Anhang - Über das Leben der Glückseligen Mutter


Die Glückselige Mutter Shri Anandamayi Ma war weithin bekannt durch die unwiderstehliche Anziehungskraft Ihres stets strahlenden glückseligen Wesens, durch Ihr grenzenloses Mitgefühl und Ihre außergewöhnliche Universalität. „Jeder hat recht von seinem eigenen Standpunkt aus“ sagte Sie oft. So empfahl Sie auch nicht ein und dieselbe Methode für alle Menschen: „Wie kann man dem Unbegrenzten Begrenzungen auferlegen, indem man behauptet, dies ist der einzige Weg‘?“ und „Warum muss es so viele verschiedene Religionen und spirituelle Richtungen geben? Durch jede von ihnen verschenkt ER Sich Selbst an Sich Selbst, sodass jeder sich entsprechend seiner individuellen Natur entwickeln kann...“
      Ein großer Heiliger sagte einmal: „So wie die Erde jede Pflanze mit dem versorgt, was sie für ihr Wachstum braucht, so führt Anandamayi Ma jeden Sucher entsprechend seiner inneren Veranlagung.“ Es war die Erfahrung von Tausenden, dass Sie für jeden Wahrheitssucher das rechte Wort zur rechten Zeit hatte.
      Der Kern Ihrer Lehre lautete in endlosen Variationen: „Die höchste Berufung eines Menschen besteht darin, nach Selbstverwirklichung zu streben. Alle anderen Verpflichtungen sind zweitrangig.“ Sie verlangte nicht von jedem, dem Leben in der Welt zu entsagen. Sie lehrte, wie man inmitten der Welt ein gottbewusstes Leben führen kann.
      Am 30.April 1896 in Kheora im heutigen Bangla Desh geboren, entstammte Anandamayi Ma einer ostbengalischen Brahmanenfamilie, die jahrhundertelang die Tradition der alten Rishis bewahrt hatte. Beide Eltern waren sehr fromm. Vom ersten Tag an war sich Nirmala Sundari - so hatten sie Anandamayi Ma genannt - Ihrer Selbst voll bewusst. „Es heißt, dass Sie bereits vom Zeitpunkt Ihrer Geburt an wusste, wer Sie schon immer war und ewig sein würde, und dass Sie auch nicht einen Augenblick lang aus diesem Bewusstsein Ihrer Selbst herausfiel“ (Mahamopadyaya Dr.Gopinath Kaviraj). Schon als Kind lebte Sie nach Ihrem Motto „Jo ho jaye“ („Was immer geschieht, ist gleichermaßen willkommen“) - d.h. völlig dem göttlichen Willen hingegeben. Sie äußerte nie einen Wunsch und war stets fröhlich und hilfsbereit. Schon damals war Sie ungewöhnlich anziehend, und jeder hatte Sie lieb. Da Ihr Vater weltlichem Erfolg sehr gleichgültig gegenüberstand und die Familie daher in äußerst dürftigen finanziellen Verhältnissen lebte, besuchte Sie nur knappe zwei Jahre lang eine Schule.
      Mit zwölf Jahren wurde Sie der damaligen Sitte entsprechend
verheiratet, blieb jedoch noch ein Jahr bei Ihren Eltern und dann vier Jahre bei der Familie Ihres Schwagers, wo Sie mit großem Geschick den Haushalt
besorgte. Von Ihrem 18. Lebensjahr an lebte Sie schließlich mit Ihrem Ehemann zusammen, den Sie „Bholanath“ oder „Pitaji“ (Vater) nannte. Bholanath fand Ma von einer solchen Aura ehrfurchtgebietender Heiligkeit umgeben, dass eheliche Beziehungen dadurch völlig ausgeschlossen waren. Obwohl er sich anfangs durch diese Heirat in eine peinliche Lage seiner Familie gegenüber versetzt sah, hatte er einen bedingungslosen Glauben an Ma und wurde 1922 formell Ihr Schüler. Er blieb Ihr treuer Beschützer, bis er 1938 als Sannyasi starb, nachdem auch er ein hohes spirituelles Bewusstsein erlangt hatte.

Bereits in Ma‘s Kindheit und Jugend bemerkte man gelegentlich eine Geistesabwesenheit an Ihr, die Sie mitten beim Spiel, bei der Arbeit oder beim Essen überkommen konnte. Auch das Singen hingebungsvoller religiöser Lieder (Kirtana) versetzte Sie in eine Art Trance, ohne dass Ihre Familienangehörigen dies richtig bemerkten. Zwischen 1917 und 1923 vollzog sich Ma‘s sogenanntes „Sadhana Lila“, Ihr „Spiel spiritueller Übungen“, bei demSie in sechs Jahren nacheinander unfassbar schnell die verschiedensten spirituellen Pfade bis zur Vollendung meisterte. Sie nannte es ein „Spiel“, weil es für Sie in Wirklichkeit nichts gab, was Sie hätte erreichen müssen: „Euer starker Wunsch, diesen Körper in Zuständen von Samadhi zu sehen, ist der Grund, warum sich diese Zustände manchmal zeigen“, hatte Sie zu Bhaiji einmal gesagt. Eine Zeitlang manifestierten sich die Gestalten vieler Gottheiten durch Ihren Körper, und Mantren und Hymnen in Sanskrit strömtenvon Ihren Lippen, obwohl Sie vorher weder Sanskrit noch derartigeKompositionen gekannt hatte. Manchmal nahm Ihr Körper spontan sehrkomplizierte Yogahaltungen ein oder Kranke begannen durch Ihre Berührung zu genesen, ohne dass Sie dies im geringsten beabsichtigt hatte. 1924 wurde Bholanath Verwalter des Shahbag Gartens in Dhaka. Dort sah man Ma während Kirtans und auch zu anderen Zeiten in Zuständen spiritueller Ekstase, ähnlich wie Chaitanya Mahaprabhu sie einst gezeigt hatte. Manchmal bliebSie tagelang im Samadhi ohne auf äußere Stimuli zu reagieren und ohne dass irgendein Puls registriert werden konnte. Vor Ende 1922 begann Sie ein dreijähriges Schweigen und verzichtete in Dhaka auch lange Zeit auf eine regelmäßige Nahrungsaufnahme, indem Sie monatelang nur eine Fingerspitze Essen täglich zu sich nahm. Ende 1924 verlor Sie die Fähigkeit, sich selbst zu essen zu geben. Um zu verhindern, dass Sie Ihren Körper verließ, wurde Sie seitdem von anderen gefüttert. Sie hätte nie selbst etwas genommen oder jemanden darum gebeten und sagte: „Ich sehe alle Hände als meine eigenen an. In Wirklichkeit esse ich immer mit meiner eigenen Hand.“
      Mit der Zeit kamen immer mehr Menschen zu Ma und blieben mit ihren Familien ihr ganzes Leben lang Ma‘s Anhänger. 1929 errichteten sie den ersten Ashram in Dhaka für Sie. Bereits 1927 war Ma einmal aus Bengalen ausgereist, 1932 verließ Sie es endgültig und hielt sich zunächst eine Weile in der Nähe von Dehradun, Nordindien, auf. Wieder wurden neue Menschen von Ihr angezogen. 50 Jahre lang reiste Sie unaufhörlich durch Indien. Millionen Inder und Hunderte von westlichen Besuchern hatten Ihren Darshan. Sie förderte Kirtan, das Singenvon Gottes Lobpreis, und Ihr eigenes Singen versetzte viele Zuhörer in Ekstase. Sie hielt nie Vorträge, antwortete jedoch auf Fragen. Mönche, Gelehrte, Philosophen, Politiker, Künstler, Ärzte, Rechtsanwälte und Geschäftsleute lauschten gebannt Ihren spontanen Antworten, die ohne Umschweife direkt den Kern des Problems trafen und gänzlich frei von metaphysischen Spitzfindigkeiten waren. Alle waren von der Tiefe Ihrer Weisheit und derFlüssigkeit Ihres Ausdrucks beeindruckt. Obwohl Sie Sich Selbst „ein kleines, ungebildetes Kind“ nannte und keinerlei besondere Stellung beanspruchte, brachten Ihr die höchsten religiösen Autoritäten und einige der gelehrtestenSannyasis tiefe Verehrung entgegen.
      Anandamayi Ma unterstützte die religiöse Tradition Indiens und die Anweisungen der heiligen Schriften. Verheirateten riet Sie, den alten Rishis nachzueifern und dem Mann, der Frau und den Kindern als Manifestationen des Göttlichen zu dienen. Sie bat jeden ohne Ausnahme, eine bestimmte Zeit täglich zu meditieren, selbst wenn man viel zu tun habe.
      Die Shree Shree Anandamayee Sangha und Charitable Society wurden von Ihren Anhängern gegründet, um die mittlerweile 28 Ashrams, ein gemeinnütziges Krankenhaus in Benares, verschiedene Ambulanzen für arme Patienten und zwei Schulen zu verwalten. In diesen Schulen wurde das alte Gurukul-System modernen Verhältnissen angepasst, und es wird besonderer Wert auf das Erlernen von Sanskrit gelegt. Mehrere Mädchen erwarben dort bereits den akademischen Grad eines Acharyas.
      Die Verlagsabteilung in Kalkutta veröffentlicht Bücher mit Ihren Aussagen sowie die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Ananda Varta“ in Bengali, Hindi und Englisch. 1976 entstand durch Ma‘s Inspiration das „Institute for Puranic and Vedic Studies and Research“ in Naimisharanya. Ebenso belebte Sie die vedischen Yajñas (Feuerzeremonien) neu, insbesondere durch das dreijährige Savitri Yajña in Benares (1947-1950) und das Atirudra Yajña in Kankhal (1981).
      Ma verließ Ihren Körper im Alter von 86 Jahren im Kishenpur Ashram in Dehradun. Ihre gnadenvolle Gegenwart wird weiterhin in den Herzen all derer gespürt, die aufrichtig dem Pfad zur Gottverwirklichung folgen.