Samadhi Yoga

Kapitel 2: Yoga

1. Was ist Yoga?

Yoga ist ein perfektes praktisches System der Selbst-Kultivierung. Man kann durch die Yogapraktik eine harmonische Entwicklung von Körper, Geist und Seele erlangen. Yoga ist eine exakte Wissenschaft. Man kann durch diese Praktik absolute Kontrolle über die gesamte Natur gewinnen. Yoga hilft dem Lernenden, ethische Perfektion und volle geistige Konzentration zu erlangen sowie verschiedene Kräfte zu entwickeln. Yoga lehrt angewandte Psychologie. Er hilft dem Übenden durch Samadhi in bewusste Vereinigung mit Gott zu treten, sich von den drei Gunas (Eigenschaften der Natur) zu trennen und am Ende Kaivalya, Unabhängigkeit, zu erreichen.

Yoga bedeutet, die Sinne vom Universum der Dinge abzuwenden und den Geist im Inneren zu konzentrieren. Yoga bedeutet ewiges Leben in der Seele, in der geistigen Essenz. Yoga verwandelt einen Menschen hin zur Göttlichkeit. Yoga bringt eine Botschaft der Hoffnung zu Verlorenen, Freude zu Niedergeschlagenen, Kraft zu Schwachen und Wissen zu Unwissenden. Yoga ist der geheime Universalschlüssel zu den Gefilden ewiger Wonne und tiefen, bleibenden Friedens.

Der Weise Yajnavalkya definiert Yoga so:

„Das Verbinden der individuellen Seele mit der höchsten Seele wird Yoga genannt.“[Yogayājñavalkya, 1.43]

Leben in Gott bringt ewige Glückseligkeit. In Gott zu leben, mit Gott im Dialog zu stehen, das ist Yoga. Gott ist ein Ozean der Freude. Wer Gott vergisst, erlebt Leid, Schwierigkeiten, Kummer und Elend.

Yoga ist eine Disziplin des Geistes, der Sinne und des Körpers. Yoga hilft, die subtilen Kräfte im Körper zu koordinieren und zu kontrollieren. Yoga bringt Vollkommenheit, Frieden und andauernde Freude. Man kann durch das Praktizieren von Yoga zu jeder Zeit einen ruhigen Geist haben. Man kann erholsam schlafen. Man kann ein höheres Energieniveau, Tatkraft, Vitalität, Langlebigkeit und einen sehr guten Gesundheitszustand haben. Man kann in kurzer Zeit effiziente Arbeit leisten. Man kann in jedem Aspekt des Lebens Erfolg haben. Yoga wird dir neue Kraft einflößen, Zuversicht und Selbstvertrauen. Durch Yoga kannst du Herr deines Geistes, deiner Zunge, deiner Leidenschaften, Emotionen, Impulse, Stimmungen etc. werden. Körper und Geist werden dir voll und ganz zu Diensten sein.

Es gibt vier Arten von Yoga: Mantra Yoga, Laya Yoga144, Hatha Yoga145 und Raja Yoga. Es gibt eine zweite Klassifizierung nach den Qualitäten: aktiv, hingebungsvoll, mystisch und rational. Das sind dann Karma Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga.

Yoga zielt darauf ab, den Geist und seine Veränderungen zu kontrollieren. Das Praktizieren von Yoga entzwirnt den Jiva146 von der Welt der Erscheinungen und Sinnesobjekte. Der Jivatma (individuelle Seele) wird eins mit dem Paramatma (höchste Seele). Diese Vereinigung mit Paramatma ist das Ziel der menschlichen Existenz. Die westlichen Philosophen – Pythagoras, Plato, Emerson, Schopenhauer, Spinoza, Descartes, Max Müller und Paul Deussen – haben das Studium der Yoga-Wissenschaft hoch gelobt.

Du kannst  durch yogische Disziplin und die Beherrschung der Gedankenwellen physische und übernatürliche geistige Kräfte entwickeln. Der physische Körper und der Geist sollten durch Üben von Yoga unter Kontrolle gebracht werden: durch Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Kriya147, Konzentration und Meditation. Mit Hilfe dieser Praktiken befreist du dich von der Unruhe des Körpers und des Geistes. Du sicherst dir ein andauernd hohes Niveau an Tatkraft, Vitalität, verlängerte Jugend und Langlebigkeit sowie einen festen starken Geist.

Yoga ist adhyatmische148 (höchste) Wissenschaft, die Wissenschaft vom ewigen höchsten Selbst. Sie hilft dem Suchenden, Brahman, Gott, zu finden. Yoga ist die Wissenschaft der Wissenschaften;  sie hilft dem Suchenden Selbsterkenntnis zu erlangen. Sie kann nicht zu niederen Zwecken benutzt werden, zum Beispiel um herauszufinden, ob ein Mensch lebt oder tot ist oder wer eine Sache gestohlen hat. Wenn man es dafür gebraucht, wird Yoga zu Zirkusspiel oder Magie. Es ist dann kein Yoga mehr. Yoga ist nicht dazu da, Siddhis, besondere Kräfte zu bekommen.

Wissen ohne Yoga (im Sinne von Erfahrung, Praxis) kann keine Befreiung bringen. Und ebenso kann Yoga ohne Wissen keine Befreiung bewirken. Darum sollte, wer nach endgültiger Befreiung, nach Moksha, strebt, sich in Yoga üben und auch sein Wissen schulen.

Jnana (reines Buchwissen) ohne Yoga (direkte, intuitive Wahrnehmung) ist nutzlos. Yoga (bloße Kenntnis der Asanas, Mudras, Neti149, Dhauti150  etc.) ohne Jnana (Anubhava Jnana, Erkenntnis, Verwirklichung) ist nicht vollkommen. Jnana und Yoga sind die zwei Flügel des Hamsa Vogels (Symbol für Brahman). Jnana (Erkenntnis) steigt durch Yoga (Einheitserfahrung). Jnana ist die Frucht von Bhakti (Hingabe).

Es gibt verschiedene Formen des Yoga, je nach Temperament des Übenden. Im allgemeinen bedeutet es Karma Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga, Jnana Yoga, Hatha Yoga. In einem engeren Sinne bedeutet es Raja Yoga. Hatha Yoga ist nicht getrennt von Raja Yoga. Hatha Yoga bedeutet der Yoga, die Verbindung von Ha und Tha. Ha ist die Sonne, Tha ist der Mond. Prana (Einatmen, alle aufbauenden Vorgänge) ist als „Sonne“ bekannt, Apana(Ausatmen, alle ausscheidenden Vorgänge) als „Mond“.  So ist Hatha Yoga die Verbindung von Prana und Apana. Hatha Yoga bereitet den Schüler auf Raja Yoga vor. Er ist ein Hilfsmittel für Raja Yoga.

Asanas beziehen sich auf den physischen Körper. Sie stärken ihn und befreien von körperlichen Schwächen. Bandhas151 gehören zu Prana. Ein Bandha ist „etwas, was bindet“. Bandhas erlauben dem Prana nicht, aufzusteigen oder dem Apana nicht, hinunter zu wandern. Sie verbinden Prana mit Apana und schicken das vereinigte Prana-Apana das Sushumna Nadi152hinauf. Mudras betreffen den Geist. Mudra heißt „Siegel“, Verbindungssiegel von Geist und Seele, Atman. Sie erlauben dem Geist nicht, auf die Dinge im Außen zuzugehen. Sie lenken den nach außen gerichteten Geist auf Atman im Herzen und machen ihn dort fest.

Die oben beschriebene Disziplin ist ein Mittel, um das Yogaziel zu erreichen. Es ist in der Tat die höchste Form von Disziplin. Ein Yogaschüler muss diesen vorbereitenden Yoga mit ganzem Herzen und unbeirrbarer Hingabe üben. Das Mittel ist genauso wichtig wie das Ziel selbst. Wenn du diese Praktiken vernachlässigst und sofort zur Meditation überspringst, in der Hoffnung, schnell Samadhi zu erlangen, wirst du nicht von Erfolg belohnt werden. Der spirituelle Prozess wird sich hinauszögern. Jeder Schritt im Yoga ist wichtig. Jeder Schritt will gemeistert werden. Nur dann wirst du bereit sein, den nächsten Schritt anzugehen. Anfänger sind sehr neugierig und wollen alles über Samadhi (Überbewusstsein) wissen. Sie wollen Samadhi ganz schnell erreichen, um die Leute zu beeindrucken und sich einen Namen zu machen. Sie streben stark nach Anerkennung.

Yoga vergleicht das weltliche Leben mit den Umdrehungen eines Rades mit sechs Speichen. Die sechs Speichen sind Raga-Dvesha (Mögen und Nichtmögen), Tugend und Laster, Freude und Leid. Der Mensch begeht tugendhafte und schändliche Taten, je nachdem welche der beiden Strömungen stärker wirkt – und wie Vorlieben und Abneigungen spielen – und er erntet die Früchte seiner Taten: Freude und Leid. Aufgrund der Erinnerung an Dinge, die ihm Vergnügen bereiteten, hängt er an Sinnlichem. Aus diesem Verhaftetsein heraus beginnt er, gewisse Personen zu bevorzugen und anderen Schaden zuzufügen. Neue Vorlieben und neue Abneigungen sprießen dann im Geiste. So dreht und dreht sich das Rad ohne eine Chance, von alleine zum Stillstand zu kommen. Ein Yogi hält das Rad dadurch an, dass er die fünf Kleshas153 durch das Üben von Asamprajnata Samadhi zerstört.

Yoga legt dir die Abkehr von weltlichen Interessen nahe, um ungestört meditieren zu können. Es empfiehlt, über das innere Licht des Herzens oder etwas anderes, das dir angenehm ist zu meditieren. Es rät dir Rückzug von den gewöhnlichen Beschäftigungen des Lebens zum Zwecke ununterbrochener Meditation. Yoga in diesem Sinne kann auch zu Hause geübt werden, wenn man ein gut geordnetes Leben führt.

Gottesbewusstsein, Kommunion mit Gott,  ist der Höhepunkt der Yogadisziplin. Er wird begleitet von einem unglaublichen Gefühl der Freiheit und Erhebung aufgrund des Zerbröckelns des falschen, illusorischen kleinen „Ich“. Der Yogi ist nun im Besitz aller göttlichen Kräfte. Er genießt ungetrübte ewige Wonne.

Alle Yoga-Arten gipfeln in Jnana Yoga. Der Vedanta (Philosophie der Einheit) ist die glorreiche Krone allen Yogas. Er ist das oberste Ende der Yoga-Leiter. Hatha Yoga ist ein Schritt zu den anderen Yogaformen. Es ist kein Selbstzweck. Hatha Yoga führt einen zu Raja Yoga.

Ein Hatha Yogi, der anfänglich Pranayama (Atemübungen) und Kriyas (Reinigungsübungen) übt, wird schließlich am Ende zu einem Dhyana Yogi (Meditierenden) bzw. einem Raja Yogi. Hatha Yoga mündet in Raja Yoga und Raja Yoga mündet in Jnana Yoga.

Der Blick eines Raja Yogi ist tief durchdringend, denn er hat all die zerstreuten Strahlen des Geistes gebündelt, indem er ihn durch geduldiges Sadhana (spirituelle Praxis) erzogen hat. Er kann schlagartig vollständiges Wissen über einen entfernten oder auch inneren Gegenstand erlangen. Sein Geist ist wie ein starker Scheinwerfer. So wie ein Perltaucher tief hinabtaucht und eine Perle heraufbringt, so dringt der Geist eines Raja Yogi tief in einen Gegenstand ein und fördert seine Wahrheit im Handumdrehen ans Licht.

Zwölf Pranayamas (Atemübungen) bilden ein Pratyahara (Zurückziehen der Sinne). Zwölf Pratyaharas bilden ein Dharana (Konzentration). Zwölf Dharanas ergeben Dhyana. Zwölf Dhyanas (Meditationen) werden Samadhi (Überbewusstsein) erschaffen.

Gorakhnath (auch Goraksha), der mehrer Werke über Yoga verfasste, meinte, dass zweistündiges Atembeherrschen ein Dharana ergibt, vierundzwanzigstündiges  Dharana ein Dhyana und zwölf Tage langes Regulieren des Atems ein Samadhi.

Asana (Position) ist der Samen. Pranayama (Atembeherrschung) die Wurzel. Regelmäßiges Üben ist das Wasser. Gute Gesundheit ist die Blume. Die Konzentration des Geistes auf einen Punkt (Ekagrata) ist die Frucht. Dies ist der Pfad des Hatha Yoga.

Laut der Shivayoga Pradipika sind Siddhasana154, Padmasana155, Svastikasana156, Muktasana157, Virasana158, Badhrasana, Mayurasana159, Simhasana160und Gomukhasana161die besten Asanas.

Wenn ein Yogi nicht aufpasst, wenn er nicht fest verankert in den vorausgehenden Yama- und Niyama- (ethisch-moralische Regeln) Praktiken steht, wird er unbewusst durch Versuchungen – Maya – von seinem Ideal abgebracht. Er benutzt dann seine Kräfte für selbstsüchtige Ziele und wird hoffnungslos zu Fall kommen. Sein Intellekt erblindet,  sein Verständnis wird vernebelt. Er ist nicht länger ein göttlicher Yogi. Er wird zu einem schwarzen Magier, einem Yogi-Scharlatan. Er ist ein schwarzes Schaf im Schoß der Yogifamilie.

Chitta Shuddhi ist die Reinigung des Geistes. Nadi Shuddhi ist die Reinigung der Nadis, der astralen Nervenkanäle. Bhuta Shuddhi ist die Reinigung der Elemente. Adhar Shuddi ist die Reinigung von Adhara, dem tragenden Behältnis. Mit Shuddhi (Reinheit) kommt Siddhi (Perfektion) von alleine. Siddhi ist ohne Shuddhi nicht möglich.

Dein Motiv, Yoga zu erlernen muss rein sein. Du darfst nur den einen Wunsch haben, nämlich Selbsterkenntnis durch absolutes Brahmacharya zu erreichen. Sublimiere den Sex. Missbrauche die durch yogische Kriyas errungene Kraft nicht. Untersuche und analysiere dein Motiv genau. Es gibt viele Versuchungen und Gefahren auf dem Weg des Yoga. Sei vorsichtig, Prem, mein Kind! Ich warne dich wieder und wieder.

Suchende schreien nach inneren spirituellen Erfahrungen. Sie sehnen sich nach dem Erwachen von Kundalini und Samadhi. Wenn die Erfahrungen dann tatsächlich eintreten, zittern sie vor Angst und brechen ihr Sadhana ab. Der Adhara, der Behälter, ist nicht rein und stark genug, das göttliche Licht zu empfangen. Wenn die Suchenden kurz davor stehen, in der Meditation über die Körper-Erfahrung hinauszugehen, erschrecken sie fürchterlich. Sie öffnen die Augen, um sich zu vergewissern, ob sie einen Körper haben oder nicht. Wenn ihr Atem in der Meditation aussetzt und wenn er versucht sich zum Sahasrara162 (Scheitel) hinauf zu bewegen, macht ihnen das Angst. Sie öffnen die Augen um zu sehen, ob der Atem noch in den Nasenflügeln fließt oder nicht. Dadurch wird die Meditation gebrochen.

Sei nicht verunsichert. Harre auch nicht ungeduldig auf das Erwachen von Kundalini. Richte deine volle Energie und Konzentration darauf, den Geist zu reinigen, alle möglichen Arten von geistigem Schmutz zu beseitigen, wie subtiles Moha (Täuschung), subtilen Egoismus, subtiles Verhaftetsein und Bindungen, subtiles Verlangen, versteckte persönliche Sehnsüchte, Ambitionen etc. Das ist das Wichtigste. Selbst wenn die Kundalini erwacht, wirst du nicht viel davon profitieren solange noch Vasanas (Wünsche) etc. im Chitta (Unterbewusstsein) verbleiben. Pass auf versteckte Vasana-Unterströmungen auf. Reinige deinen Geist. Zerstöre Vasanas und Trishnas. Übe mit der rechten Methode Sadhana.

Du kannst deinen eigenen Schatten nicht einfangen, so sehr du es auch versuchen magst. Drehe dich der Sonne zu. Drehe dem Schatten deinen Rücken zu. Genauso ist es, wenn du Geld oder weltlichem Besitz nachrennst. Du wirst sie nie zu fassen bekommen. Drehe weltlichem Reichtum den Rücken zu. Fliege hoch in den Sphären ewiger Wonne, in unerschöpflichen spirituellen Reichtum. Siddhis und Riddhis (übersinnliche Fähigkeiten) werden vor deine Füße fallen. Du wirst im Besitz aller göttlichen Aishvaryas (göttliche Kräfte) sein. Wenn du dich nach etwas verzehrst, wirst du es nie bekommen. Du wirst nur zu einem Sklaven. Sage dich von dem Verlangen nach dem Gegenstand los. Dann folgt er dir von ganz alleine.

2. Wer ist ein Yogi?

Im Yoga liegt eine neue Botschaft, ein neues Leben, eine neue Perspektive, ein neuer Verhaltenskodex, neue Freude, neues Wissen und neue Hoffnung für den Menschen. Man wächst und entwickelt sich schnell. Man entfaltet seine schlummernden Kräfte und Begabungen sowie natürliche Gesetzmäßigkeiten. Man wird Meister über Impulse, Süchte und Sinne, Prana, Geist und Körper. Über alle möglichen Arten von Schwäche und Angst, Trauer und Schmerz, Kummer und Leid triumphiert man. Man findet Gott durch die Yogapraxis. Man verbindet sich mit Gott indem man Geist und Sinne diszipliniert. Man erhebt seinen niederen Geist, der nur in alten Geleisen lief und sinnliche Bahnen verfolgte, zu den höchsten Höhen göttlicher Herrlichkeit und Reinheit.

Ein Yogi sieht die Seele in allem und erkennt Gott überall. Er versteht die Freude und das Leid von allen als seine eigene Freude und sein eigenes Leid, denn er besitzt kosmisches Bewusstsein und hat alle Hürden von Absonderung, Entzweiung und Unterscheidung eingerissen. Er hat ungetrübte Einsicht und geistige Gelassenheit. Er erfreut sich an der göttlichen Ekstase von Samadhi, der herrlichen Gottesbewusstheit. Sein Herz ist erfüllt von reiner Liebe und Mitgefühl.

Ein Yogi behauptet, er könne außergewöhnliche Kräfte und Wissen erlangen, indem er Sehnsüchte und Gelüste unterwirft und Yama, Niyama und Samyama163praktiziert. Rishi164 Patanjali  warnt seine Schüler ganz eindeutig, nicht durch die Versuchung, besondere Kräfte zu erlangen hingerissen zu werden. Die Götter selbst testen den unvorsichtigen Yogi, indem sie ihm eine ihnen gleiche Stellung anbieten. Viele Schüler streben mehr nach Siddhis als nach der wirklichen spirituellen Erfüllung, trotz der einschlägigen Warnhinweise.

Der Besitz von Siddhis bringt einen nicht näher zu Gott. Die Entwicklung übernatürlicher Kräfte an sich ist nicht gleichzusetzen mit spirituellem Wachstum. Siddhis sind sogar Hindernisse für den spirituellen Fortschritt. Sie führen Schüler in Versuchung und bringen sie zu Fall. Darum gehe ihnen entschlossen aus dem Weg.

Wenn ein Magnet stark ist wirkt er auf Eisen, selbst wenn es sich in weiter Entfernung befindet. Genauso hat ein Yogi, wenn er fortgeschritten ist, größeren Einfluss auf die Menschen mit denen er in Kontakt kommt, selbst wenn diese weit von ihm entfernt leben.

Ein Yogi der regelmäßig meditiert hat eine magnetische und charmante Persönlichkeit. Wer mit ihm in Kontakt kommt, wird von seiner angenehmen Stimme, seinen kraftvollen Worten, den strahlenden Augen und dem glänzenden Aussehen, von seinem starken, gesunden Körper, tugendhaften Charakter und seiner göttlichen Natur beeinflusst. Wie ein Salzkörnchen, das man in einen Behälter mit Wasser gibt, sich darin auflöst, wie der süße Jasminduft die Luft durchdringt, so dringt auch seine spirituelle Aura in den Geist anderer ein. Die Menschen erlangen Freude, Frieden und Stärke von ihm. Sie werden durch seine Worte inspiriert und ihr Geist erhebt sich allein durch den Kontakt mit ihm.

Ein Meister im Yoga, ein voll aufgeblühter Yogi, kann durch seine yogischen Kräfte das yogische Feuer von innen heraus entzünden und seinen Körper verbrennen, wann immer er ihn verlassen möchte.

Spirituelles Wachstum geschieht schrittweise. Es ist eine allmähliche Entwicklung. Verfalle nicht in fiebrige Hast, yogische Glanzstücke zu vollbringen und innerhalb von zwei, drei Monaten in Nirvikalpa Samadhi einzutreten. Das Praktizieren von Nauli165, Basti166 oder Neti Kriyas, Bhastrika167 Pranayama, Bandhas oder Mudras wie Khechari168, können dich nicht in ein paar Monaten zum Meister machen. Die Sinne müssen gründlich unterworfen werden. Göttliche Tugenden müssen entwickelt werden. Schlechte Eigenschaften müssen ausgemerzt werden. Der Geist muss vollständig beherrscht werden. Das ist eine anstrengende Aufgabe. Das ist keine Schlittenfahrt. Es verlangt von dir, strenges Tapas (Askese, intensive Praxis) zu üben, zu meditieren und geduldig auf die Ergebnisse zu warten. Die Yoga-Leiter muss Stufe für Stufe erklommen werden. Du wirst den spirituellen Pfad Stadium für Stadium durchlaufen müssen.

3. Verschiedene Wege von Yoga

Machtgier, Habsucht, sinnliche Leidenschaften, Selbstsucht, Verlangen nach Reichtum und andere kleinere Gelüste haben den Menschen aus seinem wahren Leben in der Seele in ein materialistisches Leben hineingezogen.  Er kann seinen verlorenen göttlichen Glanz wieder erlangen, wenn er die Prinzipien des Yoga mit aufrichtiger Hingabe befolgt. Yoga transformiert die animalische Natur in Göttlichkeit und erhebt den Menschen auf den Gipfel göttlichen Glanzes.

Das große Problem des menschlichen Daseins liegt in der Befreiung der Seele aus der Spirale der Sterblichkeit. Diese Freiheit kann entweder durch Raja Yoga, Bhakti Yoga oder Jnana Yoga erlangt werden.



Ein klares Verständnis der Beziehung von Mensch und Gott ist von äußerster Wichtigkeit für Philosophieschüler und alle Suchenden. Philosophen, Propheten, Heilige, Weise, Denker, Acharyas169 und die großen religiösen Führer dieser Welt haben versucht, die Beziehung des Menschen zu Gott und zum Universum zu erklären. Unterschiedliche philosophische Schulen und verschiedene Glaubenshaltungen sind entstanden.

Menschen haben unterschiedliches Temperament und unterschiedliche Talente. Darum sind auch verschiedene philosophische Schulen nötig. Den höchsten Rang nimmt die Advaita-Philosophie ein. Ein Dualist oder Anhänger des Vishishtadvaita wird letztendlich zum Kevala Advaitin. Die dualistische Schule ist wie ein Grundstudium, die Vishishtadvaita Schule der Bachelor Studiengang und Kevala Advaita das Masterstudium.

Drei Stufen führen zum Tempel Gottes. Das sind: Karma, Bhakti und Jnana Yoga. Du musst deinen Fuß auf jede dieser Stufen mit großer Achtsamkeit setzen. Wenn du versuchst, gleich auf die höhere Stufe zu steigen, wirst du abrutschen, fallen und dir das Bein brechen.

Je nach Temperament bevorzugen einige den Weg des Jnana Yoga mit seinen drei Attributen Shravana, Manana und Nididhyasana (Hören, Reflektieren und Meditieren); andere bevorzugen den Weg des Bhakti Yoga mit den drei Schritten: Kirtana, Bhajan und Sharanagati (Singen von Gottes Namen, Anbetung und absolute Hingabe). Wieder andere bevorzugen den Weg des Raja Yoga mit seinen drei Phasen: Konzentration, Meditation und Samadhi.

Ein Bhakti Yoga-Schüler sollte eine große Vorstellungskraft besitzen, ein Jnana Yoga-Schüler mit der Kraft der Reflektion, der Analyse und mit Forschungsgeist gesegnet sein. Ein Schüler von Bhakti Marga (Weg der Hingabe) sollte reichlich reine Emotion, ein Schüler von Jnana Marga (Weg der Erkenntnis) viel inneren Frieden und Ruhe bzw. Gelassenheit haben.

Stelle dir einen goldenen Ring mit einem kostbaren, sehr kleinen feinen Diamanten vor. Das Gold ist nicht so wertvoll wie der Diamant, obwohl es den Körper des Rings ausmacht. Der Diamant am Ring ist wie ein Kronjuwel. Er nimmt nur einen kleinen Platz am Ring ein und doch ist er ganz besonders wertvoll. Genauso sprechen die Schriften von Karma Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga. Sie sind das Gold des Ringes, doch die Anubhava176, die Selbsterkenntnis, ist wie der zarte, wertvolle Diamant, der den Ring ziert.

Du brauchst Kenntnis von Gott. Nur dann kannst du Ihn lieben. Suche die Nähe von Heiligen und Mahatmas177 und erfahre über seine Lilas178. Die Heiligen sagen, dass es einen allerbarmenden, allmächtigen, allwissenden, allgegenwärtigen Gott gibt. Studiere das "Bhagavata Purana"179, das "Ramayana"180 und andere Schriften. Durch Shravana (Hören, Lesen) und Satsang kommen Bewunderung, Anziehung, Verbindung und höchste Liebe zu Gott. Du kannst Ihn nicht kennen ohne Ihn zu lieben. Liebe manifestiert sich im Handeln. Du dienst deinem Bruder, deinem Vater, deiner Mutter, deinem Lehrer, deinem Freund in Liebe. Ohne Konzentration (Yoga) kannst du keine guten Werke verrichten. Ohne Konzentration kannst du Gott nicht erkennen. Darum sind Karma Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga miteinander verwoben. Man kann sie nicht voneinander trennen. All diese Wege führen zum gleichen Ziel.