ich freute mich sehr, wenn ich Frieden und Wonne auf ihren Gesichtern sah. So kamen immer mehr Anwärter zu mir. Der Swarg Ashram konnte die steigende Zahl von Wahrheitssuchenden nicht mehr aufnehmen. Ich liebte den Ashram und genoß den Frieden dort, aber im Interesse der spirituellen Erhebung zahlreicher gebildeter Übender (Sadhakas) beschloß ich, den Swagashram zu verlassen.

 

Zweite Stufe

Pflanzen des jungen Baumes

Pläne schmieden liegt nicht in meiner Natur. Ich verlasse mich auf die Gnade Gottes. Ich hatte beschlossen, den Swarg Ashram zu verlassen. Wohin sollte ich gehen? Das war ein großes Problem. Eine Zeitlang blieb ich in einem kleinen Zimmer in der Bibliothek des Rama Ashrams. Einige meiner Schüler lebten in einer kleinen Wohlfahrtseinrichtung (Dharmashala) in der Nähe und bekamen ihre Mahlzeiten von der Speisestätte (Kshetra). Ein paar Tage lang ging ich auch dorthin. Um Zeit zu sparen, brachte mir ein älterer Mönch das Essen. So vergingen Monate.

Dann fand ich in der Nähe ein kleines Haus (Kutir) in verfallenem Zustand. Wir besserten es aus und brachten Türen und Fenster an. Ich nahm es in Besitz und lebte mehr als acht Jahre dort. Ich hätte leicht ein paar strohgedeckte Hütten im Urwald errichten können. Aber das wäre für meine Arbeit nicht geeignet gewesen. Bücher und Unterlagen hätten durch Termiten Schaden nehmen können. In einem ehemaligen Pilgerhaus (Dharmashala), das ein Ladenbesitzer später als Kuhstall genutzt hatte, gab es mehrere Räume ohne Türen. Nach und nach verwandelten wir sie alle in Unterkünfte für die Schüler.

Wenn Anhänger mir Geld für persönliche Zwecke gaben, ließ ich davon Merkblätter drucken wie "20 wichtige spirituelle Anweisungen", "Der Weg zu Frieden und Wonne", "40 goldene Regeln" und andere Schriften und gab sie an Besucher ab. Ich verwendete das Geld auch für wirksame Medikamente zur Behandlung kranker Mahatmas und für Porto, um Artikel an Zeitungen und Briefe an eifrige Anwärter zu schicken. Das Werk wuchs beständig. Ich trat nicht an die Öffentlichkeit auf der Suche nach Schülern.

Viele echte Suchende nach Wahrheit kamen zu mir und baten um Hilfe und Führung. Sie erhielten die Einweihung von mir, lebten in den angrenzenden Unterkünften und arbeiteten rund um die Uhr. Um den großen Arbeitsanfall zu bewältigen, schaffte ich ein Kopiergerät und eine Schreibmaschine an. Die Anhänger zeigten großes Interesse, selbstlosen Dienst zum Nutzen der spirituellen Erhebung der Welt zu leisten. Ich bewunderte ihre Ergebenheit mir gegenüber. Bei der Arbeit vergaßen sie ihre Vergangenheit und gingen ganz im Dienst und Sadhana (spirituelle Praktiken) auf, um sich weiterzuentwickeln. Manche Anhänger gaben freiwillige Spenden für die edle Sache. Ich erhielt Trockenvorräte für fünf Schüler von der Kali-kambliwala-Küche in Rishikesh. Die restlichen Schüler und die Besucher mußte ich aus den dürftigen Schenkungen einiger Bewunderer versorgen. Diese Zuwendungen erlaubten mir auch, ein paar Bücher zum Verkauf drucken zu lassen.

 

Begabungen bestmöglichst nutzen

Als neue, fähige Leute hinzukamen, rief ich verschiedene Aufgabenbereiche ins Leben, die ihren Vorlieben und ihrer Persönlichkeit entsprachen. Ich fand ihre Begabungen und verborgenen Fähigkeiten heraus und ermutigte sie in hohem Maße. Eine kleine Küche wurde eingerichtet, um die Mitarbeiter, Besucher und Bedürftigen, die keine Almosen (Bhiksha) aus dem Almosenhaus beziehen konnten, mit Essen zu versorgen. Ich richtete verschiedene Adreßdateien ein – von Anhängern, höheren Schulen, Büchereien, Spendern, Anwärtern für den Stand der Entsagung (Nivritti Marga) – und verschickte meine Bücher in regelmäßigen Zeitabständen, um Wissen weiterzuverbreiten. Die Adressen waren in verschiedene Rubriken übersichtlich unterteilt, zum Beispiel:

Ashrams, Gesellschaften/Verbände, Anwälte, Richter, Universitätsabsolventen, Buchhändler, Verleger, Firmen, Ärzte, Schüler, mit denen ich in Briefwechsel stand, Zweigstellen der Divine Life Society, Büchereien, Frauen, Brahmacharis und Sannyasi-Schüler, Zeitschriften und Periodika, Maharadschahs (Herrscher) und Zamindars (Grundbesitzer), eingeweihte Schüler, monatliche Geldgeber, im Berufs- und Privatleben stehende Schüler, Offiziere, Gönner, Lehrer, Geizhälse.

Zu jedem Überbegriff gibt es mehrere Adreßbücher, nach Ländern geordnet. Ich trug persönlich die richtigen Anschriften ein und vermerkte Änderungen sorgfältig. Bis heute trage ich wichtige Adressen selbst ein und lasse die Schüler alle Adreßbücher auf dem neuesten Stand halten.



Dritte Stufe

Eine große Einrichtung entsteht

Um die Divine Mission in großem Maßstab systematisch weiter auszubauen, gründete ich 1936 die Divine Life Trust Society, eine Treuhandgesellschaft, die ich in Ambala urkundlich registrieren ließ. Als ich 1936 von Lahore zurückkehrte, wo ich eine Kirtanversammlung geleitet hatte, kam mir plötzlich der Gedanke an eine Treuhandgesellschaft. Ich stieg in Ambala aus, um mich mit einem Anwalt zu beraten und die Gesellschaftsurkunde vorzubereiten. So wurde die Divine Life Society zur Verbreitung von spirituellem Wissen auf der ganzen Welt gegründet. In der Folge entstanden an die 300 Zweigstellen in allen bedeutenden Städten. Tausende von Schülern wurden von mir in den Mönchsstand (Sannyasa) eingeweiht. Während ihrer Ausbildung bleiben sie bei mir und arbeiten. Fortgeschrittene Schüler rufen eine eigene Mission in großen Städten ins Leben oder machen ihre geistigen Übungen (Sadhana) in einer Höhle im Himalaya. Dürstende Aspiranten in aller Welt erhalten Führung auf dem Postweg. Artikelserien über die praktische Seite von Yoga, Bhakti (Hingabe), Vedanta (Philosophie des Absoluten) und Gesundheit kommen in Form von Flugblättern und umfangreicheren Schriften in mehreren Sprachen heraus. Führende Zeitungen in allen Ländern veröffentlichen meine Abhandlungen über Yoga, Gesundheit und allgemeine spirituelle Themen. Ein halbes Dutzend Zeitschriften werden im Ashram auf Englisch und Hindi herausgegeben und auf der ganzen Welt verschickt. Der Ashram kann jetzt etwa 400 Personen aufnehmen: Gebildete Gelehrte, Mahatmas, Yogis, Anhänger, Arme und Kranke, ganz zu schweigen von den Schülern aus den benachbarten Dörfern.

 

Ein Mittelpunkt kraftvoller spiritueller Erneuerung

Viele Fremde kommen in den Ashram, bleiben ein paar Wochen oder Monate und bewundern die großartige Arbeit, die hier geleistet wird. Junge und alte Bewohner von Shivanandanagar, Männer und Frauen, erfreuen sich am Frieden und der Wonne dieser Heiligen Stätte und helfen der Welt in unterschiedlicher Art und Weise. Allen widme ich meine sorgfältige, persönliche Aufmerksamkeit. Ich stelle ihnen alles Lebensnotwendige zur Verfügung und unterstütze sie in ihrer Entwicklung. Für ihren Aufenthalt gibt es mehrere Gebäude, Hütten und Gästehäuser. Mehr als 30 Schreiber arbeiten Tag und Nacht an der Korrespondenz und den Büchern. An der YogaVedantaForest University unterrichten fachkundige Lehrer eine große Zahl von Studenten in allen Schriften. Der Universitätsverlag ist jetzt mit elektronisch gesteuerten, automatischen Setz-, Druck-, Falz- und Bindemaschinen ausgerüstet. Zur Verbreitung von Wissen unter der Jugend werden schriftliche Wettbewerbe durchgeführt und Stipendien für Studien an Kollegs und Hochschulen vergeben. Das Sivananda-Krankenhaus ist ein Segen für die Meister, Yogis, Pilger und arme Bewohner der Nachbardörfer. Erfahrene Ärzte unterschiedlicher medizinischer Richtungen arbeiten im Krankenhaus, das mit modernen Röntgen- und Diathermie-Apparaten sowie einem HNO-Hochfrequenzgerät zur Untersuchung von Hals-, Nasen-, Ohren- und Augenkrankheiten ausgestattet ist. Spezielle Gebete im Vishwanath Mandir (Shivatempel) haben Kranken auf der ganzen Welt ein neues Leben geschenkt. Dieser speziell für einen bestimmten Menschen durchgeführte Gottesdienst bringt den Betroffenen Frieden und Wohlergehen. Ich freue mich grenzenlos über die Hunderte von Briefen von Verehrern, die von der Rettung ihres Lebens dank der Gebete im "Tempel aller Glaubensbekenntnisse" im Ashram berichten. Auch führende Vertreter und Anhänger anderer Religionen kommen in den Ashram und halten ihn für ein ideales Zentrum - eine gemeinsame Plattform - , um der Welt zu dienen. Ich sehe eine riesige spirituelle Kolonie vor mir; Freude und Glückseligkeit spiegeln sich auf dem Gesicht jedes Bewohners. Die Menschen kommen aus unterschiedlichen Beweggründen, um materieller und geistiger Vorteile willen, und sind dann sprachlos, ihre Wünsche im Übermaß erfüllt zu sehen. Ehre dem Herrn, daß er uns dieses ideale Zentrum für alle Wahrheitssuchenden geschenkt hat. Zusätzlich zu den normalen Aktivitäten werden gelegentliche Blindenhilfswerk-Camps im Ashram und in den Außenstellen durchgeführt. Regionale Divine-Life-Konferenzen werden in wichtigen Städten Indiens organisiert. In den Ferien kommen Anhänger und Schüler massenweise, schließen sich dem üblichen Tagesablauf und dem Satsang an und ziehen daraus unermeßlichen Nutzen.

 

Vierte Stufe

Gruppen-Sadhana

Junge Aspiranten schliefen in der winterlichen Kälte aus alter Gewohnheit oft bis sechs oder sieben Uhr am Morgen. Sie dürfen ihr kostbares Leben nicht mit Schlaf in den frühen Morgenstunden zwischen vier und sechs Uhr (Brahmamuhurta) vergeuden. Diese Zeit ist sehr günstig für tiefe Meditation. Die Atmosphäre ist mit reinen (sattwigen) Schwingungen geladen. Man kommt ohne große Anstrengung zu wunderbarer Konzentration.

Von meiner Hütte aus pflegte ich einige Male die Mantras "Om Om Om, Shyam Shyam Shyam, Radheshyam Radheshyam Radheshyam" laut zu singen und brachte so die Schüler dazu, für Gebet und Meditation früh aufzustehen. Bei den Trägen (Tamasigen) wirkte das nicht. Ich sorgte dafür, daß jeweils noch vor Sonnenuntergang zu Abend gegessen wurde. Das half einigen, morgens leichter aufzustehen. Nur wer sich abends den Magen mit schwerem Essen überlädt, findet es schwierig, am nächsten Morgen früh aufzustehen.

Zu Beginn der spirituellen Praxis passiert es oft, daß man zwar früh aufsteht, dann aber vom Schlaf überwältigt wird und während der ganzen Meditationszeit in einer Sitzhaltung schläft, wenn man versucht, allein in seinem Zimmer zu meditieren. Das brachte mich auf den Gedanken, am frühen Morgen (Brahmamuhurta) gemeinschaftliches Gebet und Meditation einzuführen. Ein Schüler läutete vor jedem Gebäude eine Glocke. Die Aspiranten kamen dann zum Gruppensadhana zusammen. Ich schloß mich monate- und jahrelang jeden Tag der Gruppe an.

 

Gebet und Unterricht

Die Sitzung begann mit Anrufungen Ganeshas, Lobpreisungen des Gurus (Stotra) und Mantras (Kirtan). Dann las gewöhnlich einer der Schüler ein Kapitel aus der Gita und erklärte die Bedeutung eines Verses (Shloka). Ein anderer gab ein paar kurze Tips zu Konzentration und Meditation. Am Ende hielt ich einen halbstündigen Vortrag über schnellen spirituellen Fortschritt und schlug verschiedene Methoden zur Überwindung negativer Geisteshaltungen und zur Beherrschung der ruhelosen Sinne vor. Ich legte großen Nachdruck auf sittliche Vollkommenheit. Am Ende der Gruppensitzung sangen alle zusammen zehn Mal das Shanti-Mantra (Friedensmantra). Die Schüler behielten das göttliche Bewußtsein während ihrer täglichen Arbeit bei. Einige Schüler lebten im Brahmananda-Ashram, etwa 200 Meter von meinem Kutir entfernt. Morgens um vier Uhr machte ich dort häufig Überraschungsbesuche und sang ein paar Mal OM, damit sie zum Gebet aufstanden. Ich übte keinen Zwang aus, sich der gemeinsamen Meditation anzuschließen. Ich gestattete ihnen auch, ihre eigenen Übungen in ihrer Hütte durchzuführen. So widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit der spirituellen Erhebung meiner Schüler. Selbst heute noch sprechen viele Schüler, die damals die gemeinschaftlichen Gebete und Meditationen mitgemacht haben, davon, wie sehr meine kurzen Vorträge über spirituelle Praxis (Sadhana) sie inspiriert haben. Zwischen drei und vier Uhr nachmittags richtete ich ebenfalls eine "Lehrstunde" ein. Ich bat einen der Schüler, ein Kapitel aus einem meiner Bücher vorzulesen. Am nächsten Tag stellte ich dann Fragen zu den wichtigen Punkten. Ich bildete die Anwärter auf vielfältige Weise aus. Sie lernten, die Mantras der Schriften zu singen, Kirtans zu leiten und kurze Vorlesungen zu halten. Ich beauftragte einen Schüler, Fragen zu stellen und andere, sie zu beantworten. In der Nachmittagsstunde führte ich Mantraschreiben (LikhitaJapa) ein und morgens Tratak (Augenreinigungs- und Konzentrationsübung) und andere Yogaübungen. Tagsüber mußte jeder Abhandlungen über Yoga und Philosophie verfassen und seine eigenen spirituellen Erfahrungen beschreiben. Wenn Schulkinder in den Ashram kommen, lehre ich sie auch heute noch ein paar kurze englische Sätze und fordere sie auf, etwas vorzutragen. Viele haben meine englischen Lieder wie "Eat a little" gelernt. Ich bildete meine Schüler auch in organisatorischen Arbeiten aus und lehrte sie Schreibmaschine schreiben, Bücher und die Gesellschaftsgeschäfte zu führen und sich um Anhänger, Besucher und Kranke zu kümmern. Auf diese Weise entfaltete die Yoga Vedanta Forest University bereits in ihren Anfängen eine kraftvolle Wirkung.

 

Besucher betreuen

Wenn Besucher zu mir kamen, redete ich nicht mit ihnen über ihre Privatangelegenheiten, sondern forderte sie auf, die Vergangenheit zu vergessen und Mantras mit mir zu singen. Ich brachte ihnen Musik, Lobpreisungen Gottes (Bhajan), Mantrasingen (Kirtan) und Philosophie bei. Auch heute noch empfehle ich Anhängern, die in den Ashram kommen, ein bestimmtes Buch zum Lesen und stelle ihnen am nächsten Tag Fragen dazu. Ich kläre alle ihre Zweifel und gebe hilfreiche Ratschläge, um Schwierigkeiten und Hindernisse auszuräumen.

Alle sind glücklich über meine persönliche Aufmerksamkeit. Die planmäßige Arbeit dieses heiligen Zentrums im Himalaya am Ufer des Ganges hat Tausende aus ganz Indien und von anderen Ländern auf der Suche nach Wahrheit angezogen. Die Divine Life Society, die Yoga VedantaForest University und der Sivananda-Ashram wurden "Schlagworte" für alle spirituellen Anwärter. In verschiedenen Zentren wird nun eine ähnliche Arbeit planmäßig aufgebaut durch Gründung von Zweigstellen der Universität, der Divine Life Society, des Sivananda-Ashrams und der Sivananda-Yogaschule. Ich achte sorgfältig auf die Ernährung im Ashram – sie muß ausreichend sein, um in guter Verfassung zu bleiben - nicht zum übermäßigen Genuß oder zur Sinnesbefriedigung, sondern um den Fortschritt in der spirituellen Praxis zu fördern.

Sonntags führte ich salzlose Kost ein, einfache gekochte Kartoffeln und Brot am 11. Tag nach Vollmond und nach Neumond (Ekadashi) oder nur Milch und Obst für manche Schüler.

Ich begann mit einem Dutzend Schüler. Bald kamen in den Ferien viele Anhänger aus Delhi, Madras, Kalkutta und anderen indischen Städten zu mir. Da führte ich ein Gruppensadhana ein – ein besonderes Programm mit allen wichtigen Bestandteilen geistiger Übungen - , eine Art spiritueller Zusammenkunft über die praktische Seite von Yoga. Das entwickelte sich allmählich zu Sadhana-Wochen in den Oster- und Weihnachtsferien und ist in den letzten 20 Jahren zu einem festen Bestandteil geworden.

Verschiedene Zweige der Divine Life Society in Indien veranstalteten ähnliche Tagungen mit gleichem Ablauf wie die Sadhana-Wochen im Ashram. Sie laden bedeutende Persönlichkeiten als Referenten dazu ein und verteilen bei diesen Anlässen kostenlos Merkblätter und Bücher. So ist eine dynamische Tätigkeit zur spirituellen Erweckung im Gange.