1. Kapitel Chitra Purnima

Ganesha an der Trommel

Die zwölf Monate des hinduistischen Jahres basieren auf dem Mondkalender. Sie sind jeweils nach dem Stern benannt, der bei Vollmond (Purnima) vorherrscht. Chaitra (März/April), der erste Monat des Jahres, ist der Monat, in welchem der Vollmond unter dem Stern Chitra steht. Dieser Monat ist daher besonders den Chitra Guptas geweiht, den Engeln des Hindu-Pantheons, welche alle Taten der Menschen aufzeichnen. An Chitra Purnima, dem Vollmondtag des Monats Chaitra, werden diese himmlischen Repräsentanten des Todesgottes mit einem besonderen Ritual geehrt. Eine Opfergabe aus gewürztem Reis wird vorbereitet und später als Prasad (heiliges Sakrament) verteilt. Im Anschluss daran findet eine Feuerzeremonie statt. Dieser alljährliche religiöse Brauch erfreut die Engel aus der anderen Welt, so dass sie die Handlungen der Menschen mit größerer Nachsicht beurteilen.

Die psychologische Wirkung dieses Verehrungsrituals besteht darin, uns eindrücklich an die höhere Macht zu erinnern, welche ständig über all unser Handeln auf dieser Erde wacht. Das wirkt wie eine unsichtbare Kontrolle unseres Verhaltens. Die Vorstellung, dass uns die Chitra Guptas über die Schulter schauen, ist ein starker Anreiz, uns stets um rechtes Handeln zu bemühen.

Der Ausdruck „Chitra Gupta“ bedeutet „verborgenes Bild”. Auf der feinstofflichen Ebene, in einer Art ätherischem Archiv, bleibt ein Abbild all unserer guten und schlechten Taten erhalten. Der Hindu personifiziert dieses Abbild, um es verehren zu können. Die tiefere Bedeutung kommt in der folgenden Geschichte sehr gut zum Ausdruck:
Brihaspati war der Lehrer von Indra, dem König der Götter. Einmal gehorchte IndraBrihaspati nicht, worauf dieser sich weigerte, Indra weiterhin über richtiges und falsches Verhalten zu belehren. Ohne Lehrer beging Indra nun viele üble Taten. Schließlich hatte Brihaspati Mitleid mit ihm und nahm seine Lehrerrolle wieder auf. Nun wollte Indra wissen, was er tun solle, um die schlechten Taten, die er während der Abwesenheit des Lehrers begangen hatte, zu büßen. Brihaspati empfahl ihm eine Pilgerreise.

Während dieser Pilgerreise spürte Indra an einem bestimmten Ort – in der Nähe von Madurai in Südindien – plötzlich, wie ihm auf einmal die ganze Last seiner Sünden von den Schultern genommen wurde. Er entdeckte einen Shiva Lingam9 an dieser Stelle und schrieb das Wunder diesem Lingam zu. Er beschloss, einen Tempel für den Lingam zu bauen und begann sofort damit. Daraufhin ließ Gott (Shiva) selbst goldenen Lotus in dem nahe gelegenen Teich erblühen. Indra freute sich sehr über diese Segnung. Dies geschah am Chitra Purnima-Tag.

Wenn man einen festen Glauben hat und mit Reue im Herzen zugibt, dass man aufgrund von Unwissenheit falsch gehandelt hat, wenn man mit Hingabe zu Gott betet und ihn bittet, die Fehler zu vergeben, wenn man festen Willens ist, solche Handlungen in Zukunft nicht mehr zu begehen, seinem Lehrer zu gehorchen und dessen Vorgaben nicht mehr zu ignorieren, dann werden die Fehler vergeben. Darüber gibt es keinen Zweifel. Erinnere dich daran, wenn du an Chitra Purnima Gott verehrst und meditiere darüber.

In den Schriften ist genau angegeben, wie die Verehrung der Chitra Guptas an diesem Tag aussehen sollte. Sie werden in Form eines Bildes oder eines Kalasha (mit Wasser gefülltes Gefäß) angerufen und mit all den Ritualen und Zeremonien verehrt, die man üblicherweise dem Bildnis Gottes erweist.

Meditiere über Chitra Gupta, indem du folgenden Vers rezitierst:

Chitra guptam mahâ prâjnam lekhanîpatra dhârinam;
Chitra-ratnâmbara-dhâram madhyastham sarvadehinâm.

Dann führe das Verehrungsritual mit Räucherstäbchen, Kampfer, Blumen usw. aus. Gib Brahmanen, Armen und Bedürftigen zu essen. Spende reichlich für wohltätige Zwecke und empfange den Segen Gottes.

9.Linga, Lingam: Symbol für Shiva; steht wegen seiner ovalen Form für das Formlose, Absolute allgemein; auch für die Verbindung des Irdischen mit dem Göttlichen; auch Fruchtbarkeitssymbol.