Parabeln von Swami Sivananda

  • Teil 2 Andere Gleichnisse
  • Gleichnis von König Janaka und den Schriftgelehrten


Einige Pandits (Schriftgelehrte) kritisierten: „König Janaka ist ein weltlicher Mensch. Wie kann er ein Weiser oder ein Heiliger sein?“ König Janaka wollte ihnen eine Lehre erteilen. Er rief alle Gelehrten zusammen und richtete ein großartiges Fest für sie aus. Viele schmackhafte Gerichte wurden aufgetragen. Doch zu ihrer Verwunderung schwebte über ihnen ein Schwert, das nur an einem Haar hing. Zitternd griffen sie bei den Speisen zu und verzehrten sie hastig.

Nach der Feier versammelten sich alle am Königshof (Durbar). König Janaka fragte: „Nun, habt ihr gut gegessen? Waren die Gerichte nach eurem Geschmack?“ Die Pandits antworteten: „Wir können uns an nichts anderes erinnern als an das Haar. Wir konnten immerfort nur daran denken.“ Janaka sagte: „Oh, ihr Gelehrten, genauso ist es um meinen Geist bestellt. Er richtet sich nur auf Brahman (das Absolute) und weiß nichts von dieser Welt.“ Beschämt senkten die Gelehrten den Kopf. Sie verstanden, was es bedeutet, ein Jivanmukta (lebendig Befreiter) zu sei. Dieser erfüllt nur äußerlich seine täglichen Pflichten, denn sein Geist ist nicht von dieser Welt, sondern mit dem Absoluten vereint.

  • Gleichnis von der alten Frau und der Nadel


Eine alte Frau suchte draußen im Mondschein nach etwas. Ein Mann fragte sie: „Sag mir, was suchst du denn?“ Sie antwortete: „Ich habe im Haus eine Nadel verloren. Da es drinnen jedoch dunkel ist, suche ich sie hier.“

Weltliche Menschen sind wie diese alte Frau. Sie suchen in der sichtbaren Welt ihr Glück, wo es aber nie existiert. Schaue statt dessen in dich hinein, indem du deinen Geist kontrollierst und du wirst das Glück in deinem eigenen Selbst finden.

  • Gleichnis von der Schwiegermutter und dem Bettler


Ein Bettler kam zu einem Haus, als die Hausherrin gerade nicht da war. Die Schwiegertochter weigerte sich, ihm Almosen zu geben. Also ging er wieder. Auf der Straße traf er die Schwiegermutter. Er erzählte ihr, daß die Schwiegertochter ihm nichts gegeben habe. „Dazu hat sie kein Recht,“ brauste die Schwiegermutter auf, „komm mit mir.“ Voller Erwartungen kehrte der Bettler mit ihr zum Haus zurück. Als sie nun dort ankamen, drehte sich die Frau um und sagte: „Geh deines Weges. Ich möchte dir auch keine Almosen geben. Aber in diesem Haus habe nur ich das Recht, sie dir zu verweigern, und nicht meine Schwiegertochter.“

So ist es auch, wenn ein Mensch sich voll Überdruß  von den weltlichen Dingen abwendet. Der spirituelle Lehrer beauftragt ihn, nicht untätig zu bleiben und der Welt nicht zu entsagen. Im Gegenteil, der Meister predigt sogar Geschäftigkeit, als sei die Welt Realität! Er weist den Sadhaka (spiritueller Schüler) an, zu arbeiten, allen zu dienen und alle zu lieben, so als existierten die „Vielen“ tatsächlich. Wenn die Zeit reif ist, erlangt der Schüler die Selbstverwirklichung. Erst dann kann er die weltlichen Dinge endgültig und wahrhaftig aufgeben und geht im Bewußtsein des Einen völlig auf. So entwickelt sich die Entsagung aus der Selbstverwirklichung heraus. Dann erst steht es in seiner Macht, der Welt und ihrem Trubel zu entsagen. Er hat das allem innewohnende eine Selbst erkannt. Das Motiv des Aspiranten ist Ajnana-Vairagya – Wunschlosigkeit, die durch die schmerzvolle Natur der Welt erzeugt wurde. Der Heilige hat Jnana-Vairagya (Entsagung aus Erkenntnis und Wissen heraus) erlangt, weil er die wesentliche Natur des einen Selbst erkannt hat, welches das eine, unteilbare, alles durchdringende Bewußtsein ist, die große, allem innewohnende Präsenz. Hat man dies erreicht, so ist man am Ziel seiner Wünsche angelangt.

  • Gleichnis vom gewährten Wunsch


Einst lebte ein junger Mann in einem Dorf in der Nähe des Tempels. Er entwickelte Liebe zu Gott um des Prasads und des Läutens der Glocken willen. Seine Gottesliebe war unschuldig und kindlich. Er hielt die in Stein gemeißelten Statuen für Gott und betete zu ihnen: „Oh Gott! Gewähre mir, was immer und wann immer ich etwas möchte. So werde ich immer glücklich und dir für immer dankbar sein.“ Das war sein ständiges, einziges Gebet.

Über diese Hingabe höchst gerührt, erschien ihm eines Nachts Gott im Traum und fragte: „Du kannst zwischen zwei Wünschen wählen: Jeder Wunsch, den du hast, um deine Bedürfnisse zu befriedigen, wird dir dein Leben lang erfüllt bis zu deinem Ruhestand. Im Alter wird es dann niemanden mehr geben, der dir helfen kann. Oder möchtest du ein sorgenfreies, glückliches Leben als Bettler, wo du jeden Tag eine Kleinigkeit zu essen sowie die notwendige Kleidung und ein Obdach hast?“

In der natürlichen Verblendung der Jugend antwortete er: „Oh Herr! Ich ziehe das erste vor.“ Gott gewährte es ihm. Grenzenlos war daraufhin die Freude des jungen Mannes. Er dachte, er würde glücklich sein, wenn er alles, was er wollte, umgehend bekam.

So betete er beispielsweise: „Oh Gott! Gewähre mir eine gute Ausbildung ohne Anstrengung“ und sogleich wurde diese ihm gewährt. Dann bat er etwa: „Oh höchster Gott! Lasse mich jeden Tag köstliche Speisen aus allen Teilen des Landes genießen, wie Pak aus Mysore, Rasagulla aus Bengalen, Laddus aus Sandilla usw.“ Gott sagte: „So sei es. Du sollst sie sofort haben.“ „Oh Allmächtiger! Gestatte mir, mich an Frau und Kindern zu erfreuen. Ich habe ein starkes Bedürfnis zu heiraten. Kümmere dich um meine häusliche Bequemlichkeit.“ Auch dies gewährte ihm Gott. Wieder nach einiger Zeit: „Oh süße Vorhersehung! Ich möchte nach Badrinath (Pilgerort im Himalaya) gehen. Sei so freundlich, sorge für meinen Körper und statte mich mit allem Notwendigen aus.“ Und Gott antwortete: „In Ordnung. Nimm deine Sachen mit, Kleidung, Geld, und was sonst du noch benötigst.“

Im Laufe der Zeit wurde der Verehrer richtig aufgeblasen vor lauter Stolz und begann, Gott selbst Befehle zu erteilen: „Oh Gott der Götter! Mache mich zum Herrn über Dich.“ Gott, der seinen Wunsch schon vorher erraten hatte, zog sich zurück, um keine Antwort geben zu müssen.

 So vergingen die Jahre. Je mehr Wünsche erfüllt wurden, um so mehr forderte er. Gott aber wollte, daß der Mann sich ihm zuwende. Er ließ ihn die Bedingung vergessen, die ursprünglich an die Wunscherfüllung gebunden gewesen war. Als sich das Alter und der Ruhestand näherten, brachte er den Mann dazu, ein letztes Mal zu fragen: „Oh Gott! Meine Jahre schwinden. Meine Frau ist alt und verhärmt, gleichgültig und unzugänglich geworden. Meine Kinder gehen ihre eigenen Wege. Dennoch möchte ich mich weiter am Leben erfreuen, nun, da mir nur noch wenige Jahre verbleiben. Ich möchte das Leben genießen und meine Herzenswünsche befriedigen, bevor ich diesen Körper verlasse.“ Da sagte Gott: „Dein Wunsch soll sich erfüllen.“ Daraufhin führte er ein unbekümmertes, ausschweifendes Leben aus Angst, etwas ungenutzt vorbeigehen zu lassen. Schließlich wurde er unheilbar krank. Jeden Tag klagte, weinte und schrie er nun. Es gab niemanden, der ihm hätte helfen können. Die verfluchten Tage waren da.

Weinend und klagend beschloß er zuletzt, sein Leben durch einen Sprung von der Brücke in der Nähe des Dorfes zu beenden. Mitten in der Nacht tastete er sich dorthin. Er verfluchte sich, daß er damals im Traum nicht den zweiten ihm angebotenen Weg gewählt hatte. Er brachte sein Herz nochmals Gott dar und machte sich daran, im nächsten Moment hinunterzuspringen. Doch plötzlich spürte er, wie er von hinten unwiderstehlich zurückgezogen wurde. Es war jedoch niemand zu sehen. Als er sich wütend und widerwillig, voll Kummer und Enttäuschung, umdrehte, sah er etwas entfernt ein loderndes Feuer. Dieses zog ihn magisch an. Es war, als riefe jemand von dort ihn. Er ging auf das Feuer zu. Auf dem Weg trat er auf eine kriechende, sich windende Schlange. Er zündete ein Streichholz an – und siehe da, es war gar keine Schlange, sondern ein Seil. Er verfluchte sich und Gott, weil damit eine weitere Chance, sein Leben loszuwerden, vertan war. Er schritt weiter auf das Feuer zu, das mit jedem Schritt an Intensität zunahm. Die Morgendämmerung war bereits nahe. Noch einmal faßte er den Entschluß, sich in einem nahe gelegenen Brunnen zu ertränken. Als er die Feuerstelle erreichte, verschwand diese. Ein Sadhu (Mönch, Heiliger, Einsiedler) mit einem leuchtenden, strahlenden Gesicht kam aus einer kleinen Hütte und sagte: „Das Leben ist nicht dazu da, vorsätzlich zu sterben. Wie unwissend, zu versuchen, dir selbst ein Ende zu machen! Gib diese Idee auf. Bat ich dich nicht in jener Nacht, zwischen der lebenslangen Erfüllung deiner Wünsche bis ins Alter und einem glücklichen, wunschlosen, asketischen Leben zu wählen! Ändere dich wenigstens jetzt noch. Kein Mensch voller Wünsche ist jemals glücklich. Wünsche vervielfältigen sich ständig. Das Geheimnis der Erfüllung von Wünschen liegt darin, keine Wünsche zu haben. Ich habe Mitleid mit dir. Gehe zu dem Bach dort und nimm ein Bad. Es ist jetzt Brahmamuhurta (frühe Morgenstunden zwischen ca. 3-6 Uhr morgens. Diese Zeit gilt als besonders geeignet zum Meditieren). Beeile dich. Ich werde dich in das Wissen um Brahman, das Absolute, einweihen, das dich wunschlos und frei von Krankheit macht und durch das du eins wirst mit mir. Setze dich zu mir und bete. So wirst du in vollkommener Glückseligkeit erstrahlen.“

Mit diesen Worten schickte ihn der Sadhu zum Bach. Als er zurückkehrte, fand der alte Mann weder die Hütte noch den Einsiedler vor. Statt dessen lagen neben der Feuerstelle ein Bettelstab (Hamsa Danda = Stab eines Wandermönchs), eine Bettelschale (Kamandalu), ein Lendenschurz (Kaupeen) und ein Hirschfell, in Form eines „Om“ angeordnet. Vergeblich suchte er den Sadhu. Niedergeschlagen und verwirrt, mit seiner Weisheit am Ende, wußte der Mann nicht mehr, was tun. Da vernahm er eine Stimme von oben: „Geliebtes Selbst! Ich helfe allen, die in Not sind, wo immer sie sich befinden, durch mein Leuchten und meine Ausstrahlung. Das Feuer, das du von der Brücke aus gesehen hast, war ich selbst. Ich bin du. Aber du bist nicht ich. Ich bin in dir, Ich bin mit dir und Ich bin um dich herum. Fürchte dich nicht. Erinnere dich immer an Mich. Ich werde dich zu Mir führen. Es gibt nichts, wovor du dich fürchten müßtest. Ich weiß, was in dir vorgeht. Ich werde dich Eins mit Mir machen, so daß du das Feuer und der Glanz wirst, die du gesehen hast.“

Nun erkannte der Mann den Willen Gottes in den dort liegenden Gegenständen, den typischen Kennzeichen eines Entsagten (Sannyasin). Er nahm ein Leben als Sannyasin auf, um Om zu wiederholen und eins mit Om zu werden.

  • Gleichnis vom Sadhu und dem Schwert


Ein König durchquerte den Dschungel. Unterwegs wurde er außerordentlich durstig und hatte auch das Bedürfnis nach einem erfrischenden Bad. Er kam zur Einsiedelei eines alten Asketen, den er fragte: „Gibt es hier in der Nähe einen Fluß oder einen See, wo ich ein Bad nehmen und mich erfrischen kann?“ „Ja, etwa einen Kilometer von hier gibt es einen Fluß mit kühlem, erfrischendem Wasser. Das Wasser ist auch läuternd und heilig.“ „Kann ich mein Gepäck so lange hier lassen? Es wäre sinnlos, das alles mitzunehmen.“ „Ja natürlich, lasse es hier. Oh, was ist das für ein glänzendes Ding?“, fragte der Asket, als der König ihm die goldene Scheide seines Schwertes gab. Der König zog das funkelnde Schwert aus der Scheide, und der Einsiedler bewunderte es in kindlicher Einfalt. Der König sah, daß der Einsiedler in seinem ganzen Leben noch kein Schwert gesehen hatte. Bevor er ging, warnte er ihn: „Bitte sei vorsichtig damit.“

Das Schwert interessierte den Einsiedler. Er versuchte, seine Eigenschaften herauszufinden. Er nahm es aus der Scheide, und legte es auf den Boden. Dabei schnitt es sofort tief in das weiche kusha-Gras, auf dem er saß. Der Asket wurde neugieriger. Er nahm das Schwert in die Hand und schlug auf eine Wassermelone, die dadurch zweigeteilt wurde. Zwei Rehe rannten an der Hütte vorbei. Der Einsiedler warf das Schwert nach ihnen. Eines wurde getroffen und war sofort tot. In diesem Augenblick kam der König zurück. Ungehalten darüber, daß der Asket die Waffe auf diese Art mißbraucht hatte, ließ sich seine Kshatriya (Krieger)-Natur zu einigen scharfen Worten hinreißen. Daraufhin stürmte der Einsiedler mit dem Schwert auf den König zu. Aber der weise König schoß einen Pfeil auf ihn ab und verletzte die Hand, die das Schwert hielt. In diesem Augenblick erkannte der Einsiedler den schrecklichen Fehler, den er beinahe begangen hätte.

So praktiziert auch ein Yogi (jemand, der Yoga übt) tiefe Meditation. Er macht Fortschritte im Raja Yoga (Yoga der Geistesbeherrschung) und nach einiger Zeit der Praxis bringt ihm das einige wunderbare Siddhis (übernatürliche Kräfte) ein. Der Yogi setzt sie zunächst für einfache und harmlose Zwecke ein. Er findet heraus, daß diese Kräfte ihn von einfachen Leiden befreien können. Er kann wilde Tiere unter seine Kontrolle bringen, so daß sie ihn nicht verletzen. Er ist auch in der Lage, manche Menschen zu beeinflussen und sie dazu zu bringen, ihm zu dienen. Von einem Experiment zum anderen macht er Fortschritte im Gebrauch seiner psychischen Kräfte. Nun stellt er fest, daß diese seine Kräfte enorm sind und hört mit seinem Sadhana (spirituelle Praxis) und seinem Tapasya (Askesepraktiken) auf, und stürzt sich kopfüber in den Abgrund der Täuschung. Er durchschneidet die Lebensader des Yoga selbst und zerstört das Sadhana, dem er seine Kräfte verdankt. Aber zur rechten Zeit steigt die göttliche Gnade herab und entfernt die Ursache in ihm, die ihn von seinen Kräften Gebrauch machen ließ. Der yogi erkennt seinen ernsten Fehler und hat von nun an kein Verlangen mehr nach Siddhis. Er gelangt zu höchstem Frieden.

  • Gleichnis vom Jungen, der die Uhrzeit nicht lesen konnte


Ein Mann fragte einen Jungen: „Mein Kleiner, sage mir, wie spät ist es?“  „Onkel, ich kann die Uhr nicht lesen.“ „Ich verstehe. Seit wann kannst du sie schon nicht lesen?“ Der Junge schwieg, denn er konnte diese Frage nicht beantworten. „Gott weiß es, Onkel,“ erwiderte er schließlich.

 Manche Menschen, die stolz auf ihren Intellekt sind, fragen die einfachen Heiligen: „Seit wann verschleiert Avidya (Unwissenheit) die Wahrheit, oder wann ist Avidya entstanden?“ Das sind transzendentale Fragen, die nicht zu beantworten sind. Schweigen ist die einzige Antwort. „Nur Gott weiß es.“

  • Gleichnis vom Vogel und der Baumwollkapsel


Ein Vogel hatte sein Nest auf dem Zweig eines Baumwollbaumes gebaut. In der Nähe des Nests hing eine unreife Frucht. Jeden Tag schaute der Vogel nach ihr und dachte: „Sobald sie reif ist, werde ich sie essen.“ Er wartete und wartete. Eines Tages, als der Vogel wieder einmal verlangend danach schaute, sprang die Kapsel plötzlich auf und die Samenbällchen flogen davon! Der Vogel war sehr enttäuscht.

Ein junger Mensch denkt, er wird im Alter Yoga praktizieren. Aber die Tage vergehen. Schließlich verläßt das Leben seinen Körper. Er hat umsonst gelebt. Darum nimm dein Leben jetzt in die Hand und verschiebe nichts.

  • Gleichnis vom Mann im Maul der Pythonschlange


Zwei Männer waren hintereinander auf einem Dschungelpfad unterwegs. Der Vordere wurde plötzlich von einer riesigen Pythonschlange angegriffen, die sich um ihn wand und ihn verschlang. Der zweite Mann blieb zögernd stehen. Der erste Mann, der bereits zur Hälfte von der Python verschlungen war, rief ihm zu: „Du Narr, warum stehst du da und zögerst? Komm, ich bin da, um dich zu führen und zu beschützen!“

Der Mensch wird von der riesigen Python namens Maya (Illusion, Täuschung) ergriffen. Obwohl sie ihn verschlingt, ist seine Verblendung so groß, daß er damit prahlt, andere beschützen und ihnen zum Glück verhelfen zu können!

  • Gleichnis vom Studenten und dem Engel

Es war einmal ein Student, der gewöhnlich bis spät in die Nacht hinein über seinen Büchern saß und arbeitete. Da er sehr arm war, hatte er große Mühe, Geld für Bücher und Öl für seine nächtlichen Studien aufzubringen. Eines Nachts schlief er während seiner Studien vor Müdigkeit ein. Da hatte er im Traum eine Vision eines himmlisches Wesen, das ihm sagte: “Öffne den Mund, und ich werde eine Pille mit dem gesamten Wissen des Universums hineinlegen. Dann bist du alle deine Probleme los und kannst dich in Frieden ausruhen.“ Aber der Student erwiderte: „Ich möchte nicht das gesamte Wissen des Universums in meinem Mund. Sei nur so großzügig, mich mit Öl für meine Studien zu versorgen.“ So endete die Vision, und der Junge wurde durch seine eigenen Bemühungen zu einer der größten Persönlichkeiten seines Zeitalters.Ein Sadhaka (spiritueller Aspirant) sollte dieselbe Gesinnung haben. Nur dann wird er rasch den Gipfel des Wissens erlangen. Eine Mutter kann ihrem Sohn Nahrung geben, aber sie kann nicht für ihn verdauen. Ein Lehrer oder Führer kann den richtigen Weg zeigen, aber gehen muß man ihn selbst.Erwarte nicht, Wissen ohne jegliche eigene Anstrengung zu erlangen. Das ist nur ein Traum. Allein die aufrichtige Bemühung vermag die Gnade des Guru oder Gottes anzuziehen. Wer vor Schwierigkeiten flieht, wird niemals frei von ihnen. Doch wer sich ihnen mutig stellt, wird sie überwinden können und noch in diesem Leben höchsten Frieden und Glückseligkeit erlangen.

  • Gleichnis vom Wasser und vom Feuer


Einst trafen sich Feuer und Wasser an den Ufern des Ganges, um den Jahrtausende alten Zwist, wer von ihnen mächtiger sei, auszutragen. Das Wasser machte seine Tapferkeit geltend, und führte zahlreiche Situationen an, die seine Fähigkeit unter Beweis stellten, selbst große Feuer zu löschen. Das Wasser argumentierte, das Feuer könne ihm gar nichts anhaben, außer wenn es, das Wasser, sich in kleinen Gefäßen befinde.

Diese Andeutung nahm das Feuer auf, wohl wissend, daß es keinen direkten Sieg über das Wasser gewinnen könne. Es begann zunächst über die Großartigkeit des Wassers zu sprechen und sagte anschließend: „Mein liebes Wasser, schau, wie schmutzig es um dich herum ist. Warum gehst du nicht in dieses wunderschöne goldene Gefäß, so daß du für immer rein und sauber bleibst?“ Das Wasser ließ sich verlocken. Sobald es in den goldenen Kessel gesprungen war, brachte das Feuer es mit aller Kraft zum Kochen. Zunächst empfand das Wasser die Wärme noch als behaglich. Als jedoch der Siedepunkt erreicht war, fühlte das Wasser die Qual und begann, über seine Torheit zu brüten.

Deine reinen Gedanken, dein unterscheidender Intellekt, deine Vernunft, dein Streben nach Befreiung (Mumukshutwa) und deine Liebe zur Seele, zum Spirituellen, sind wie das Wasser. Nichts kann es beflecken, solange es seines eigenen Weges geht. Es ist immer rein und sauber. Es hat die Kraft, alles zu reinigen.

Dein Anhaften an den Körper und weltliche Dinge ist wie das Feuer. Feuer ist wild. Es ist genauso machtvoll wie Wasser. Wenn eines von beiden das andere übertrumpft, rächt sich das Unterlegene, denn es hat die Macht, ersteres zu foltern.

Oh Mensch, schütze und sichere deinen Wunsch nach Befreiung (Mumukshutwa), deine Vernunft, deine Unterscheidungskraft. Sie sind mächtig.

Die Liebe zum Körper verlockt dich, ein wenig Bequemlichkeit zu suchen. Du fühlst dich behaglich und glaubst, du seist nicht an die Annehmlichkeiten gebunden. Die äußeren Annehmlichkeiten werden allmählich größer und größer, und sie werden wärmer und wärmer wie das Wasser. Du fühlst dich gut. Aber wenn es zum Siedepunkt kommt, dann spürst du es. Du wirst zu einem Sklaven des Komforts. Du verlierst deine Kraft und Fähigkeit, das Feuer der Lust, der Gier usw. zu löschen. Kurz gesagt, du bist verloren.

Höre nie, niemals, auf die Stimme der Sinne. Sei vorsichtig. Lasse die höchste Kraft deiner Bestrebung sich behaupten, deine Liebe zur Seele. Dann wirst du unberührt bleiben vom Feuer, der niederen Natur in dir, den alten, negativen Vasanas (Neigungen).

  • Gleichnis vom Opiumraucher und dem Spiegelbild des Mondes


In einer mondhellen Nacht waren drei Opiumraucher auf der Suche nach Feuer, um ihre Zigarren anzuzünden. Sie kamen an einen Fluß. Das Mondlicht spiegelte sich in den kleinen Wellen und erschien ihnen wie Feuer. Sie schickten einen von ihnen hinunter, um ein Holzkohlenstück anzuzünden. Dieser ging ans Flußufer und hielt die Holzkohle an die kleinen Wellen. Aber die Kohle blieb kalt. Er kehrte unverrichteter Dinge zurück. Die anderen machten ihm Vorwürfe. Er hätte halt näher herangehen sollen, das Feuer sei nur ein bißchen weiter weg gewesen. Nun machte sich der zweite auf, um die Holzkohle zu entzünden. Er ging ein Stück weit in den Fluß hinein, mußte jedoch ebenfalls erfolglos zurückkehren. Der Dritte, der sich für den Klügsten hielt, ging bis zur Mitte des Flusses, aber es gab dort kein Feuer. Er mußte ebenfalls erfolglos aufgeben.

Die Natur von Samsara (Kreislauf von Geburt und Tod) ist wie die des täuschenden Feuers. In der Nacht der Unwissenheit suchen die Menschen, die durch das Opium der Wünsche berauscht sind, nach momentanen Vergnügungen. Die Wünsche erschaffen wirkliche Karmas (Ursachen und Wirkungen), welche die individuelle Seele an die Erdebene binden. Das sinnliche Vergnügen ist nur eine Widerspiegelung von Satchitananda, reinem Sein, Wissen und Glückseligkeit. Solange sie diese mystische Erfahrung nicht selbst gemacht haben, laufen die Menschen, die Jivas, den täuschenden Dingen der Welt hinterher und halten sie für real. Man mag vielleicht mehr wissenschaftliche Fakten über das Universum der Erscheinungen kennen und damit prahlen, mehr zu wissen als die Vorfahren. Aber das ist sinnlos. Jemand, der bis zur Mitte des Flusses geht, um die Holzkohle anzuzünden, ist genauso unwissend wie derjenige, der am Ufer bleibt und es dort versucht.

Nur der besitzt wirkliches Wissen, der nicht das Spiegelbild, sondern den Mond selbst kennt. Allein derjenige hat Wissen, der die Nutzlosigkeit der Sinnesvergnügen kennt und auch die trügerische Natur des Universums. Alles ist reines Sein, Wissen und Glückseligkeit; scheinbare Unterschiede entstehen nur aus Avidya, Unwissenheit. Ein Kenner Brahmans, des Absoluten, der die Unwissenheit überwindet, wird selbst zu Brahman.

  • Gleichnis vom armen Ehepaar


In einem Dorf lebte ein sehr glückliches, aber armes Ehepaar. Manchmal drängte die Frau den Mann, mehr für den Lebensunterhalt zu beschaffen, damit sie ein annehmbares Leben führen könnten wie die anderen Dorfbewohner auch. Der Mann antwortete jedes Mal, daß Gott sie am meisten von allen liebe und ihnen deshalb diese Armut geschickt habe. Mit Schmeichelei, Koketterie und Tränen machte die Frau den Mann mit der Zeit zu einem Sklaven. Eines Tages schickte sie ihn zu einem seiner wohlhabenden Freunde und sagte ihm, er solle dem Freund eine Handvoll Wasser als Gastgeschenk anbieten. Da der Mann keine Alternative sah, tat er genau das. Sein großzügiger Freund, der sehr wohl wußte, wie arm er war, belohnte die Hände reichlich, die ihm ein bißchen Wasser mit Liebe und Hingabe gegeben hatten. Der arme Mann jedoch verlor seine Hingabe und überlegte: „Wenn ein wenig Wasser so viel einbringt, wieviel mehr hätte ich wohl erhalten, wenn ich einen ganzen Eimer Wasser dargebracht hätte!“

Die Buddhi (Intellekt, Unterscheidungskraft) ist in diesem Beispiel wie der Ehemann, der physische Körper wie die Ehefrau. Es ist ihnen bestimmt, glücklich zusammenzuleben als Mann und Frau. Jeder von ihnen hat gewisse Pflichten und Verantwortlichkeiten. Wenn aber die Frau klagt und Tränen vergißt, das heißt, der Körper seine Bequemlichkeit wünscht, verliert der Mann (der Intellekt) den Verstand. Er versucht, es ihr so angenehm wie möglich zu machen, gehorcht ihr willig und vergißt dabei seine Pflicht und Redlichkeit.

Auch dein Körper sehnt sich nach ein bißchen Bequemlichkeit. Deine Viveka, die Unterscheidungskraft, versucht, ihn zu überzeugen, daß dies nicht wichtig und nicht von Dauer ist. Aber schließlich gibst du nach und erlaubst ihm ein wenig Freiheit und Wahl. Statt die Wünsche zu kontrollieren, beruhigst du sie. So wirst du selbst ein Opfer der Ansprüche des Körpers.

Oh Mensch, wache auf. Erlaube deiner Unterscheidungskraft nicht, ein Sklave deiner Liebe zum Körper zu werden. Lasse die Forderungen deines Körpers nach äußeren Annehmlichkeiten nicht die Oberhand gewinnen. Gibst du erst einmal nach und gewöhnst dich daran, ist es sehr schwierig, dich gegenüber deiner niederen Natur zu behaupten.

Du kannst dich nicht von deinem Körper scheiden lassen. Viveka (Unterscheidungskraft) und Vichara (Fragen nach dem Sinn des Lebens) sind nur in einem menschlichen Körper möglich. Der Körper ist nicht nur dazu da, dir sinnliche Vergnügen zu bereiten. Er ist ein Ausdruck der Herrlichkeit der Schöpfung Gottes und ist dir behilflich, Gott zu erkennen. Nutze diesen Körper, um Gott zu verwirklichen, ohne ein Sklave des Körpers zu werden.

  • Gleichnis vom Lieblingskind


Eine Mutter stellte einen Privatlehrer für ihren ungezogenen Lieblingssohn an. Da sie es nicht ertragen konnte, wenn der Lehrer mit dem Jungen schimpfte, stellte sie nach einer Weile einen anderen Lehrer ein. Der neue Lehrer schlug den Jungen, um ihn zurechtzuweisen und zu erziehen. Die Mutter wünschte sich zwar ein besseres Betragen ihres Sohnes, konnte jedoch den Anblick nicht ertragen, wenn er unter schwierigen Aufgaben und Strafen litt. Sie wollte ihn auch nicht in die Schule schicken, da dies bedeutet hätte, sich stundenlang von ihm zu trennen. All ihre Bemühungen waren darauf ausgerichtet, den Jungen äußerlich anziehend und nett zu machen.

Ein Lehrer nach dem anderen kam und ging, aber der Junge blieb wie er war. Er entwickelte sich zu einem gutaussehenden jungen Mann. Aber er konnte nicht mithalten, da er weder Intelligenz noch Geld besaß, noch Fähigkeiten hatte, etwas zu arbeiten, noch gute Manieren, die ihm gestattet hätten, mit den Familienmitgliedern gut auszukommen und in der Gesellschaft einen Platz einzunehmen. Die Menschen urteilten abfällig über ihn und nahmen ihn nicht ernst. Er war weder für sich selbst noch für die Welt als Ganzes von Nutzen.

Deine spirituellen Bestrebungen sind wie die Mutter. Dein Körper und deine Gewohnheiten sind wie der ungezogene Sohn. Du wünschst dir, ein großer spiritueller Held zu sein. Du wechselt von einem Lehrer zum anderen, weil du nicht die Disziplin aufbringst, die Anweisungen des Lehrers geduldig zu befolgen. Du möchtest deinen Körper nicht anstrengen. Du glaubst, wenn du nach außen eine gute Figur machst – zum Beispiel mit einem schönen Körper, mit Bart und Locken –, wird man dich für einen guten Menschen halten. Deine Bindung an den Körper ist so groß, daß du ihn keine Minute lang vergessen kannst, um zu meditieren. Während du von einem Lehrer zum nächsten gewechselt hast, hast du überhaupt nichts aufgenommen! Ein rollender Stein setzt kein Moos an!

Deshalb übe spirituelle Praktiken, solange du noch jung bist. Höre auf, dich mit diesem Körper zu identifizieren. Sei am Anfang ein bißchen hart zu dir selbst. Es ist keine wirkliche Härte im Vergleich zu der Glückseligkeit, die du ernten wirst.

  • Gleichnis vom Lehmpferd


Ein intelligenter junger Mann hatte sein Fahrrad in ein wunderschönes Pferd aus ungebranntem Lehm verwandelt. Wenn er mit dem Fahrrad fuhr, sah es so aus, als reite er auf dem Lehmpferd. Er tat auch so, als sei dieses Lehmpferd mit besonderen Kräften ausgestattet und könne alles, was echte Pferde auch tun. Des öfteren ritt er so mit seinen Kameraden und deren echten Pferden aus. Eines Tages mußten sie einen Fluß durchqueren. Der Mann mit dem Lehmpferd dachte: „Wenn Töpfe ins Wasser gestellt werden, macht ihnen das nichts aus. Daher wird das Wasser auch meinem Pferd nichts ausmachen. Ich kann also den Fluß ohne weiteres überqueren.“ Er ging in die Strömung hinein. Als er etwa in der Mitte war, fiel das Lehmpferd in sich zusammen und der Reiter ertrank.

Mit ein wenig Intelligenz kann ein spiritueller Aspirant einige Texte und Kommentare auswendiglernen. Er gibt vor, geheimnisvolle Kräfte und noch geheimnisvolleres Wissen zu besitzen. Er ist immer mit Brahma-Jnanis (Weise, die Brahman, das Absolute, kennen) zusammen und benutzt die gleichen Fachausdrücken wie sie. Der Weg aber ist voller Gefahren und Prüfungen. Wer etwas vortäuscht, besteht keine einzige Prüfung. Im entscheidenden Moment nützen ihm seine Intelligenz und sein Wissen nichts. Sein Verzicht auf weltliche Vergnügen (Vairagya) ist nicht gebrannt worden im Feuer von Viveka (Unterscheidungskraft) und Mumukshutwa (Wunsch nach Befreiung). Er geht unter, während die wahren Weisen und Yogis furchtlos und freudig alle Hindernisse und Gefahren überwinden.

  • Gleichnis vom Philosophen und dem zerbrochenen Spiegel


Einst lebten zwei Freunde, Ram und Gopal, die beide Philosophen waren. Durch ständiges Hinterfragen (Vichara) und andauernde Unterscheidung (Anvaya-Vyatireka) lernte Ram, in allem Seienden eine Widerspiegelung Gottes zu sehen. Gopal blieb ein rein theoretischer Philosoph. Für ihn war das Universum nichts als eine Illusion, ein Traum, in dem es nur Schlechtes gibt.

Eines Tages trafen sie sich nach einer langen Zeit wieder. Gopal ließ sich, wie immer, stundenlang über das Böse in der Welt aus. Zum Schluß fragte er Ram, was für ein Geschenk er ihm, seinem Freund, denn mitgebracht habe. Ram dachte eine Weile nach, dann zog er einen Splitter eines zerbrochenen Spiegels aus der Tasche und gab es seinem Freund. „Dies ist mein Geschenk. Es wird dir helfen, deine eigene Schönheit und deine Ausstrahlung zu erkennen, die du sonst nicht sehen kannst.“

Von da an begann Gopal, die Herrlichkeit des höchsten Selbst, die sich im ganzen Universum widerspiegelt, zu erkennen und zu verstehen.

Nichts ist nutzlos auf dieser Welt. Das Nicht-Selbst existiert, um das Selbst zu reflektieren und zu verherrlichen. Wie sonst könntest du von der Existenz des Selbst erfahren? Das Nicht-Selbst ist der Spiegel, der das Selbst reflektiert. So ist auch das Böse der Spiegel für das Gute. Unter lauter Unwissenden fallen Weise und Heilige sofort auf.

Lerne, das Gute zu sehen, das durch das Schlechte sichtbar wird. Halte dir vor Augen: „Das Böse existiert, um mich an das Gute zu erinnern. Das Vergängliche existiert, um mich an das Unvergängliche zu erinnern.“ Ebenso ist dieses Universum dazu da, uns an Gott zu erinnern. Lerne, die Gegenwart Gottes in allem zu sehen.

  • Gleichnis vom Brahmanen, der dem Regen entkam


Ein alter Brahmane ging eine Straße entlang, als es plötzlich stark zu regnen begann. Er hatte keinen Regenschirm dabei und fürchtete, sich zu erkälten. Es gab auch nirgends eine Möglichkeit, sich unterzustellen oder Schutz zu suchen. Etwas entfernt sah er zwei Lastenträger, die ein hölzernes Kinderbett trugen. Er lief zu ihnen hin und da sie größer waren als er, konnte er sich zwischen sie stellen, so daß das breite Bett sich wie ein Dach über seinem Kopf befand. Nicht ein Tropfen Regen fiel auf seinen Kopf. Gelegentlich half er den beiden Kulis auch ein bißchen, aber der Nutzen war sehr viel größer als seine Mühe.

Viele spirituelle Aspiranten setzen sich dem heftigen Regen weltlicher Versuchungen aus. Die Klugen unter ihnen suchen Schutz in Ashrams (Ort, wo Yoga gelebt und gelehrt wird) oder anderen Institutionen, die von spirituell weiter entwickelten, „größeren“ Seelen geleitet werden, von fortgeschritteneren Aspiranten und Weisen. Sie  tragen ein Schutzschild, unter dem die noch nicht so fortgeschrittenen Seelen Zuflucht nehmen können. Die Aspiranten helfen auch in den jeweiligen Einrichtungen mit, aber ihr innerer Gewinn ist größer als die geleistete Arbeit.

  • Gleichnis vom Schaffner, der aus dem Bus fiel


Der Bus war bereits losgefahren, als der Schaffner einen Mann hinterherlaufen sah. Helfend streckte er die Hand aus. Der Mann hielt sich am Schaffner fest. Da er jedoch mehr wog als der Schaffner, riß er den Schaffner mit, so daß beide auf die Straße fielen. Nun liefen beide hinter dem Bus her. Ein gewichtiger Fahrgast, der sicher im Bus saß, streckte seine Hände aus dem Fenster. Beide hielten sich daran fest und sprangen auf den Bus.

So etwas geschieht häufig auf der Reise des Aspiranten zu seinem Ziel. Wenn er auf dem Trittbrett des Sadhana (spirituelle Praxis) steht, auf das er gerade gestiegen ist, überschätzt er seine Stärke und macht sich daran, andere Menschen zu „retten“. Das Resultat ist offensichtlich. Er wird selbst auf die Straße des weltlichen Lebens gezogen. Es ist nicht Aufgabe eines Anfängers, anderen zu helfen, sich zu transformieren. Er sollte sich auf seine eigene Praxis konzentrieren. Wenn er sich in die Angelegenheiten anderer Menschen einmischt, wendet er sich gedanklich wieder der Welt zu, und muß anschließend dem Bus der spirituellen Praxis nachlaufen. Ein fortgeschrittener Schüler oder Heiliger, der fest verankert ist, kommt zu seiner Rettung. Und selbst er verläßt die Festung des Sadhana (spirituelle Praxis) nicht, sondern streckt seine Hand durch das Fenster des selbstlosen Dienens hinaus.

  • Gleichnis vom Direktor, der die Uhrzeiger entfernte


In einem Büro war das Hauptaugenmerk der Angestellten darauf gerichtet, daß es 17.00 Uhr wurde und sie ihr Gehalt bekamen, ohne sich übermäßig dafür anzustrengen. Nach 16.00 Uhr schauten sie alle paar Minuten auf die Uhr, um zu sehen, ob nicht schon Feierabend sei. Eines Tages montierte der Direktor beide Zeiger von der Uhr ab. Von da an arbeiteten die Angestellten ruhig und konzentriert und zählten nun nicht mehr die Stunden und Minuten, sondern widmeten sich der Arbeit, die sie erledigen sollten.

Ein selbstsüchtiger Mensch erwartet immer, belohnt zu werden, unabhängig davon, ob er etwas Gutes getan hat oder nicht. Wenn er ein Glas Wasser gibt, erwartet er einen Lohn oder zumindest Dankbarkeit dafür. Der Lehrer sieht dies und tritt in das Leben des Menschen, um die beiden Uhrzeiger der Selbstsucht sowie des Anhaftens an Handlungen und ihre Früchte zu entfernen. Danach arbeitet der Mensch pflichtbewußt, um die nötige Arbeit zu erledigen, ohne ständig eine Belohnung dafür zu erwarten.

  • Gleichnis vom Jungen und seinen Schuhen


Ein Hund bellte einen Jungen an, der erschrocken davonrannte. Der Hund jagte hinter ihm her. Der Junge merkte, daß seine Schuhe ihn beim Laufen behinderten. Schnell schlüpfte er aus den Schuhen und ließ sie liegen. Der Hund schnappte einen Schuh und lief in die entgegengesetzte Richtung zurück.

Die Welt bereitet dem Menschen Probleme unterschiedlicher Art, solange er von zwei Dingen beherrscht wird: Ich- und Mein-Denken. Solange er egoistisch und besitzergreifend ist, jagt ihn pausenlos Samsara (Kreislauf von Geburt und Tod), wohin er auch geht. Da er an tausend Dingen hängt, kann er seinem Ziel nicht zügig entgegenlaufen. Er entsagt dem Ich- und Mein-Denken, um das Ziel schneller zu erreichen. Sobald er diese Besessenheit aufgibt, gibt die Welt die Jagd nach ihm auf und er ist ein für allemal frei von den Leiden des Kreislaufs der Wiedergeburten. Entsagung hat einen doppelten Vorteil: Einmal befreit sie dich von allen Bürden, erhellt dein Herz und hilft dir, zu spirituellen Höhen zu gelangen. Zum anderen befreit sie dich von allen weltlichen Bindungen. Darum entsage der Welt und erfreue dich höchster Glückseligkeit.

  • Gleichnis vom maskierten Jungen und der Maus

Ein Junge zog sich die Maske eines furchterregenden Riesen über und ging damit zu dem Platz, wo die anderen Jungen spielten. Er stieß schreckliche Schreie aus. Die anderen Kinder fürchteten sich vor diesem Dämon und flüchteten. Plötzlich begann der Junge selbst laut zu jammern. Er liess sich auf den Boden fallen und kroch aus der Maske heraus. In der Maske war eine Maus, vor der er riesige Angst hatte!Ein Aspirant schlüpft in die Maske eines selbstverwirklichten Heiligen, hält donnernde Reden und versucht, alle Menschen zu bekehren. Die Menschen verehren und bewundern ihn. Aber bald stürzt er, und die Maske des Pseudo-Jnani (Weisen) zerbricht, denn die Maus der Lust, des Zorns, der Gier und Heuchelei hat sich darin versteckt und stellt seine Schwäche bloß.Hüte dich vor falschen Vorspiegelungen! Sei aufrichtig, und erreiche das Ziel!

  • Gleichnis vom Streit der Kinder über Lehmhäuser


Ein paar Kinder spielten auf der Dorfstraße. Sie bauten Häuser aus Lehm und spielten die Rollen von Familienmitgliedern. Ein Kind, das von einem anderen geärgert wurde, zerstörte in einem Anfall von Zorn dessen Haus. Darüber entzündete sich ein heftiger Streit: „Du hast mein Haus kaputt gemacht! Wie kannst du es wagen?“ usw. Ein junger Mann, der ihnen zuschaute, lachte über die Torheit der Kinder, sich über Spielhäuser aus einer Handvoll Lehm zu streiten. Ein älterer Mann sagte zu ihm: „Freund, als du ein kleiner Junge warst, hast du dich genauso aufgeführt. Jetzt, als Erwachsener, hast du an diesen Dingen kein Interesse mehr. Du kannst die Realität richtig einschätzen. Statt über sie zu lachen, sollten wir versuchen, die Kinder zu beruhigen.“

So streiten sich auch die Menschen über Nichtigkeiten. Sie bauen Häuser aus Ziegeln und Lehm, und streiten über ihre Besitztümer. Diese Erde selbst ist nur ein Haufen Lehm, der im unendlichen Universum herumwirbelt. Sie ist für begrenzte Zeit erschaffen worden, damit die Individuen das Spiel Gottes fortsetzen können. Wenn das Spiel vorbei ist, wird sich die Welt auflösen. Dann werden weise Menschen über andere lachen, die sich wegen irgendwelcher Sinnesobjekte miteinander streiten. Der Heilige jedoch erinnert sie daran, daß sie sich früher genau so benommen haben, bevor sie sich der Unbeständigkeit äußerer Objekte bewußt wurden. Mit aufrichtiger Liebe und Sympathie bringt er die Menschen dazu, in Frieden miteinander zu leben, und klärt sie stufenweise über die wirkliche Natur der weltlichen Dinge auf, sowie über den Frieden und die Glückseligkeit, die man im Selbst finden kann.

  • Gleichnis vom Mann, der vorgab, eine Frau zu sein


Ein Mann kam zum Bahnhof. Am Schalter wartete eine lange Menschenschlange. Er sah sich um. In der Nähe war ein Schalter, vor dem es völlig leer war. Er stellte fest, daß dieser Schalter „Nur für Frauen“ war. Er dachte nach. Ein gutmütiger Mann neben ihm erriet seine Gedanken und sagte: „Bedecke deinen Kopf mit einem Schleier und tue so, als seist du eine Frau. Dann wirst du deine Fahrkarte schnell bekommen.“ Ohne auch nur einen Moment zu zögern, tat er dies und bekam sein Ticket. Ein Fahrkartenkontrolleur, der das beobachtet hatte, postierte sich am Eingang zum Bahnsteig, und als der Mann dort vorbei wollte sagte er: „Aber dies ist eine Fahrkarte für einen Mann!“ Der Mann mit dem verschleierten Gesicht zog das Frauengewand aus und antwortete: „Ja, natürlich, ich bin ja auch ein Mann.“

Alle individuellen Seelen (Jivas) werden letztlich Moksha, die Befreiung, erlangen. Aber ein kluger Mensch, sucht nach Mitteln und Wegen, die Entwicklung zu beschleunigen und Moksha hier und jetzt zu erlangen. Er möchte nicht mit der Herde laufen. Nur einer unter Millionen fühlt diese Dringlichkeit. Er schaut sich um. Er sieht, daß es auf dem Pravritti Marga, dem Weg des aktiven, weltlichen Lebens, von Menschen nur so wimmelt. Dieser Weg ist überfüllt von guten und schlechten Handlungen, die die Entwicklung verzögern. Und er sieht, daß es daneben noch einen anderen Weg gibt, Nivritti Marga (der Weg nach innen, spirituelle Selbstbesinnung), den wenige betreten. Er wendet sich dorthin, stellt jedoch fest, daß dieser Weg nur für Menschen mit bestimmten Qualifikationen ist. Aus Mitgefühl kommt ein Heiliger zur Rettung und sagt: „Du kannst über alle hergebrachten Vorstellungen hinausgehen, wenn du vergißt, daß du ein Mann bist. Du kannst den tief verwurzelten Feind der Selbstsucht und Identifikation mit dem Körper besiegen, wenn du vorgibst, ein Narr oder Verrückter zu sein. Das ist das Geheimnis dieses Weges.“ Der Suchende gehorcht dem Weisen blind. Er erlangt Weisheit über das Selbst. Der weltliche Mensch ist stolz auf seinen Intellekt und spottet über den Weisen, der sich wie ein Verrückter benimmt. Da nimmt der Heilige den Schleier der Torheit ab, den er vorsätzlich angelegt hatte, und erscheint als ein göttliches Wesen unter Menschen, als Höchster, als Gottmensch. Er hat sein Ziel erreicht. Er erhält leicht Zutritt zum Königreich der unendlichen Glückseligkeit.

  • Gleichnis vom Ochsenkarrenlenker


Ein Ochsenkarrenlenker erkannte: Bei meiner Geburt war es der Wille Brahmas (Brahma = Schöpfergott), daß ich meinen Lebensunterhalt mit Hilfe eines Ochsenkarren verdienen soll. Dieser Wille Brahmas führte dazu, daß ich zwei Ochsen und einen Karren habe.

Als dieses Wissen in ihm dämmerte, schmiedete er einen wunderbaren Plan. Er verkaufte auf der Stelle die Ochsen und den Karren und erwarb vom Erlös alles Notwendige für sich und seine Familie. Er behielt nichts von dem Geld zurück. Er kehrte nach Hause zurück und hatte nichts mehr für den nächsten Tag. Brahma erschuf ein Ochsenpaar und einen Karren, und stellte sie in den leeren Stall. Nach einigen Tagen verkaufte der Ochsenkarrenlenker wieder alles, und verteilte den Verkaufserlös an die Armen. Und wieder erschuf Gott zwei Ochsen und einen Karren, und stellte sie in den Stall.

So macht es auch der selbstverwirklichte Weise. Er hat erkannt, daß sein Körper das Ergebnis seines Prarabdha Karmas (das aktivierte Karma, Wirkung von Handlungen aus früheren Leben) ist, und daß Freude und Leid durch seine Handlungen in früheren Leben determiniert sind. Er erkennt klar die Wirkungsweise des Karma (Gesetz von Ursache und Wirkung). Deswegen macht er sich keine Sorgen darüber, was morgen sein wird. Was er an weltlichen Besitztümern erhält, verteilt er sofort an andere weiter. Er behält nichts für sich selbst. Um den göttlichen Willen zu erfüllen und das Karma gemäß seinen natürlichen Gesetzen ablaufen zu lassen, schenkt Gott ihm ständig alles, was er braucht. Da er das weiß, ist er frei von Angst und Sorge, und erfreut er sich an höchstem Frieden und vollkommener Zufriedenheit.

  • Gleichnis von König Puranjana


Ein König namens Puranjana hatte einen Freund mit Namen Avijnata („der Unbekannte“). Der König trennte sich von seinem Freund und ging auf Wanderschaft auf der Suche nach einem neuen Aufenthaltsort. Er wies mehrere Königreiche ab und gelangte schließlich zu einer Stadt mit neun Toren, die durch fünf Mauern streng gesichert war. In der Stadt traf er eine wunderschöne Prinzessin, die von zehn Wächtern und einer fünfköpfigen Schlange bewacht wurde. Puranjana näherte sich ihr und bat um ihre Hand. Sie war über alle Maßen glücklich darüber, heiratete ihn und machte ihn zum Herrscher ihres Königreichs. Puranjana regierte hundert Jahre.

Jeden Tag verließ Puranjana die Stadt durch eines der neun Tore, und brachte verschiedene Dinge und Erfahrungen zurück. Er ging vollkommen in Sinnesvergnügen auf. Er hatte sich so sehr mit der Königin identifiziert, daß er keine eigene Individualität mehr zu haben schien.

Oft fuhr Puranjana auf einem zweirädrigen Wagen hinaus, der von fünf Pferden gezogen wurde. Aus reiner Lust tötete er viele Tiere. Seine Frau war zwar ärgerlich auf ihn, weil er sie allein ließ, war aber bald nach seiner Rückkehr wieder versöhnt und umarmte ihn wieder voller Liebe. So lebte Puranjana, ohne zu merken, wie die Zeit verging. Als er alt war, griff ihn Chandavega, der Herr der 365 Gandharvas (Himmelswesen, himmlische Musikanten) mehrfach an. Die große fünfköpfige Schlange Prajagara bewacht die Stadt gut. Der Kampf dauerte hundert Jahre und jedes Mal wehrte die Schlange den Angriff Chandavegas erfolgreich ab.

Die Tochter von Kala, der Zeit, suchte vergeblich einen Mann. Zuletzt wandte sie sich an Bhaya („Furcht“, „Angst“), und warb um ihn. Bhaya bot ihr seine Armee sowie seinen Bruder Prajwara an und überredete sie, alle Wesen zu vernichten. Diese Armee griff nun in Begleitung der Tochter der Zeit Puranjanas Stadt an. Umzingelt von der Tochter der Zeit erduldete der König unsägliche Qualen. Selbst die Schlange konnte der Belagerung nicht mehr standhalten. Nach einem kurzen Kampf floh sie. In der Zwischenzeit ließ Prajwara die Stadt in Flammen aufgehen. Obwohl er der Stadt sehr zugetan war, mußte der König sie verlassen. Als er aus der Stadt kam, umringten ihn die Tiere, die er im Wald getötet hatte und marterten ihn zu Tode. Selbst in dieser Situation erinnerte er sich nicht an seinen alten Freund Avijnata.

Er wurde wiedergeboren als die wunderschöne Tochter des Königs Vidarbha und heiratete als Prinzessin den König Malayadhwaja. Sie bekamen eine Tochter und sieben Söhne. Nachdem die Kinder erwachsen waren, zog sich der König zurück, übergab sein Königreich seinen Söhnen und ging er in den Wald, um über Gott zu meditieren. Die Königin folgte ihm. Nach intensiven Askeseübungen erlangte der König die Vision Gottes und ging in Samadhi (überbewußter Zustand) ein.. Er wurde eins mit allem und verschmolz mit dem höchsten Brahman (das Absolute). Die Königin erkannte, daß nur noch sein Körper auf der Erde verblieben war, während seine Seele die Vereinigung mit der höchsten Seele erreicht hatte. Daraufhin traf sie die nötigen Vorbereitungen für die Bestattung des Leichnams und bereitete sich selbst darauf vor, den Scheiterhaufen zu besteigen, um ihrem Mann zu folgen. In diesem Augenblick erschien ihr alter Freund Avijnata und erinnerte sie daran, daß er in jeder ihrer früheren Geburten ihr Freund gewesen war. Er erinnerte sie auch daran, wie sie ihn in der letzten Geburt verlassen hatte und zur Stadt mit den neun Toren gegangen war und dort viel Leid erduldet hatte. Er enthüllte ihr, daß er und sie Eins seien. Daraufhin erwachte ihre Seele und erreichte die Vereinigung mit dem höchsten Brahman.

Dieses Gleichnis erläutert das Leben des Individuums (Jiva) auf der Erde. Puranjana ist die individuelle Seele, Avijnata, der Unbekannte, ist die höchste Seele (Gott, das Absolute). Nachdem sie viele Leben als Stein, Pflanze, Tier verbracht hat, inkarniert sich die Seele (Jiva) als Mensch. Sie ist umgeben von den fünf Koshas (Hüllen). Die Prinzessin in der Stadt ist niemand anders als der Intellekt. Die Seele heiratet den kleinen menschlichen Intellekt. Während sie im menschlichen Körper wohnt, genießt sie die Freuden dieser Welt mittels der zehn Sinnes- und Handlungsorgane (Indriyas). Der Wagen des Körpers hat die beiden Räder von Gut und Böse. Während es mit diesem Wagen fährt, führt das Individuum zahlreiche Handlungen aus. Diese Handlungen helfen, den Intellekt zufriedenzustellen. So verbringen die verkörperte Seele und der Intellekt ihre Zeit.

Chandavega repräsentiert das Jahr mit seinen dreihundertfünfundsechzig Tagen. Die Jahre machen dem Körper zu schaffen, aber die fünfköpfige Schlange Prajagara, die die fünf Lebensenergien symbolisiert, wehrt erfolgreich alle Angriffe ab und beschützt die Stadt. Doch mit der Zeit überwältigt das Alter den Menschen.

Zu diesem Zeitpunkt greift ihn eine mächtige Armee an. Es ist die Armee, die von Kala (Zeit oder Tod), Bhaya (Furcht) und Prajwara (tödliches Fieber) angeführt wird. Der an reine Sinnesbefriedigung gewöhnte Mensch muß nun dem Tod ins Auge schauen. Das Prana (Lebensenergie) kann diesem Feind nicht mehr standhalten. Es weicht. Tödliches Feuer setzt den Körper in Brand. Widerwillig muß die Seele den Körper verlassen. Aufgrund von Moha (Täuschung, Verblendung) erkennt der Jiva (individuelle Seele) seine Verwandtschaft mit dem großen Unbekannten, mit Gott, nicht. Wenn er die Welt verläßt, wird er von all den Wesen, denen er im Laufe seines Lebens Schaden zugefügt hat, verfolgt und gemartert.

Puranjanas Wiedergeburt als Prinzessin soll zeigen, daß die individuelle Seele nicht an ein Geschlecht gebunden ist und sich je nach ihrem Karma als Mann oder Frau wieder inkarnieren kann. In diesem Leben entsagt nun das Individuum den Sinnesvergnügen, meditiert über Gott und trifft den großen unbekannten Freund wieder, Gott, der die Seele zu ihrer ursprünglichen Herrlichkeit zurückführt. Das Individuum verwirklicht seine Einheit mit dem Höchsten.

  • Gleichnis vom unachtsamen Reh


Ein Reh spielte mit einem anderen in einem Blumengarten. Es knabberte am Gras und lauschte dem Summen der Bienen. Deshalb bemerkte es weder die hungrigen Wölfe, die sich näherten, noch den Jäger, der mit einem Pfeil auf es zielte. Der Jäger schoß den Pfeil ab und tötete es, bevor es sich seines Verhängnisses gewahr wurde.

Ähnlich ist es mit den meisten Menschen. Ihr Leben auf Erden dreht sich nur ums Essen und um Zeugung. So wie es in dem Garten wunderschöne Blumen gibt, so gibt es ihm Leben eines Menschen schöne Frauen bzw. Männer und alle möglichen Sinnesgenüsse. Die Schönheit und der Genuß dauern jedoch nicht lange, bald welken sie wie eine Blume am Abend. Der Mensch ist ganz von Familie und Beruf in Anspruch genommen und vergißt die Wölfe der Jahre, die ihn verschlingen wollen. Der Jäger Tod schickt ihn in die andere Welt, bevor er seine wirkliche Natur erkunden konnte.

Wache auf und meditiere über Gott! Vergeude nicht einen einzigen Augenblick mit rein weltlichen Genüssen!

  • Gleichnis vom wortkargen Spartaner


Im antiken Griechenland lebte unter anderem der Stamm der Spartaner. Die Spartaner waren sehr tapfere Menschen, einfach und bescheiden. Die Tapferkeit der Spartaner war sprichwörtlich im ganzen Land. Wenn ein Spartaner sich etwas vornahm, wußte man, er würde eher sterben als einen Mißerfolg hinnehmen.

Ihr Gebiet hieß Lakonien, weshalb sie als Lakonier bezeichnet wurden. Eine der Anordnungen ihrer Führer war: „Sei kurz und bündig, klar und genau in allem, was du sagst. Sei nicht vage, und vergeude nicht unnötige Worte, wenn du etwas nicht weißt. Wenn du etwas nicht weißt, dann sage es. Wenn du etwas tun willst, dann prahle nicht damit, bevor du es nicht ausgeführt hast.“ Daher war die Antwort eines Lakoniers auf eine Frage immer so kurz und bündig und auf den Punkt gebracht, daß selbst heute noch eine kurze, prägnante Äußerung als „lakonisch“ bezeichnet wird.

Dazu gibt es eine Geschichte. Im Norden Griechenlands regierte König Philipp, der Vater Alexanders des Großen, über ein Territorium, das Makedonien hieß. Philipp wollte ganz Griechenland erobern. Deshalb fiel er mit einer großen Armee in viele Nachbarstaaten ein. Dann sandte er eine Nachricht an den Führer der Spartaner, in der er verlangte, daß dieser seine Herrschaft über Lakonien akzeptieren solle. Ansonsten werde seine Armee sie vernichten.

Die Antwort der Spartaner an König Philipp bestand aus einem einzigen Wort, und dieses Wort hiess „wenn“. Damit war gemeint, daß die Spartaner keine Angst vor dieser Armee hätten und daß König Philipp seine Drohung nur wahr machen könne, „wenn“ seiner Armee von Seiten der tapferen Lakonier erlaubt würde, Lakonien zu betreten.

Die Welt ist voller prahlerischer Menschen. An Schwätzern herrscht kein Mangel. Praktische Menschen prahlen nie. Sie sprechen wenig und arbeiten dafür mehr. Sie versprechen oder schwören nie etwas, sondern tun, was von ihnen erwartet wird. Sie setzen keine falschen Gerüchte und erdachte Tatsachen in Umlauf. Sie erfinden nicht irgendwelche Geschichten. Eitelkeit umwölkt niemals ihre Vernunft. Sie vermeiden Verwirrung, indem sie wenig sprechen und nicht auf Schwätzer hören. Daher sind ihre Entscheidungen aufrichtig und unerschütterlich.

  • Gleichnis von Mahmud und Ayaz


Mahmud Gazni war ein mächtiger Herrscher, vor dem die ganze Welt zitterte. Er selbst jedoch stand ganz im Bann der faszinierenden Sklavin Ayaz. Er war so verliebt in sie, daß er machtlos war, wenn sie in der Nähe war. Selbst wenn er am kaiserlichen Hof repräsentierte, mußte sein Premierminister ihn ständig daran erinnern, daß er der mächtige Kaiser Mahmud Gazni, der große Eroberer, sei. Nur dann verhielt er sich auch wie ein solcher.

Ebenso hält sich die individuelle Seele (Jiva), die in Wahrheit unendliches Bewußtsein ist, unter dem Einfluß von Maya (Täuschung) für vergänglich, machtlos, schwach und begrenzt, Geburt und Tod, Schmerz und Freude unterworfen. Der Premierminister, der reine Intellekt, versucht, nachzudenken und die latent vorhandenen Eindrücke von Unendlichkeit (Akhanda), Einheit (Ekarasa), reinem Sein, Wissen und Glückseligkeit (Satchitananda), Zeitlosigkeit (Nitya), Freiheit (Mukta) usw. an die Oberfläche zu bringen. Der spirituelle Aspirant beginnt zu meditieren. In der Meditation fühlt die Seele, daß sie eins ist mit dem Unendlichen, unberührt von Maya (Illusion) und Avidya (Nichtwissen). So festigt sie sich allmählich in diesem erhabenen Zustand.

  • Gleichnis vom Theaterstück


Der Direktor einer Akademie wollte ein Theaterstück mit dem Titel „Wiedervereinigung“ aufführen lassen. Er kündigte an, daß verschiedene Schauspieler drei Stunden lang auf der Bühne spielen würden. Nach dem Stück würde er zusammen mit den Honoratioren der Stadt Preise und Pokale an die guten Schauspieler vergeben. Allein schon der Name des Theaterstücks reizte mich, und ich ging hin, um es mir anzusehen. Die Schauspieler kamen auf die Bühne, spielten ihren Part, traten wieder ab, die nächsten traten auf und so weiter.

Schau dir diesen schlechten Schauspieler an! Er spielt seine Rolle nicht! Im Gegenteil, er hält andere davon ab, ihre Rolle zu spielen. Er ordnet sein Kostüm und kümmert sich nicht um seine Rolle. Er tut so, als gebe es keinen Regisseur, als werde das Drama niemals enden und als könne er für immer genießen und tun und lassen, was er will. Er ist ein Narr, auch wenn er sich für besonders klug hält. Er verdirbt die ganze Aufführung. Der Direktor ist sehr nachsichtig, daher entfernt er ihn nicht sofort von der Bühne, sondern wartet, bis sein Part vorbei ist und zieht ihn später zur Rechenschaft.

Hier kommt ein guter Schauspieler. Er hat akute Rückenschmerzen, geht aber in seiner Rolle so auf, daß er die Schmerzen vollkommen vergißt. Er weiß, die Aufführung wird nach drei Stunden enden und alle Akteure werden beurteilt werden. Sein einziges Interesse ist es, seine Rolle jetzt so gut zu spielen, wie es in seiner Macht steht. Damit gewinnt er die Herzen aller Zuschauer.

Nach der Vorführung wurden die Akteure, die für Preise ausgewählt worden waren, aufgerufen und erhielten ihre Preise, Pokale und diverse Ehrenbezeugungen. Alle freuten sich darüber. Auf dem Nachhauseweg liess ich das Stück noch einmal gedanklich Revue passieren.

Gott hat auf dieser Welt ein ähnliches Theaterstück mit dem Titel „Gottesverwirklichung“ inszeniert. Durch Propheten und Heilige hat er angekündigt, daß individuelle Seelen in verschiedenen Körpern ein paar Jahre aktiv sein werden. Ihre Atemzüge sind gezählt. Dann wird er alle beurteilen, und Pokale und Preise der Ewigkeit an die guten Akteure verteilen, in Gegenwart der Heiligen des göttlichen Hofs. Gott gab den Seelen Körper und wies ihnen verschiedene Rollen zu. Das Weltendrama begann, als er die Welt erschuf. Eine Gruppe von Individuen spielte ihre Rolle und verschwand wieder. Dieser Vorgang wiederholt sich kontinuierlich.

Ein schlechter Schauspieler spielt seine Rolle nicht und hält andere von ihrem Bhakti (Gottesverehrung) ab. Er ist an seinen Körper verhaftet, und ständig damit beschäftigt, ihn zu pflegen und sich an weltlichen Vergnügungen zu erfreuen. Er meint, es gibt keinen Gott, er wird seinen Körper niemals verlassen, sondern sich für immer an materiellen Dingen erfreuen, so wie es ihm gerade gefällt. Er ist ein Narr, obwohl er denkt, er sei klug. Gott und seine Höflinge beobachten ihn die ganze Zeit. Er ist ein winziger Fleck im Weltendrama. Gott ist nachsichtig. Er wartet, bis er seinen Part beendet hat und straft ihn dann mit einem Schicksal, das ihn bittere Tränen weinen läßt.

Ein guter Schauspieler lebt in göttlichem Sinn. Er mag einen kränklichen Körper haben, aber er läßt sich davon nicht beeinflussen. Er setzt seine ganze Kraft ein, Gott zu verehren. Er weiß, eines Tages wird er sterben und Gott wird ihn beurteilen. Seine einzige Sorge besteht darin, soviel spirituelle Praxis wie möglich auszuüben. Wenn er seinen Körper verläßt, wird er an den Hof Gottes geleitet. Gott und seine Höflinge sind erfreut darüber, Bhaktas (Gottesverehrer) zu sehen. Gott ruft sie einen nach dem anderen auf, und verleiht die Preise und Pokale der Ewigkeit. Alle sind voller Freude und Glück.

Laßt uns zu guten Schauspielern in diesem Weltendrama werden. Höre auf, dich über Krankheit und Tod zu sorgen. Es ist sicher, daß sie kommen. Passe dich an die Umstände an und vertraue dich Gott an. Ein gewisses Maß an Nahrung, Kleidung und Handeln in der Welt ist notwendig. Aber über allem steht die Hingabe an Gott. Für diese Rolle hat Gott uns diesen Körper gegeben.