Die Kreise weiten sich

Ma setzte ihre Reisen fort und lernte zahlreiche Leute kennen. Sie fuhr nach Baijnath, Almora, Etawah, Ayodhya, Faizabad und an andere Orte. Auf ihrem Weg nach Almora und auf dem Rückweg besuchte sie im Oktober 1935 Kamala Nehru, die in Bhowali in Kurbehandlung war. Ma besuchte auch Solan. Raja Durga Singh hatte  seine Abneigung, eine weibliche Heilige kennenzulernen, überwunden. Vom ersten Darshan an war er ihr treu ergeben. Ma sagte oft, er sei nicht nur ein Fürst in der Welt, sondern auch ein Fürst der Yogis. Im Kreis der Devotees war er bald als Yogibhai bekannt. Die genannten Personen unterschieden sich sehr im Hinblick auf Lebensstil, gesellschaftliche Position, Temperament und kulturellen Hintergrund. Solche Gedanken kommen jedoch erst im Rückblick auf. In Ma‘s Gegenwart schwanden alle Unterschiede hinter dem allgemeinen Gefühl, zur selben Familie zu gehören.
      Im Januar 1936 kamen Ma und Bholanath mit ihren Gefährten nach Tarapeeth. Schon seit einiger Zeit hatte Ma das Kheyala, Didi und Maroni sollten die heilige Schnur der Brahmanen erhalten. Bei den Brahmanen werden die Mädchen im Gegensatz zu den Jungen nicht initiiert. Der Vorgang war also eine absolute Neuerung. In Varanasi hatte man sich nach den Aussagen der heiligen Schriften in dieser Angelegenheit erkundigt. Die Pandits hatten gesagt, es gebe zwar keinen solchen Brauch, aber die Schriften würden es auch nicht verbieten. Pandit Gopinath Kaviraj als oberste Autorität erklärte schließlich, Ma‘s Kheyala sei selbst ein Shastra [heilige Schrift] und bedürfe keiner weiteren Legitimation. So wurde in Tarapeeth ein weiteres Ritual neu eingeführt. Am 14. Januar wurden Didi und Maroni in das Gayatri-Mantra eingeweiht, das sonst den Brahmanenjungen vorbehalten ist. Sie bekamen die heilige Schnur, die unter der Kleidung über die linke Schulter geschlungen wird. Maroni wurde von Bholanath initiiert, da traditionellerweise der Vater der Diksha-Guru [einweihender Meister] für das heilige Mantra ist. Didis Vater war jetzt ein Sannyasi, deshalb ging das Privileg an Dinesh Chandra Bhattacharya über, einen hochgeehrten alten Devotee von Ma.
      Ma schlug auch vor, gleichzeitig Maronis mehrjähriges Verlöbnis mit Chinu mit der Hochzeitszeremonie zu krönen. Diese Aussicht betrübte Bholanath. Er liebte Maroni sehr, sie war wie eine Tochter für ihn. Auch wenn die Töchter bei den Hindus nicht gleich nach der Hochzeit aus dem Haus gehen, bedeutet es doch eine innerliche Trennung. Aus späteren Ereignissen kann man schließen, daß Ma Bholanath veranlasste, seine verbliebenen Pflichten zu erfüllen, und ihn aus seinen Bindungen löste. Bholanath war ein wenig besorgt; er wußte nicht, wie er an einem so einsamen, abgelegenen Ort alles herbeischaffen sollte, was man für eine traditionelle Hochzeitszeremonie braucht. Er hätte auf Ma vertrauen sollen. Sie fand immer großes Vergnügen daran, das Unwahrscheinliche möglich zu machen. Durch puren Zufall kamen gerade die richtigen Frauen aus Calcutta nach Tarapeeth, die die Vorbereitungen begeistert in Angriff nahmen. Die Hochzeit fand also mit all der zeremoniellen Pracht statt, die den Bengali-Frauen so lieb ist. Bholanath segnete das junge Paar. Maroni würde jetzt in der Obhut ihrer Schwiegereltern bleiben, bis sie alt genug wäre, zu ihrem Mann an seinen Wohn- und Arbeitsort zu ziehen.
      Im Februar 1936 überließ Ma Tarapeeth seiner stillen Betrachtung des Todes und reiste mit ihren Devotees in einem Konvoi von fünfzehn bis zwanzig Ochsenkarren zum nächsten Bahnhof nach Rampurhat. Die langsame, vom Mond beschienene nächtliche Fahrt blieb durch Bhramaras melodisches Singen in aller Erinnerung. Die Devotees aus Dehra Dun luden alle auswärtigen Devotees in ihre Stadt ein, um Ma‘s 40. Geburtstag im neuen Ashram in Kishenpur zu feiern. Infolgedessen wurde Kishenpur für einige Zeit Schauplatz freudiger Festlichkeiten. In vieler Hinsicht erinnerte es an Ramna, denn gleich nach der Tithi Puja [Geburtstagsfeier], die von Manmotho Nath Chatterjee, einem angesehen älteren Einwohner von Dehra Dun ausgeführt wurde, brach Ma nach Solan auf.
      Yogibhai hatte bestens für ihre Unterkunft vorgesorgt. Das Fürstentum Bhagat war klein, aber landschaftlich wunderschön. Alle Begleiter Ma‘s wurden fürstlich betreut. Vielleicht ist verschwenderischer Aufwand in solchen Häusern ganz normal, aber der echte Diensteifer der Angestellten, die höflichen Umgangsformen der Bediensteten, alles sprach für ihre Loyalität und Hochachtung für den Fürsten. Im Lauf der Jahre kam Yogibhais ganzer Hofstaat Ma sehr nahe. Die Rani Sahiba [Fürstin] die sich, wie damals üblich, nicht in der Öffentlichkeit zeigte, kam jeden Tag zu Ma. Sie war die Schwester des Maharaja von Tehri-Garhwal, einem recht bedeutenden Berg-Fürstentum. Allmählich schloß sich auch die Familie ihres Bruders an Ma an. Die Bergbewohner Indiens verehren die Göttin Durga in vielen Darstellungsformen. In späteren Jahren hatte Ma auch Gelegenheit, die Fürstentümer Suket und Mandi zu besuchen. Überall wurde sie als die inkarnierte Göttin empfangen. Als Ma durch Madhya Pradesh und in den Süden des Landes reiste, wurden viele weitere Fürsten und ihre Familien ihre Anhänger. Sie war in ihren Palästen ebenso zu Hause wie auf offenen Tempelveranden. Yogibhai spielte jedoch immer eine besondere Rolle in Ma‘s Ashrams. Wie Hari Ram schloß er enge Freundschaft mit Bhaiji und übernahm mit der Zeit viele seiner Pflichten.
      Nach zwei Wochen in Solan hatte Ma das Kheyala, Simla zu besuchen.