Parabeln von Swami Sivananda

  • Teil 1 Philosophie und Lehren
  • 4. Kapitel Voraussetzungen eines spirituellen Schülers
  • Gleichnis vom trauernden Vogel


Ein Vogelpärchen hatte ein Nest auf einem Baum gebaut. Sie hatten eine kleine Familie von Jungvögeln. Gewöhnlich flog das Männchen hinaus und suchte Futter, während das Weibchen die Jungen hütete. Eines Tages, als das Männchen ausgeflogen war, kam ein Jäger und zielte auf das Weibchen. Obwohl es dies sah, flog es nicht davon, um die Jungen zu schützen. Der Jäger tötete das Weibchen mit einem Pfeil. In diesem Augenblick kehrte das Männchen zurück, fand das tote Weibchen in den Händen des Jägers und begann, zusammen mit den Jungen zu weinen und zu wehklagen. Hätte er statt dessen von seinen Flügeln Gebrauch gemacht, wäre er lebend davongekommen. So aber saß er trauernd da und der Jäger tötete auch ihn mit einem weiteren Pfeil. Nun brauchte der Jäger nur noch auf den Baum zu klettern und die Jungen einzusammeln. Die ganze Vogelfamilie kam um, ohne daß einer von ihnen einen Versuch gemacht hätte, sich zu retten.

So ist es oft bei den Menschen. Die Eltern hängen sehr an ihren Kindern und Enkelkindern und nehmen keine Notiz vom sich nähernden Tod. Noch während sie dem Tod direkt gegenüberstehen und er sie unweigerlich davonträgt, klammern sie sich an ihre Kinder. Das heißt nicht, daß man seine Familie nicht lieben soll. Aber wenn jemand Geliebtes stirbt, dann ist das ein Signal für die hinterbliebene Person, Zuflucht zu nehmen zu den Schwingen von Viveka (Unterscheidungskraft) und Vairagya (Leidenschaftslosigkeit) und davonzufliegen ins Reich der Unsterblichkeit, indem man strikte spirituelle Praktiken übt. Statt dessen wehklagen die Hinterbliebenen über den Verlust und haften mehr und mehr am Rest der Familie. Der Jäger Tod bekommt ganz leicht das nächste Opfer. So betreten die Menschen einer nach dem anderen das Haus Yamas, des Totengottes, ohne den geringsten Widerstand zu leisten. Obwohl sie wissen, daß der Tod unausweichlich ist, sitzen sie müßig da und laden ihn ein, statt Schritte zu unternehmen, um ihn zu überwinden. Oh Mensch, du hast die Schwingen von Viveka und Vairagya; nutze sie und fliege davon, bevor der Jäger dich mitnimmt.

  • Gleichnis vom aufdringlichen Kundenwerber


Ein Mann hatte sehr viel Grog getrunken. Zur Tarnung ging er anschließend in eine Milchbar, wo er Süßigkeiten aß und Pan (Betelblätter) kaute. Anschließend pries er draußen in höchsten Tönen die Qualität der Milch, die hier verkauft wurde: „Ich habe hier gerade eine Tasse Milch getrunken. Schaut, wie sehr sie mich erfrischt hat und mir Kraft und Energie gibt. Geht hinein und probiert die Milch!“

Trotz der Betelblätter roch der Mann nach Grog. Seine Bewegungen waren fahrig und verrieten seinen betrunkenen Zustand. Die Menschen vor dem Geschäft konnten leicht sehen, daß er nicht Milch, sondern Alkohol getrunken hatte und daß seine Lobrede auf die Milch kein selbstloser Rat war. Er versuchte im Gegenteil, sie in das Geschäft zu locken, um für seine Kundenwerbung Geld vom Ladenbesitzer zu bekommen und so seine Trinksucht zu unterstützen.

Der Mann ist wie ein religiöser Heuchler, der Spiritualität predigt, um Geld zur Befriedigung seiner Wünsche zu verdienen. Solche Menschen handeln mit dem religiösen Glauben der Bevölkerung. Sie bereiten alles gut vor: Sie begeben sich eine Weile lang an einen spirituellen Zufluchtsort, so wie der Trinker in das Milchgeschäft ging. Sie geben sich äußerlich den Anschein der Spiritualität, um ihre niedere Natur zu verbergen, so wie der Trinker Pan kaute. Dann fangen sie an zu lehren und zu predigen, stellen sich selbst als vollständig verwirklichte Heilige dar und sprechen über die himmlische Wonne, die sie genießen. Sie sprechen eindrücklich, aber ihre Haltung und ihre Taten lassen die Menschen ihre niedere Natur und ihre Süchte erkennen. Diese falschen Prediger werden überall verurteilt und gemieden.

Deine Handlungen verraten deine Gedanken. Du kannst dich nicht als etwas ausgeben, was du nicht bist. Arbeite an dir. Werde zu einem wirklichen spirituellen Helden und nicht zu einem Heuchler.

  • Gleichnis vom Gärtner und dem Schäfer


Ein Gärtner trug einen Blumentopf mit einer wunderschönen grünen Pflanze, mit der er sich große Mühe gegeben hatte, auf dem Kopf. Er ging damit zum Haus seines Meisters. Unterwegs traf er seinen Freund, einen Schäfer, der ein Schaf auf den Schultern trug. Die beiden hatten sich schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Sie begrüßten sich lächelnd und unterhielten sich eine Weile. Als sie ihre Neuigkeiten ausgetauscht hatten, ging jeder wieder seiner Wege. Der Gärtner wollte noch einen Blick auf die Pflanze werfen, bevor er das Haus seines Meisters betrat. Er setzte den Topf ab. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, daß kein einziges Blatt mehr da war, sondern nur noch der nackte Stamm. Das Schaf, das der Freund auf den Schultern getragen hatte, hatte während ihrer Unterhaltung alle Blätter aufgefressen. Wie konnte er nun noch zu seinem Meister kommen?

Ein spiritueller Aspirant kultiviert göttliche Tugenden im Garten seines Herzens. Schon für eine einzige Tugend muß er hart kämpfen und sich sehr anstrengen. Die Tugend ist für ihn der Passierschein, um das Haus seines Meisters, das Königreich Gottes, zu betreten. Er trägt den Topf seiner Tugenden, während er sich zum Königreich Gottes aufmacht. Aber im Verlauf der Reise trifft er einen „Freund“, der den Vernichter guter Eigenschaften, nämlich das Laster, mit sich trägt. Der Kontakt mit diesem Freund scheint zunächst unterhaltsam zu sein. Aber dies ist eine kostspielige Freundschaft. Sehr bald entdeckt er, daß die Gesellschaft mit diesem „Freund“ ihn seiner positiven Eigenschaften beraubt. Er hat seinen Passierschein zum Königreich Gottes verloren. Er muß in die Welt des Leidens und des Todes zurückkehren, traurig und enttäuscht.

Hüte dich vor falscher Gesellschaft. Suche die Gesellschaft von Weisen und Heiligen (Satsang). Du wirst spirituell erhöht werden.

  • Gleichnis von der Opfergabe


Ein Mann hatte davon gehört, wie wirksam die Verehrung einer aus Rohzucker (Jaggery) bestehenden Statue von Vinayaka (Name für Ganesha) sei. Er kaufte sich eine entsprechende Statue und begann, täglich eine Puja (Verehrungsritual) auszuführen. Da er sehr geizig war, wollte er nicht viel Geld für die Puja ausgeben. Als es nun um die rituelle Darbringung von Nahrung (Naivedya) ging, wußte der Geizhals nicht, was er tun sollte. Er hatte keine Opfergaben mitgebracht und wollte auch keine kaufen. Er stellte fest, daß der Bauch des Idols gut ausgeprägt war (Vinayaka wird immer mit einem dicken Bauch dargestellt). „Das wird für das Naivedya ausreichen,“ dachte er. Mit einem Messer schnitt er ein kleines Stück von Vinayakas Bauch heraus, legte es auf einen Teller und brachte es dem Abbild als Opfergabe dar. In der Folge verarmte er so sehr, daß er sich von seinem eigenen Fleisch ernähren mußte und eines elenden Todes starb.

Manche Menschen nähern sich Heiligen und Weisen mit unlauteren Absichten. Sie haben gehört, daß die Verehrung von Heiligen ihnen Wohlstand und Ruhm schenkt. Sie nähern sich den Heiligen mit süßen Worten. Sie sind Geizhälse und würden nicht einmal einen Pfennig für wohltätige Zwecke geben. Sie gehen vielmehr so weit, daß sie Blumen und Früchte aus dem Garten der Heiligen selbst pflücken und sie ihnen dann als Geschenk überreichen! Sie werden letztlich ihr bißchen Wohlstand und Intelligenz einbüßen und in Unwissenheit und Verblendung versinken.

  • Gleichnis vom geduldigen armen Mann


Ein reicher alter Adliger lebte in einem großen Palast. In der Nähe hauste ein Armer in einer verfallenen Hütte. Er ernährte sich von den Essensresten, die andere wegwarfen. Dabei war er jedoch immer heiter und beklagte sich nie über sein Schicksal.

Dann geschah es, daß der arme Mann eine ganze Weile nichts zu essen hatte. Darum ging er zu dem reichen Adligen, um ihn um Hilfe zu bitten. Dieser empfing ihn freundlich und fragte nach dem Grund seines Kommens. Der arme Mann antwortete, er habe seit Tagen nichts mehr zu essen und wäre froh, wenn er etwas zu essen bekommen könnte. „Ist das alles,“ sagte der Adlige. „Komm, setz‘ dich!“ Dann rief er: „Diener! Ein sehr wichtiger Gast ist gekommen, um mit mir zu speisen. Sagt dem Küchenchef, er soll sofort das Abendessen zubereiten, und bringt Wasser, damit wir die Hände waschen können.“

Der arme Mann war überrascht. Er hatte davon gehört, daß der Adlige sehr freundlich war, jedoch hatte er nicht mit einem so herzlichen Empfang gerechnet. Er war voll des Lobes für seinen Gastgeber. Dieser unterbrach ihn jedoch sofort: „Bitte sage nichts, mein Freund. Komm, setzen wir uns zum Essen.“ Und der alte Adlige begann, seine Hände zu reiben, so als ob Wasser über sie gegossen würde, und er fragte den armen Mann, ob er nicht auch seine Hände waschen wolle.

Der Gast sah weder einen Diener oder Wasser, beschloß aber, zu tun, wie ihm gesagt wurde. Und so tat er ebenfalls so, als wüsche er sich die Hände. „Nun wollen wir essen,“ sagte der Adlige und begann, verschiedene köstliche Gerichte zu bestellen. Obwohl keine einzige Speise zu sehen war und auch kein Diener, um sie aufzutragen, fuhr er fort: „Genieße dieses köstliche Festmahl, mein Freund. Du mußt all diese leckeren Gerichte aufessen.“ Und er gab vor, von irgendwelchen imaginären Tellern zu essen.

Der Arme war vor lauter Hunger geschwächt, doch verlor er nicht seinen Humor. Er ließ sich nicht von der Verzweiflung überwältigen und gab ebenfalls vor, von dem leeren Tisch zu essen. Der Adlige sagte daraufhin: „Was für eine köstliche Suppe! Das Curry ist wunderbar, nicht wahr, mein Freund?“ Der arme Mann antwortete zustimmend: „Sicher, gewiß!“ „Warum nimmst du nicht noch etwas mehr davon?“ Daraufhin begann der Adlige, ihm imaginäres Curry aufzutischen. So ging es eine ganze Weile mit unterschiedlichen Fantasiegerichten weiter.

Obwohl er verzweifelt hungrig war, dankte der arme Mann seinem Gastgeber über-schwenglich und sagte, er habe noch nie im Leben solch ein herrliches Festmahl genossen. Er behielt sein heiteres Gesicht bei, ohne das geringste Befremden oder Bedauern zu zeigen.

Der Adlige war ein großzügiger, wohltätiger Mensch. Er wollte prüfen, ob der arme Mann seiner Verzweiflung nachgeben würde. Er hatte von dessen Ruf gehört, niemals die Geduld zu verlieren. Er dachte, ein so zufriedener, heiterer Mensch sollte weder Hunger noch Armut erleiden. Aber er hatte seine Zweifel. Deshalb wollte er ihn zuerst prüfen.

Nun klatschte der Adlige in die Hände und ein Gefolge von Dienern kam herein, die all die köstlichen Gerichte brachten, die er vorhin aufgezählt hatte. Ein kunstvoll angerichtetes Festmahl wurde aufgetischt. Der arme Mann mußte nun nichts mehr vortäuschen, sondern genoß das Essen von ganzem Herzen.

Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, sagte der Adlige: „Mein Freund, du bist ein Mensch mit unendlicher Geduld. Du weißt aus allem das Beste zu machen und trägst Unglück mit Heiterkeit. Du bist der Richtige, um eines meiner Gehöfte zu verwalten. Du sollst künftig bei mir leben.“

Diese Geschichte birgt zwei Lektionen in sich:

Erstens, der Arme bat den Reichen nicht um großzügige Wohltätigkeit, um so einige Tage vom Betteln befreit zu sein. Er war nicht gierig und lebte in der Gegenwart. Er brauchte ein wenig Nahrung und bat auch nur darum. Hätte er um Geld gebeten, so hätte er welches bekommen und es in wenigen Tagen ausgegeben. Er fragte jedoch nur nach dem, was er tatsächlich dringend benötigte. Das bereitete den Weg für sein Glück.

Zweitens, als der arme Mann von seinem Gastgeber mit imaginären Gerichten bewirtet wurde, verlor er nicht die Geduld, obwohl er sehr hungrig war. Er klagte nicht über sein Unglück.

Daher ist die Moral der Geschichte, daß man geduldig sein und das Beste aus allem machen sollte. Man muß lernen, Unglück heiter zu tragen, sein Bestes zu geben, zu Gott zu beten und seiner Gnade zu vertrauen. Geduld ist Gold wert. Ohne Geduld wird das Leben ein vollständiger Fehlschlag. Man sollte niemals über sein Unglück klagen. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Wehklagen nützt nichts. Man muß lernen, mutig zu sein und sein Schicksal durch eigenes Bemühen zu gestalten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß man sich auf die Stimmung des Menschen einstellen muß, den man um einen Gefallen bittet und von dem man etwas erwartet.

Gier und die Gnade Gottes schließen sich aus. Wo Gier ist, kann es schwerlich Glück geben. Man sollte lernen, in der Gegenwart zu leben und nur um das zu bitten, was man wirklich braucht.

Mit Geduld, Heiterkeit, Zufriedenheit und Liebenswürdigkeit sollte man lernen, das Beste aus den Umständen zu machen, in denen man sich befindet.

  • Gleichnis vom König und seinem Falken


Ein König hatte einen Falken zum Jagen und Auskundschaften dressiert. Er nahm den Falken immer auf seine Ausflüge mit. Eines Tages ritten der König und seine Jagdgefährten auf dem Nachhauseweg durch ein Tal zwischen Wüstendünen. Der König war sehr durstig. Wie er so durch das Tal ritt, sah er zu seiner großen Freude etwas Wasser an einem Felsen herunter tropfen. Er sprang aus dem Sattel und hielt seinen silbernen Becher unter das Rinnsal, um etwas Wasser aufzufangen. In der Zwischenzeit schwang sich der Falke in die Lüfte und kreiste über den Dünen.

Als der Becher voll war, wollte der König das kristallklare Wasser trinken. Doch ehe er so weit war, stieß der Falke plötzlich von oben herab und schlug mit seinen Flügeln heftig gegen den Becher, so daß das Wasser verschüttet wurde.

Der König blickte nach oben und sah seinen Falken auf der Spitze des Felsens landen, von wo das Wasser hinunter tropfte. Er hob den Becher auf und hielt ihn wieder unter den tröpfelnden Wasserstrahl. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Becher wieder voll war. Gerade, als der König trinken wollte, stürzte der Falke wieder von oben herab und schlug ihm den Becher aus der Hand.

Der König wurde sehr ärgerlich. Noch einmal sammelte er mit großer Geduld das Wasser und zum dritten Mal hinderte ihn der Falke daran, zu trinken. Wütend zog der König sein Schwert und drohte dem Falken: „Das ist das letzte Mal. Wenn du mich noch einmal vom Trinken abhältst, bezahlst du mit deinem Leben!“ Er sammelte geduldig nochmals das Wasser, und diesmal wachte er mit seinem Schwert, als er den Becher anhob, um das Wasser zu trinken. Der Falke stürzte wieder nach unten und verschüttete das Wasser. Gleichzeitig schlug ihm der König mit einem schnellen Schwerthieb den Kopf ab.

 „Nun hast du deine Lektion!“ brummte er. Als er nach seinem Becher sah, entdeckte er, daß dieser in eine Spalte gefallen war, wo er nicht mehr zu erreichen war. Darum kletterte er auf den Felsen, um an der Quelle des tropfenden Wassers zu trinken. Oben fand er einen Teich, in dem eine tote Giftschlange lag. Der König war wie betäubt. Vergessen war sein Durst. Er dachte nur noch an seine voreilige Tat, mit der er den treuen Falken, der ihm das Leben gerettet hatte, getötet hatte. Der König lernte als bittere Lektion, niemals mehr etwas voreilig zu tun.

Voreiligkeit ist die Mutter des Kummers. Entwickle Unterscheidungskraft. Denke gut nach und handle erst dann. Schau, bevor du springst.

  • Gleichnis vom König und dem Astrologen


 Ein König zeigte einem Astrologen sein Horoskop und fragte ihn nach seiner Zukunft. Der Astrologe studierte die Planetenkonstellationen und die Schriften (Shastras). Dann verkündete er seine Schlußfolgerung: „Oh König, all deine Verwandten werden vor dir sterben und du wirst ihre Begräbnisse eigenhändig ausführen.“ Der König fühlte sich mit seinen Verwandten sehr verbunden und wollte ein solches Urteil nicht tolerieren. Umgehend befahl er, den armen Astrologe lebenslänglich einzusperren.

Dann sandte der König nach einem anderen Astrologen. Dieser fand die Ausführungen seines Kollegen absolut korrekt, vermittelte die gleiche Aussage jedoch taktvoll auf eine andere Weise: „Oh großer König, du wirst ein langes Leben genießen. Du wirst länger leben als all deine Verwandten.“ Dies beinhaltete auch, daß alle seine Verwandten vor ihm sterben würden. Dennoch war der König hocherfreut und beschenkte den Astrologen reich.

Darum heißt es, auch wenn man die Wahrheit sagt, soll man dies auf eine angenehme Art und Weise tun. Selbst die Wahrheit sollte nicht so vermittelt werden, daß sie die Gefühle anderer verletzt. Wenn man etwas auf eine verletzende Art und Weise sagt, ist es, als hätte man die Unwahrheit gesagt. Deine Sprache sollte wahrheitsgemäß, angenehm und wohltuend sein.

  • Gleichnis vom bärtigen Mann und dem Haferschleim


Eines Tages wurde einem Mann mit einem langen Bart und einem Schnurrbart ein Glas Haferschleim angeboten. Als der Mann den Haferschleim essen wollte, blieb er im Bart und im Schnurrbart hängen. Nun mochte der Mann sowohl den Haferschleim als auch seinen Bart und Schnurrbart, die er sorgfältig und liebevoll pflegte. Um nun den Haferschleim zu trinken, ohne ihn in den Bart zu verschütten, hielt er das Glas in einiger Entfernung vom Mund, mit dem Resultat, daß der gesamte Haferschleim auf dem Boden landete.

Der bärtige Mann ist wie ein unreifer Aspirant, der sein Äußeres unter großem Zeitaufwand ordentlich und schön hält. Der Haferschleim ist der Nektar der Weisheit, den ihm sein spiritueller Lehrer anbietet. In seinem Bemühen, Unbequemlichkeit und Härte fernzuhalten, versucht er, sich der regelmäßigen spirituellen Praxis (Sadhana) zu entziehen. Er meint, auch ohne eigenes Bemühen dauerhaftes Glück im Leben erreichen zu können.

Andererseits will er auch die Anweisungen des Lehrers befolgen, da sie ihm höchstes Glück versprechen. Sie bringen ihm aber keinen Nutzen, da er sie aufgrund seiner Torheit verschwendet. So bringt ihn auch das Zusammensein mit dem Guru nicht weiter. Er muß viel aus der Erfahrung lernen und dann seine Einstellung ändern. Er muß seine Liebe zum Körper und zu körperlicher Bequemlichkeit aufgeben und versuchen, aus der Nähe zum Guru und den Instruktionen, die er von ihm erhält, Nutzen zu ziehen.

Unsterblichkeit ist für den Geist und nicht für das Fleisch. Du kannst ersteres nur erreichen, wenn du letzteres transzendierst.

  • Gleichnis von der Erbin, die einen häßlichen Mann heiratet


Einst lebte eine wunderschöne junge Erbin mit einem sehr großen Vermögen. Viele junge Männer hielten um ihre Hand an. Aber sie zog einen häßlichen, armen Jüngling vor, der aufgrund seiner Liebe zu ihr bereits völlig durcheinander war. Wenn andere Bewerber sie fragten, warum sie gerade einen Mann gewählt habe, der weder gut aussah noch Wohlstand oder Verstand besaß im Vergleich zu ihnen, antwortete sie:

„Ihr könnt euch in keinster Weise mit diesem Mann vergleichen. Ihr besitzt nicht seine Augen, die fähig sind, alle Welten zu sehen.“ In der Liebe nur nach Äußerem zu urteilen, ist keine wahre Liebe sondern Heuchelei.

Die junge Erbin entspricht in diesem Beispiel Gott, der allen Reichtum besitzt. Der arme häßliche Jüngling ist wie ein frommer Aspirant, für den nichts außer Gott existiert, der alle drei Welten in diesem einen Ziel findet, denn für ihn gibt es nichts anderes. Die anderen Bewerber sind wie Gläubige, die Gott um Geschenke bitten, aber nicht um die Erfahrung Gottes selbst.

In der Liebe nur im Normalbewußtsein zu sein, ist Heuchelei, denn dann liebt man den anderen nicht um seiner selbst willen, unabhängig von äußerer Schönheit und Besitz. Nur in der materiellen Welt bewußt zu sein, bedeutet, das Gemüt, die Psyche, zu vernachlässigen.

Alle Yogawege, sei es Vedanta (Philosophie, Yoga des Wissens), Bhakti (Hingabe an Gott) oder Raja Yoga (Yoga der Gedankenbeherrschung) laufen letztlich auf dasselbe hinaus und haben ein Hauptziel: Du sollst die äußere Welt vergessen, ihr gegenüber blind sein und erkennen, daß alles in Raum und Zeit in der inneren Wirklichkeit in dir zu finden ist. Dann wird das Selbst dir seine Natur offenbaren. Dann wird dich Gott lieben und dich als Seinen größten Anhänger erwählen.

  • Gleichnis von der Schlange und der Ratte


Eine Kobra war in einem Korb ohne Nahrung gefangen. Um sie vollständig zu bändigen, hatte der Schlangenbeschwörer ihr mehrere Tage nichts zu fressen gegeben. Der Schlangenbeschwörer war gerade ausgegangen. Über dem Korb spielte eine Ratte. Die Kobra sprach die Ratte an: „Oh Ratte, du große Herrscherin! Du bist so freundlich und großartig. Du bist wirklich die Krone der Schöpfung im ganzen Tierreich. Ergieße deine Gnade über mich!“ Die Ratte hörte zu und fragte: „Wer spricht da aus dem Korb? Bist du nicht die Kobra, mein größter Feind? Warum schmeichelst du mir so?“ „Ich schmeichle dir nicht, du Kaiser aller Kaiser,“ antwortete die Kobra. „Ich schwöre hiermit, daß ich niemals mehr in meinem Leben eine Ratte auch nur anrühren werde. Darum sei gnädig mit mir.“ Erfreut über die Demut der Kobra und ihre Lobreden, sagte die Ratte: „Oh Kobra, du hast recht. Nun, da ich außer deiner Reichweite bin, bin ich der Kaiser aller Kaiser. Du bist hübsch gefangen im Korb. Ich bin von deinen Worten angetan. Nun sage mir, was kann ich für dich tun?“ Die Kobra antwortete: „Mag meine gespaltene Zunge immer von deiner Herrlichkeit singen, oh große Herrscherin! Ich bitte dich, mache ein kleines Loch oben in den Korb. Das ist ganz einfach für dich. Das ist der einzige Gefallen, um den ich bitte.“ „Pah!“ sagte die stolze Ratte. „Und um so einen kleinen Gefallen bittest du mich so inständig? Das werde ich gleich haben!“ Die Ratte machte sich sofort an die Arbeit. Noch bevor das Loch fertig war, sprang die Kobra aus dem Korb und verschlang als erstes die Ratte. Auf dem Weg begegnete sie dem Schlangenbeschwörer. Sie biß ihn so heftig, daß er an ihrem Gift starb.

Der Schlangenbeschwörer ist der spirituelle Schüler. Die Schlange ist der niedere Geist voll unguter Eindrücke (Samskaras) und Neigungen (Vasanas). Der Korb ist das kleine bißchen Selbstdisziplin Ttapasya = Askese) und spirituelle Praxis (Sadhana), die der Aspirant (Sadhaka) ausübt, um die schlechten Gewohnheiten und Geisteseindrücke in Schach zu halten. Die Ratte repräsentiert die paar guten Denk- und Verhaltensgewohnheiten, die im Geist gebildet worden sind. Aber der Geist hängt immer noch an Bequemlichkeit und Sinnesvergnügen. Die Ratte spielt somit eine Doppelrolle.

Mit großer Anstrengung gelingt es dem Schüler, den Geist einzufangen und in den Korb der Selbstdisziplin und spirituellen Übung zu stecken. Die negativen Eindrücke werden ausgehungert, indem man ihnen die Nahrung in Form von Sinnesbefriedigung (Vishaya-bhoga) verweigert. Bald glaubt der Schüler, den Geist völlig zu beherrschen und ihn nach seinem Willen arbeiten lassen zu können. Aber sowie er sich entfernt, d.h., wenn seine Wachsamkeit auch nur ein klein wenig nachläßt, nähert sich ihm ein Objekt des weltlichen Vergnügens. Der träge Geist freut sich bereits innerlich. Er versucht, die Freundschaft des Objekts zu gewinnen. Der bereits etwas erhellte Intellekt sagt: „Du böser Geist, du bist mein eingeschworener Feind. Wieso meinst du, daß ich dich aus den Einschränkungen der Selbstkontrolle befreien soll? Soll ich dir etwa wieder erlauben, dich an den Sinnen zu erfreuen?“ Doch der Geist ist ebenfalls listig. Er besingt die Vorzüge des Objekts des Genusses, malt sie in göttlichen Farben aus. „Du bist trotz allem keine Versuchung für mich! Wohlstand ist ein Werkzeug, um zu dienen und wohltätig zu sein. Das andere Geschlecht ist lediglich meine göttliche Mutter oder mein göttlicher Vater. Luxus ist nur der Lohn für meinen Körper, der unaufhörlich für das Wohlbefinden der Menschheit arbeitet. Ich habe geschworen, niemals den Sinnen nachzugeben.“ Doch all dies sind nur heuchlerische Worte!

Der niedere Intellekt schwört, niemals den Sinnen nachzugeben, auch wenn er von den Einschränkungen der Selbstkontrolle befreit wird. Daraufhin gibt man etwas nach und höhlt die Selbstkontrolle etwas aus. Über diesen Weg kann der teilweise kontrollierte Geist nun hinausfließen zu den Sinnesobjekten. Der niedere Geist verzehrt als erstes genüßlich das kleine bißchen Viveka (Unterscheidungskraft), welches im Schüler heraufzudämmern begann. Anschließend stürzt er sich auf die Sinnesobjekte. Die überwundenen Sinne und Wünsche kommen mit doppelter Kraft zurück. Der niedere Geist geht ungestüm voran und tötet den Aspiranten. Der spirituelle Sucher geht unter aufgrund seiner mangelnden Wachsamkeit und der kleinen Lücke, die in seiner spirituellen Praxis und seiner Selbstdisziplin durch den Kontakt des niederen Geistes mit den Sinnesobjekten entstanden ist. Deshalb hüte dich und lasse in deinen Bemühungen nicht eine Sekunde lang nach. Halte dich an deine Entschlüsse. Marschiere auf dein Ziel zu.

  • Gleichnis von der Frau, die ihre Eheerlebnisse anpreist


Zurückhaltende Menschen sprechen niemals zu Dritten von den süßen Liebesworten ihres Partners oder ihren ehelichen Erlebnissen. Eine törichte Frau war einmal sehr stolz auf die Liebe ihres Mannes. Sie glaubte nun, wenn sie anderen erzählte, wie liebevoll ihr Ehemann war und welche Liebesworte er ihr ins Ohr flüsterte, würden die Menschen sie bewundern und ihr zu ihrem großen Glück gratulieren. So begann sie, öffentlich über ihr Eheleben zu sprechen. Die Leute verlachten und verspotteten sie und ihre Verwandtschaft begann, sie zu meiden. Zuletzt begann selbst ihr Mann sie wegen ihres Verhaltens zu hassen. So verlor sie alles und verbrachte den Rest ihres Lebens sehr unglücklich.

Auch gute spirituelle Schüler (Sadhaka) sprechen nie über die Unterweisung (Upadesha) ihres Gurus oder ihre spirituellen Erlebnisse. Ein törichter Aspirant jedoch, der stolz ist auf seine anfänglichen spirituellen Erfahrungen, fängt an, damit Reklame zu machen, um die öffentliche Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich zu lenken. Die Menschen durchschauen jedoch seine Eitelkeit und er wird zum Gegenstand öffentlichen Spotts. Andere Sadhakas meiden seine Gesellschaft. Einbildung und Stolz führen dazu, daß er den anfänglichen Kontakt mit dem Göttlichen verliert und seine bisherigen spirituellen Erfahrungen einbüßt.

Deshalb behalte die Unterweisungen deines Gurus und deine spirituellen Erfahrungen für dich. Dann wirst du spirituell wachsen und das Ziel schnell erreichen.

  • Gleichnis von der frömmlerischen Anhängerin


Eine spirituelle Aspirantin hatte ein goldenes Abbild von Buddha, welches sie immer bei sich trug. Im Laufe ihrer Wanderschaft kam sie in ein Kloster, in dem es Hunderte von Buddhabildern gab. Sie mochte aber die anderen Buddhas nicht, sondern nur ihren eigenen. Wenn sie Räucherstäbchen für ihren Buddha anzündete, störte es sie, wenn der Rauch auch zu den anderen Bildnissen hinüberwehte. Um das zu verhindern, brachte sie um ihren Buddha einen Vorhang an. Innerhalb weniger Monate wurde ihr Bildnis dunkel vom Rauch, während die anderen Buddhas weiter golden strahlten.

So sind engherzige Menschen. Sie achten den Glauben anderer nicht. Wie ein Fluß ohne Nebenflüsse nicht existieren kann, so fehlt ihrem Glauben die Festigkeit und er stirbt eines frühen Todes. Man muß großherzig sein und auch den Glauben anderer akzeptieren. Die Religion, die alles einschließt und niemanden bekämpft, ist wahre Religion. Nur sie wird überdauern, während andere wie Luftblasen verschwinden werden. Eine solche Religion ist die Religion der Wahrheit, der Reinheit, Gewaltlosigkeit und Liebe.