Samadhi Yoga

Kapitel 1: Sadhana

Diese Welt ist ein Gaukelspiel der Maya91 (Illusion, Täuschung) – Maya Indrajala92. Es ist das Spiel von zwei kleinen Augenlinsen. Wenn du deine Augen schließt löst sie sich in Nichts auf. Es ist wie Mrigatrishna93, Wasser in einer Luftspiegelung. Warum bemühst du dich dann so in weltlichen Angelegenheiten? Warum verstrickst du dich in eitlen selbstsüchtigen Beschäftigungen? Meide Maya. Erkenne das Selbst, den Atman.

Genauso wie das im Opferholz latent vorhandene Feuer sich nur dann manifestiert,  wenn es zum Brennen gebraucht wird, so kann auch die Lampe der Weisheit nicht ohne spirituelles Sadhana oder Abhyasa94Yoga (spirituelle Übung) entzündet werden. Darum widme dich fleißig und mit aufrechtem Ernst der spirituellen Praxis. Sadhya (Wissen) kann nur durch Sadhana (Praxis) erreicht werden.

Höre meine Worte, Oh Prem! Beherrsche den Redefluss. Beherrsche den Geist. Beherrsche das Prana (Lebensenergie). Beherrsche die Indriyas95 (Sinnesorgane). Reinige deinen Intellekt, die praktische Vernunft (Vyavahara Buddhi). So wirst du leicht Selbsterkenntnis erlangen. Du wirst spirituellen Fortschritt machen. Beginne das Sadhana mit aufrichtigem Ernst und zwar jetzt. Schiebe es nicht einmal um eine Sekunde auf. Da du Jugend, Energie, Vairagya (Leidenschaftslosigkeit) und ein reines Herz besitzt, wird dein Bemühen ohne Zweifel von Erfolg gekrönt sein. Bleibe an einem zurückgezogenen Ort wie Rishikesh, Uttarkashi etc. Gehe in intensive, tiefe Meditation. Schreibe jeden Monat einen Bericht über deinen spirituellen Fortschritt.

Die Bergpredigt bildet das Herzstück der Lehren Jesu. Lebe im Geist dieser Lehren. Das gesamte spirituelle Sadhana und die Essenz der Veden (klassische indische Schriften) finden sich in ihnen. Praktiziere sie im täglichen Leben. Jedes Individuum sollte die Art zu leben kultivieren, welche ihn oder sie am besten zum Ziel ihres oder seines Strebens führt, d.h. zu Selbsterkenntnis.

Du kannst es der Welt nicht recht machen. Denke an die Geschichte vom alten Mann, seinem Sohn und dem Esel96. Bleibe bei deinen Idealen, Überzeugungen und Prinzipien, und zwar hartnäckig, gleich ob du dich beliebt oder unbeliebt machst – sogar wenn die ganze Welt gegen dich ist. Stehe kühn zu deinen Prinzipien des rechten Verhaltens und Lebens. Weiche nicht einen Schritt zurück, nicht einen Zentimeter.

Der spirituelle Pfad ist ohne Zweifel mit verschiedenen Schwierigkeiten besetzt. Es ist der „Rasierklingen-Pfad“. Auf ihm zu schreiten ist wie auf der scharfen Kante einer Rasierklinge zu laufen. Du wirst viele Male hinunterfallen, aber du musst schnell wieder aufstehen und weitergehen, mit noch mehr Ehrgeiz, Kühnheit und Frohsinn. Jeder Stolperstein wird eine Stufe nach oben zum Erfolg oder Aufstieg auf den spirituellen Berg werden. Mit jedem Herunterfallen erlangst du mehr Stärke, um auf der Leiter des Yoga empor zu steigen. Verliere das Ziel nicht aus den Augen. Verfehle das Ideal nicht. Lass dich nicht entmutigen. Du wirst bald schon spirituelle Stärke von innen beziehen. Der innere Bewohner deines Herzens wird dich leiten und aufwärts schieben. Alle Heiligen und Weisen, alle Propheten und Seher mussten durch riesige Kämpfe und schwere Proben bevor sie ihr Ziel erreichten. Schreite mutig voran und erreiche dein Ziel.

Der spirituelle Pfad mag am Anfang sehr hart, dornig, steil und rutschig erscheinen. Den Dingen zu entsagen schafft Schmerzen im Außen. Wenn du größtes Bemühen aufwendest, diesen Pfad zu beschreiten, wenn du einmal mit starker Entschlossenheit die klare Entscheidung gefasst hast, wird es sehr leicht werden. Du gewinnst dann Interesse daran und neue Freude. Dein Herz dehnt sich aus. Du wirst eine umfassende Perspektive auf das Leben bekommen. Du wirst eine neue, weite Sicht besitzen. Du wirst die Hilfe der unsichtbaren Hände des inneren Bewohners deines Herzens fühlen. Deine Zweifel klären sich von selbst durch Antworten aus dem Innern. Du kannst die laute, süße Stimme Gottes hören. Unbeschreiblich aufregende göttliche Ekstase kommt aus dem Inneren. Sie birgt tiefe, andauernde, unendliche, nie abnehmende, nie verblassende spirituelle Seligkeit. Daraus ziehst du neue Kraft. Du fasst immer sicherer Fuß auf dem Pfad. All die Jivanmuktas (Befreite), Yogis, Nitya Siddhas (Meister), Amara Purushas (Verwirklichte) und Chiranjivis (Verwirklichte) reichen dem ringenden Aspiranten ihre helfende Hand. Der Aspirant fühlt das wirklich. Das Gefühl einsam, vernachlässigt, im Stich gelassen zu sein verschwindet in der Tat.

Selbst wenn du nur stolpernden Schrittes auf dem spirituellen Pfad vorankommst, musst du dieses höchste Ideal vor Augen behalten. Erkenntnis wird von alleine kommen, wenn du an einem starken Ideal festhältst.

In dir weilt der verborgene Gott. In dir ist die unsterbliche Seele. In dir liegt der unerschöpfliche spirituelle Schatz. In dir ist der Brunnen der Freude und des Glücks. In dir ruht der Ozean der Seligkeit. Suche in deinem Inneren nach diesem Glück, das du vergeblich in den vergänglichen Objekten gesucht hast. Weile friedvoll in deinem eigenen Atman (Selbst) und trinke den Nektar der Unsterblichkeit.

Koste die unsterbliche Süße des wunderschönen Lebens im Selbst, im Inneren, durch Auslöschung des Geistes. Lebe im Atman und erreiche den gesegneten unsterblichen Zustand.

Meditiere und gelange in die Tiefen des ewigen Lebens, zu den Höhen göttlichen Ruhmes und schließlich zur vollen Herrlichkeit der Vereinigung mit dem Höchsten Selbst. Nun ist deine lange, ermüdende Reise zu Ende. Du hast deine Bestimmung erreicht – dein süßes, ursprüngliches Zuhause endlosen Friedens – das Param Dhama97 (die höchste Wohnstätte).

In der gleichen Weise wie du Nahrung für den Körper brauchst, bedarfst du der Speise für die Seele, in Form von Gebeten, Japa98, Kirtana99, Meditation etc. Ebenso wie du unruhig bist, wenn du nicht rechtzeitig Essen bekommst, wirst du Unruhe spüren, wenn du nicht morgens und abends zur rechten Zeit betest, wenn du Beten und Japaeine Zeit lang praktiziert hast. Auch die Seele verlangt zur rechten Zeit nach ihrer Nahrung. Seelennahrung ist wichtiger als körperliche Nahrung. Darum bete und praktiziere Japa und Meditation regelmäßig.

In der gleichen Weise wie der physische Körper Speise zum Wachsen braucht, bedarf der astrale, feinstoffliche Körper spiritueller Nahrung für sein Wachsen und für seine Entwicklung. Wenn du nicht mit Regelmäßigkeit dein Japa (Mantra- Wiederholung) oder deine Meditation übst, wird der feinstoffliche Körper schwach und deine Kraft, unnützen Gedanken, Vasanas und Samskaras zu widerstehen wird geringer. Ich denke, nun begreifst du die Notwendigkeit der Beständigkeit im Sadhana.

Es stimmt nicht, dass nur einer Moksha100 erlangt hat, und dass es niemand sonst vermag. Die Geschichte beweist, dass schon eine Vielzahl von Shankaras 101 in diese Welt gekommen sind. Wenn die Vergangenheit Shankaras hervorbringen konnte, warum sollte es die Zukunft nicht auch? Was einer erreicht hat, kann ebenso auch von anderen erreicht werden. Das ist das unveränderliche Gesetz der Natur. Jeder, der das Wissen um das Selbst erlangt, so wie Yajnavalkya102 in der Brihadaranyaka Upanishade oder wie Uddalaka103 in der Chhandogya Upanishade, der wird auch Moksha, Unsterblichkeit erlangen.

Manche erfahren einen flüchtigen Eindruck der überirdischen Wunder des Atman. Manche befinden sich im Grenzland des weiten Reiches des Atman. Einige, wie Dattatreya, Jada Bharata, Vama Deva und Sadashiva Brahman, sind tief in den Ozean der Seligkeit eingetaucht. Je dünner die Vasanas (subtile Wünsche), der Egoismus und Dehadhyasa104 (Haften am Körper) werden, umso größer ist die Glückserfahrung des Selbst. Je stärker das Sadhana, umso stärker wird die Erfahrung von Freude für die Seele.

Auch nur eine Minute ohne Sadhana zu verbringen ist Mahapapa105. Habe eiserne Entschlossenheit, dem spirituellen Pfad treu zu bleiben und verwirkliche so die Erkenntnis der Wahrheit noch in diesem Leben. Methodik und Disziplin sind notwendig. Nur dann erreicht man effiziente Ergebnisse. Aus Chaos kommt nichts. Oh Aspiranten! Seid sehr ernsthaft und aufrichtig in eurem Üben. Lauft jetzt zu Gottes Füßen.

Eine ausdauernde Yogapraxis fordert eine große Menge an Energie und Nervenkraft vom Yoga-Schüler. Wer die sexuelle Energie bewahrt, erhält genügend Nervenkraft und Energie. Darum ist das Üben von Brahmacharya106 von ausschlaggebender Wichtigkeit, wenn man Yoga praktizieren möchte und das höchste Ziel des Yoga schnell erreichen will. Wo sich Durchhängen und Unregelmäßigkeit ins Üben schleichen, kann ein Anflug von Leidenschaft oder Hängen an weltlichem Verbundensein das Wenige, das der Yoga-Schüler erreicht hat, einfach wegblasen und es wird für ihn sehr schwierig sein, wieder zu der Höhe zurückzufinden, die er schon erklommen hatte. Das ist der Grund, weshalb Yoga-Üben der Ausdauer bedarf, bis man im höchsten Samadhi verankert ist. Ein Yogi, der seinen Geist durch das eifrige Praktizieren von Yoga über Jahre hinweg kontrolliert hat, wird die unveränderliche Wirklichkeit, welche hinter dieser empirischen Existenz der Welt der Formen und Namen liegt erkennen.

     Das ist der Grund, weshalb Patanjali Maharshi107 , der Verfasser des             "Yogasutra" ebenso sagt:

„ Das Üben wird  fest verankert, es wird beständig, wenn es für lange Zeit ohne Unterbrechung und mit vollkommener Hingabe praktiziert wird.“ (YS 1.14)

Betreibe in deinem Sadhana oder Tapas108 (Askese, spirituelle Praxis) keine extremen Praktiken, wie z.B. Mouna109 (Schweigen), Fasten etc. Bleibe in der goldenen Mitte. Buddha praktizierte zu Beginn seines spirituellen Übens strenges Tapas. Das hatte eine sehr negative Wirkung auf seinen Körper. Später lernte er, in der goldenen Mitte zu bleiben. Ruiniere deine Gesundheit nicht im Namen von Tapascharya110.

Anstatt zu weinen, pflüge. Reicher Regen wird eines Tages fallen und deine Ernte überfließen lassen. Genau so, halte dich ’ran, übe Sadhana und eines Tages wirst du höchsten Frieden und immerwährendes Glück erreichen. Keine noch so kleine Anstrengung auf dem spirituellen Pfad, keine Art spirituellen Übens ist je umsonst. Die Frucht der Praxis kann nicht sofort zu einem Sadhaka (dem Übenden) kommen. Er muss geduldig warten. Die spirituelle Entwicklung verläuft schrittweise. Werde nicht ungeduldig.

In der Bhagavad Gita 111 spricht Gott:

„Wahrlich, es gibt in dieser Welt keine Läuterung, die der Erkenntnis vergleichbar ist. Wer im Yoga vollkommen ist, findet sie zur rechten Zeit im Selbst.“ [Bhg 4.38]

Beachte die Worte „zur rechten Zeit“. Ach, ungeduldige Aspiranten! Habt Geduld! Ihr werdet alles erlangen, wenn die Zeit reif ist. Kümmert euch nicht so sehr darum, die Kundalini112 zu erwecken. Lasst sie selbst spontan erwachen. Ein vorschnelles Erwecken ist nicht erstrebenswert. Macht regelmäßig und systematisch euer Sadhana und Tapas. So wie ein Gärtner, der täglich seine Bäume gießt, die Früchte erst ernten kann, wenn die Zeit reif ist, so werdet auch ihr die Früchte eures Sadhanas genießen, wenn die Zeit gekommen ist. Reinigt und beruhigt den Geist jetzt. Reinigt ebenfalls die Nadis (Energiekanäle).

In der Gita spricht Gott:

„ ... erlangt er allmählich Ruhe, nachdem der Verstand zum Stillstand gekommen ist. Wenn der Geist dazu gebracht worden ist, sich im Selbst zu verankern, denkt er an nichts.“ [Bhg 6.25] [Swami Sivananda: „lasst ihn Stück für Stück Ruhe gewinnen, durch ausdauerndes, regelmäßiges Üben.“]

Manche Sadhakas üben Sadhana in milder Form; andere machen morgens und abends zwei Stunden lang intensives Sadhana. Wenn du schnelle Selbstverwirklichung erreichen willst, übe intensiv und beständig Sadhana über einen längeren Zeitraum hinweg. Nur hin und wieder mal zu praktizieren ist nutzlos.

Die Kultivierung ethischer Werte ist von grundlegender Wichtigkeit. Überwinde die Neugier, Siddhis113 (okkulte Kräfte) zu entwickeln. Ein Mensch, den es nach Siddhis verlangt, lebt immer noch im Reich von Maya. Erst wenn dieser Durst verschwindet betritt der Schüler das Grenzland des Yoga, das spirituelle Königreich.

Es gibt Bhumikas114 (Stufen, Schritte) im Yoga bzw. Vedanta. Dies zeigt deutlich, dass der höchste, unzerstörbare Thron nur nach und nach erreicht wird. Du wirst die Leiter des Yoga Stufe um Stufe erklimmen müssen. Wenn in der Krone eines großen Baumes Mangos hängen, springst du auch nicht einfach so hoch, um sie zu pflücken. Das ist unmöglich. Du kletterst Stück für Stück den Baum hinauf, hangelst dich über verschiedene Äste und erreichst so die Baumkrone. Ebenso kannst du auch nicht einfach zur Spitze der spirituellen Leiter springen. Du wirst dich in Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana und Dhyana115 üben müssen. Nur dann wirst du die höchste Sprosse der Yoga-Leiter erreichen – nämlich Samadhi.

Wenn du ein Schüler des Vedanta bist, wirst du dir zuerst die vier Hilfsmittel116 aneignen müssen, dann wirst du Shravana, Manana und Nididhyasana117 machen müssen. Dann erst wirst du Brahma-Sakshatkara verwirklichen.

Wenn du ein Schüler des Bhakti Yoga118bist, wirst du die neun Formen des Bhakti üben müssen, d.h. Shravana, Kirtana, Smarana, Padasevana, Archana, Vandana, Dasya, Sakhya und Atmanivedana. Nur dann wirst du den Zustand von Para Bhakti119(höchste Hingabe) erreichen.

Du solltest regelmäßig und systematisch meditieren, Japa (Mantrawiederholung) praktizieren, die Bhagavad Gita studieren, sowie die Upanishaden und das Viveka Chudamani120. Denke nicht: „Ich werde mich den Schriften widmen, wenn ich mich allein nach Uttarkashi im Himalaya zurückziehe und keine Arbeit zu tun habe.“ Das ist falsch. Das ist Torheit. Du brauchst tägliche Meditation und Schriftenstudium zusammen mit selbstlosem Dienen. Jenes „Morgen“ wird es nie geben. Mache Heu solange die Sonne scheint. Dresche das Getreide wenn der Wind bläst. Im Winter wird es zu spät sein, Honig zu sammeln. Widme dich jetzt gleich emsig den Aufgaben. Lebe unverhaftet in der Welt. Rückzug, Ruhe und stille Meditation sind nötig für das spirituelle Wachstum. Bereite dich schrittweise vor. Höre auf die klare, zarte Stimme der Stille.

Menschen, die aus der bevölkerten Ebene nach Rishikesh kommen, bleiben hier nicht gerne. Sie fühlen sich wie ein Fisch an Land und fliehen noch am selben Abend. Einsamkeit kann ihre freundliche, beruhigende Wirkung nur auf leidenschaftslose Menschen ausüben, die nach Befreiung streben. Erdgebundene Seelen leben und sterben auch im Erdenreich wie Würmer in der Erde.

Diese Welt ist voller Schwierigkeiten und Probleme. Niemand, außer einem Yogi oder einem Bhakta oder Jnani, ist frei von weltlicher Drangsal und Elend. Gehe wohin du auch willst. Es ist überall gleich. Kashmir ist ein wunderschöner Ort; aber nachts stechen dich die Fliegen. Man kann nicht schlafen. Uttarkashi im Himalaya ist ein guter Ort für Meditation. Er hat gute spirituelle Schwingungen; aber eine besondere Fliegenart sticht einen auch dort. Sie erzeugen ein fürchterliches Jucken, man blutet und die Haut entzündet sich. Deva Prayag im Himalaya ist ein sehr guter Ort; aber dort gibt es schreckliche Skorpione. In Benares kriegt man einen Hitzschlag, Lungenentzündung und Ruhr in Badrinath. Entwickele Durchhaltevermögen. Lebe ein Leben in Tyaga121 (Entsagung) und Vairagya (Nicht-Anhaften). Nur dann kannst du an jedem Ort der Welt glücklich sein.

Iss drei Dinge. Trage drei Kleidungsstücke. Übe drei Dinge: Ahimsa122 (Nichtverletzen), Satyam123 (Wahrhaftigkeit) und Brahmacharya (Enthaltsamkeit). Gedenke dreier Dinge: des Todes, des Leidens von Samsara (Kreislauf von Leben und Tod) und Gott. Lege drei Dinge ab: Selbstsucht, Verlangen und Verhaftetsein. Pflege drei Dinge: Demut, Furchtlosigkeit und Liebe. Reiße drei Dinge an der Wurzel aus: Lüsternheit, Ärger und Gier.

Das Studium des Veda, Verehrung, Konzentration, Meditation, Verhaltensregeln, Tapas (spirituelle Praxis), Dharma124 (Erfüllen seiner Pflicht) und die Disziplin von Geist und Sinnen dienen dem obersten Ziel des Erreichens von ewigem Frieden, Freiheit und Unsterblichkeit.

Die Fesseln des Samara werden durch Unterscheidungsfähigkeit, Leidenschaftslosigkeit  und Unverhaftetsein abgeschüttelt: die Geheimnisse wahrer Erfüllung werden durch Konzentration und Meditation erkannt und süchtiges Verlangen wird an der Wurzel ausgerissen. Wer dem Frieden die Arme öffnet, genießt die herrliche Erfahrung der Wonne im Selbst und geht in der Freude des inneren Selbst auf.

Freunde! Sorgt für die Kranken. Tröstet die Verzagten. Lebt in Gott. Predigt die Botschaft der Liebe. Führt euer Leben in Selbsthingabe und im Dienen. Seid fromm und rein. Dies wird euch zum Gottesbewusstsein führen. Wenn ihr täglich ein Kapitel der Bhagavad Gita lest, zwei Durchgänge mit der Japamala125 macht, zweimal im Monat fastet und eine halbe Stunde täglich meditiert, werdet ihr in einem Jahr viel erreicht haben. Die spirituellen Samskaras sind im Unterbewusstsein vorhanden. Sie sind unzerstörbar. Sie werden sich verbünden und eine spirituelle Brücke bilden – die Brücke des Brahman – über die ihr in kurzer Zeit an das andere Ufer, das der Furchtlosigkeit und Unsterblichkeit, gelangt.

Sucht die Gemeinschaft entwickelter Seelen, die den Pfad der Wahrheit gehen. Seid euch immer bewusst, was in der inneren Fabrik des Geistes vor sich geht. Gebt jegliches niederträchtiges Handeln auf. Werdet zu edlen, großmütigen Seelen. Edelsinn ist Gott. Großmut ist Wahrheit. Wenn die Leute über euch lachen, bleibt einfach still. Erwidert nichts. Verzeiht ihnen. Schenkt ihnen ein vedantisches Lächeln. Seid unbewegt wie jener Stein dort. Wirst du das tun, mein lieber Niranjana126?

Der Jainismus127, wie Mahavir der Große ihn predigte, enthält das umfassendste System von Ahimsa (Gewaltlosigkeit). Der Jainismus hat daran immer mit größter Beharrlichkeit festgehalten. Eine sehr strenge Form des Askentums wurde von den Nigranthas vertreten, den Vorgängern des Digambar Kultes bzw. des Jainismus. Der Begründer des Nigrantha Asketentums war ein strenger Asket. Jedes Teilchen Materie, jeder Grashalm, jeder Tropfen Wasser, sogar Feuer und Moleküle enthielten für ihn organisch sich entwickelndes Leben und darum waren Sprechen, Atmen, Einatmen, Ausatmen, Essen, Trinken, Feuer machen, Sein, Tun, jede Tat, eine Sünde. Fleisch und Fisch vollständig zu entsagen und den Körper abzutöten war der einzige Weg zum Heil. Das war die Schule des extremen Asketentums.

Aber genau genommen ist so ein strenges Asketentum zur Erreichung der „höchsten Glückseligkeit“ nicht nötig. Es ist nur törichtes Quälen des Körpers.

Dazu sagt Krishna128 in der Bhagavad Gita:

„Menschen, die schreckliche, von den Schriften nicht gebotene Askesen üben, die der Heuchelei und dem Egoismus unterliegen, sind von der Kraft von Gier und Verhaftung getrieben.“ – „ohne Verstand quält er alle Elemente des Körpers und auch mich, der ich im Körper wohne – wisse, dass dies aus asurischen Vorsätzen stammt.“ [BhG 17.5-6]

Der physische Körper ist der heilige Schrein Gottes. Er ist der Tempel des Herrn. Er ist die Burg Ishvaras129 (Gott). Erhalte ihn stark und gesund. Nur dann wirst du Gott begegnen. Lass dich nicht von einem falschen Verständnis von Maya in Übertreibungen entführen. Kümmere dich um deinen Körper, aber hafte nicht an ihm. Sei bereit, ihn für eine edle Sache aufzugeben. Dieser Körper ist ein Instrument, um Selbstverwirklichung zu erlangen. Du kannst in einem schwachen, kränklichen Körper nicht meditieren.

Wenn du Brahmana130 bist und einen Haushalt führst, praktiziere während den Sandhyas131. Wiederhole täglich das Gayatri Mantra132 einhundertacht Mal. Verehre die Sonne mit Arghya133. Wiederhole auch andere Mantras. Nur ein Sannyasin134 kann Sandhya, die vorgeschriebenen täglichen Riten, hinter sich lassen.

Oh Ram! Du hast all das nötige Material in dir, das du brauchst, um dich in einen Weisen zu verwandeln. Ein wenig Praxis und beharrliches Meditieren werden den inneren Dynamo anwerfen. Übe. Strenge dich an. Gehe weiter. Entzünde das Feuer. Verwirkliche.

Die Shrutis135 (heilige Schriften) sagen: „Erfahre Brahman durch Buße.“ Buße, Brachmacharya, Wahrhaftigkeit, Ruhe und  Selbstkontrolle sind Hilfsmittel der Erkenntnis. Und ihr direkter Ursprung liegt im Hören von Shrutis (Shravana), im Reflektieren (Manana) und in der Meditation (Nididhyasana).

Ein Mann, der z.B. den in Gangotri lebenden Swami Krishnaram nie gesehen hat, erfährt von einem anderen Mann, der den Swami tatsächlich erlebt hat, alles über dessen Persönlichkeit und Eigenschaften und versucht sich dann ein mentales Bild von ihm zu erzeugen. Genauso sollte der Suchende alles über das unsichtbare, verborgene Brahman von den Weisen erfahren, die Selbsterkenntnis erreicht haben und dann sollte er über den Atman, das Selbst meditieren.

Es gibt im Yoga zwei Wege zur Verwirklichung des Selbst: den Pipilaka-Marga136 und den Vihangama-Marga137. Gleich einer langsam krabbelnden Ameise geht auch der Suchende auf seinem spirituellen Pfad. Er übt Karma Yoga138, um sein Herz zu reinigen und erhält dann Upasana (Unterweisung), um seinen Geist zu stärken. Schließlich betritt er den Pfad des Jnana Yoga139 und erlangt Selbsterkenntnis. Dies ist der Pipilaka-Marga, der Ameisenpfad. Und gleich einem Vogel, der sofort losfliegen kann, so übt auch ein Suchender ersten Ranges sofort Jnana Yoga und erlangt Selbsterkenntnis. Dies ist der Vihangama-Marga, der Pfad des Vogels. Ein Yogaschüler konzentriert sich zuerst auf das Muladhara Chakra (Energiezentrum am unteren Ende der Wirbelsäule), dann auf das Svadhishtana Chakra (Sakralzentrum), dann auf das Manipura Chakra (Sonnengeflecht) und schließlich auf das Ajna Chakra (drittes Auge). Er geht Schritt für Schritt weiter. Auch dies entspricht dem Pipilaka-Marga. Ein anderer Schüler beginnt sofort mit der Konzentration auf das Ajna Chakra oder Sahasrara Chakra (Scheitelzentrum). Das ist der Vihangama-Marga.

Dein spirituelles Wachstum misst sich am Umfang deines Sieges über äußere Umstände und Situationen, Probleme und Schwierigkeiten, ungünstige Bedingungen und feindselige Einflüsse. Ein Yogi oder ein Weiser behält in allen Lebenslagen und zu jedem Augenblick einen ausgeglichenen Geist. Er ist fest wie ein Stein, weil er auf einer stabilen Basis steht, der ewigen, unveränderlichen, unsterblichen Seele, und darum wird er "Dhira" (der Standfeste) genannt.

Krishna sagt zu Arjuna:

„Dieser unerschütterliche Mensch, den all dies nicht berührt, o größter unter den Menschen, und für den Vergnügen und Schmerz gleichbedeutend sind, ist geeignet, Unsterblichkeit zu verwirklichen.“ [BhG 2.15]

Oh Ram! Du bist Satyakama, ein Wahrheitsliebender. Du bist mir sehr teuer, denn du gehst den Pfad der Wahrheit, den Pfad der Selbstverwirklichung, auch wenn du stolperst.

Du wirst mit Sicherheit dein Ziel erreichen. Alle Hindernisse werden sich wie morgendlicher Nebel in der Sonne auflösen. Sei unbesorgt. Sei nicht verzagt wenn die Niederkunft des göttlichen Lichtes sich ein wenig verzögert. Schreite mutig auf dem spirituellen Pfad voran. Du musst darauf vorbereitet sein, auf dem spirituellen Pfad mit Hunderten von Niederlagen konfrontiert zu werden und zahllosen Schwierigkeiten und Hindernissen zu begegnen. Du magst zeitweise ununterbrochen hinfallen. Wenn du es wirklich ernst meinst mit deinem Sadhana, wenn du regelmäßig Yoga übst und meditierst, dann wirst du wieder aufstehen und ohne den geringsten Zweifel dein Ziel erreichen.

Prüfungen dienen dazu, den Suchenden zu stärken und rasche spirituelle Entwicklung zu ermöglichen. Man wächst schnell, wenn man sich jeglicher Art von Umfeld und Umständen anpassen kann. Wenn Gott einem Prüfungen auferlegt, dann gibt Er ebenso neue Kraft, Geduld und Stärke, um die Prüfungen zu bestehen – das Eine ist gepaart mit dem Anderen. Darum gibt es keinen Grund, zu klagen, Oh Chandra. Sage immer wieder: „Dein Wille geschehe.“

Wie kann man es der Welt je Recht machen? Es gibt so viele Zungen, so viel Gerede, so viele Meinungen, so viele Kommentare. Diese Welt ist ein seltsames Gemisch aus Sattva, Rajas und Tamas140. Tamasige Menschen gibt es genug. In ihrer Natur liegt es, immer etwas auszusetzen zu haben und unnötige Kritik abzugeben. Darum folge den Geboten deines eigenen Gewissens und der Stimme deiner Seele. Wenn du zufrieden bist, muss die ganze Welt zufrieden sein.  

Und sogar wenn die ganze Welt gegen dich ist, habe keine Angst. Weiche nie auch nur einen Zentimeter von deinem festen Vorsatz und deinen Entscheidungen ab. Stehe auf und verkünde die Wahrheit. Selbst wenn die ganze Welt dich verlässt, habe keine Angst. Der innere Herrscher steht an deiner Seite: in deinem Herzen. Er ist immer bereit, dir zu helfen. Öffne ihm dein Herz wie ein Kind. Sprich mit ihm. Er ist es, der alles schenkt und Fülle schafft. Heitere dich selbst auf, mein lieber Hansraj.

Zuerst einmal reinige dich selbst. Dann kannst du wirklich die Welt reinigen. Erneuere zuerst dich selbst, dann kannst du die Welt erneuern.

Beginne spirituelles Handeln, meditiere morgens um 4 Uhr. Meditiere regelmäßig. All deine Schwierigkeiten werden umgangen werden. Du brauchst keine Vielzahl von Büchern zu lesen. Atman ist nicht in Büchern. Er ist jenseits der drei Gunas.

Der Schlamm in einem Wasserbecken nimmt nach einer kurzen Bewegung sofort wieder seine ursprüngliche Form an. In ähnlicher Weise wickelt Maya selbst einen weisen Menschen ein, wenn er nur eine einzige Minute unaufmerksam ist. Darum ist auf dem spirituellen Pfad pausenlose Wachsamkeit vonnöten.

Ein Sprichwort sagt: „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“ Bevor du noch beginnst die Frucht der Weisheit zu essen wird Maya (die Versuchung) sie dir aus der Hand reißen. Selbst wenn du sie schon runterschluckst kann sie dir noch im Hals steckenbleiben. Darum musst du immer wachsam und sorgfältig sein bis du Bhuma (höchste Erkenntnis) erlangst. Brich dein Sadhana nicht törichterweise ab in dem Glauben, dein Ziel erreicht zu haben.

Jeder Schüler sollte ein spirituelles Tagebuch führen. Nur so können Fehler verbessert und der Geist kontrolliert werden. Der Geist des Dienens an der Menschheit sollte im Herzen jedes Suchenden verwurzelt sein. Sattvige Tugenden wie Barmherzigkeit, Großzügigkeit, Toleranz, Vergebung und Edelmut müssen entwickelt werden. Yogalehrer betonen diese Punkte sehr.

Führe täglich dein spirituelles Tagebuch. Schreibe darin auf, wann du ärgerlich gegen andere warst oder jemandes Gefühle verletzt hast. Das ist sehr, sehr wichtig. Wenn du Ärger zeigst oder andere verletzt, lege dir selbst eine Bestrafung auf. Verzichte auf dein Abendbrot. Praktiziere fünfzig zusätzliche runden Japa (Mantrawiederholung). Schreibe in dein Tagebuch: „Heute habe ich Gott zwei Mal vergessen.“ Wenn du das ein oder zwei Jahre lang tust, wirst du erstaunlichen Shanti141 finden; wunderbares spirituelles Wachstum und starke Willenskraft werden sich einstellen. Viele Arten von Elend, Sorgen und geistiger Qualen werden ein Ende finden. Hingabe wird sich entwickeln. Du wirst dich ganz rasch entwickeln. Du wirst ein verwandelter Mensch sein. Gehe einmal pro Woche über die Seiten deines Tagebuches. Diese Übung kostet dich nichts, bringt aber großen spirituellen Nutzen. Wenn du zwanzig Fehler am Tag machst, wirst du nach sechs Monaten nur noch fünf Fehler begehen, wenn du ein Tagebuch führst. Und dann wird eine schöne Zeit kommen, wo du an einem Tag nicht mal mehr einen einzigen Fehler machst.

Du musst unter allen Umständen jeden Tag eine besondere spirituelle Routine ausüben, was auch immer an äußeren Verpflichtungen und Arbeit ansteht. Sonst schlafe an solch einem Tag nicht. Versuche deine Routine abends bis zum Ende auszuführen. Nur so wirst du dich rasch weiterentwickeln. Nur so wirst du dein Ziel schnell erreichen.  

Jeder sollte ein spirituelles Tagebuch führen und sich am Abend in Selbstanalyse üben. Wie viel Gutes habe ich getan? Welche Fehler habe ich im Verlauf des Tages begangen?

Fasse schon am Morgen den Entschluss: "Ich werde heute dem Ärger nicht die Zügel überlassen. Ich werde mich heute in Enthaltsamkeit üben. Ich werde heute die Wahrheit sprechen.“

Diejenigen, die ein spirituelles Tagebuch führen, sind wahrhaft reich, selbst wenn sie finanziell arm sind. Sie sammeln täglich unermesslichen spirituellen Reichtum an. Sie werden bald eine reiche spirituelle Ernte von ewiger Freude und größtem Frieden einbringen.