21. Kapitel Skanda Sashti

Ehrerbietung und demütige Verehrung an Subramanya (Sohn Shivas, Heerführer der göttlichen Heerscharen), dem Höchsten Wesen, dem Herrscher dieses Universums88, der in unseren Herzen wohnt. Er ist der zweite Sohn Shivas, der Geliebte von Valli und Deivayanai (weibliche Aspekte, Frauen von Subramanya), der seinen Verehrern leicht seinen Segen gewährt. Er ist die Verkörperung von Stärke, Wissen, Liebe und Wonne.

Der mächtige Dämon Tarakasura89 hatte die Himmelswesen schwer tyrannisiert und sie schließlich aus dem Himmel hinaus geworfen. Sie wandten sich daraufhin an Brahma (den Schöpfergott) und baten um Hilfe.

Brahma
sagte zu ihnen: „Oh Devas (Götter, Engelswesen), ich kann Taraka nicht vernichten, denn er hat durch strenge Askeseübungen meine Gnade erhalten. Aber ich will euch einen Vorschlag machen. Bittet Kama, den Gott der Liebe, um Hilfe. Überredet ihn, Shiva90, der tief in Samadhi (überbewusster Zustand) versunken ist, in Versuchung zu führen. Shiva möge sich mit Parvati91 vereinen. Ein kraftvoller Sohn, Subramanya, wird ihnen geboren werden. Er wird den Dämon, der euch so drangsaliert, überwinden.“

Indra
, der oberste der Götter, ging daraufhin zu Kama und bat ihn, zusammen mit seiner Frau Rati92 und seinem Gefährten Vasanta („Frühling“) zu Shiva auf dem Berg Kailash zu gehen. Kama erfüllte den Auftrag sogleich, denn es war bereits Frühling. Er verbarg sich hinter einem Baum und zielte mit seinem Pfeil der Leidenschaft auf Shiva, während Parvati ihm Blumen in die Hände legte. In dem Moment, als ihre Hände sich berührten, empfand Shiva ein beunruhigendes Gefühl. Er fragte sich, was denn da seine tiefe Versenkung störe. Er schaute sich um und sah Kama hinter dem Baum sitzen.

Shiva
öffnete sein „Drittes Auge”, das innere Auge der Intuition und Kama wurde von dem davon ausstrahlenden Feuer zu Asche verbrannt. Das ist der Grund, weshalb der Liebesgott auch Ananga genannt wird, „der Körperlose”93.

Nachdem er Kama verbrannt hatte, erkannte Shiva durch seine yogische Visionskraft, dass die Geburt Subramanyas dringend notwendig war, um den mächtigen Taraka zu besiegen. Daraufhin wurde Shivas Samen ins Feuer gegeben, das jedoch außerstande war, diesen zu bewahren und das ihn daher in den Ganges warf. Der Ganges wiederum spülte den Samen in einen Schilfwald an seinem Ufer. Dort wurde dann Subramanya geboren. Aus diesem Grund wird er auch Sharavanabhava genannt, „der in einem Schilfwald Geborene“. Er wurde der Anführer der himmlischen Heerscharen und überwand Taraka, wie Brahma es verfügt hatte.

Subramanya ist eine Inkarnation Shivas. Alle Inkarnationen sind Manifestationen des einen höchsten Gottes. So sind Subramanya und Krishna eins. Krishna sagte in der Bhagavad Gita: „von allen Generälen bin Ich Skanda94.

Gott offenbart sich von Zeit zu Zeit in verschiedenen Formen und Gestalten, um die rechtmäßige Ordnung wieder herzustellen und das Negative zurück zu drängen.

Subramanya
ist ein Lichtstrahl aus dem Bewusstsein Shivas. Valli und Deivayanai sind seine Gemahlinnen. Sie repräsentieren die Kraft der Aktivität und die Macht des Wissens. Subramanya ist ein in diesem Zeitalter der Unwissenheit und Gottlosigkeit einfach zu erreichender Aspekt des Göttlichen. Darin ist er wie Hanuman. Er gewährt seinen Verehrern materiellen und spirituellen Wohlstand sowie Erfolg bei allen Vorhaben, wenn sie auch nur ein klein wenig Hingabe zeigen. Er wird besonders in Südindien verehrt. Einige andere Namen für Subramanya (das Licht der Lichter, das höchste Absolute) sind Guha („Höhle“, gemeint ist die Höhle des Herzens, wo das wahre Selbst wohnt), Muruga (tamilisch, bedeutet ewige Jugend und Schönheit), Kumaresa („Sohn“,„Jüngling“), Kartikeya (der von den Göttinnen des Sterns Kritikai genährt wurde), Shanmukha („mit 6 Gesichtern“) und Velayudhan („der dessen Waffe der Speer ist“).

Subramanya hat einen Speer in der Hand, so wie Shiva den Dreizack. Das ist ein Symbol der Macht, das darauf hinweist, dass er der Herrscher des Universums ist. Sein Fahrzeug ist der Pfau, auf dem er reitet. Das bedeutet, er hat Stolz, Selbstsucht und Eitelkeit bezwungen. Eine Kobra unter seinen Füßen zeigt: Er ist vollkommen frei von Furcht, unsterblich und weise. Valli und Deivayanai stehen links und rechts von ihm. Manchmal wird er auch allein mit seinem Speer (vel) dargestellt, daher der Name Velayudhan. Diese Darstellung symbolisiert seinen Nirguna-Aspekt (d.h., abstrakt, ohne Eigenschaften), frei von den illusorischen Kräften der Natur.95

Die sechs Köpfe repräsentieren die sechs Strahlen beziehungsweise Attribute Weisheit, Leidenschaftslosigkeit, Stärke, Ruhm, Reichtum und göttliche Kraft. Sie bedeuten, dass er die Quelle der vier Veden96 und der Vedangas97 sowie der sechs Schulen der Philosophie ist. Sie sind auch Symbole für die Beherrschung der fünf Sinnesorgane (als Instrumente, wie man Wissen erwirbt) und der Gedanken. Er ist somit das höchste Wesen mit Tausenden98 von Köpfen und Händen. Seine Köpfe weisen in allen Richtungen, das heißt, er ist alldurchdringend. Er kann sich vervielfältigen und willentlich jede Gestalt annehmen.

Es gibt große Subramanya-Tempel in Tiruchendur, in Udipi, Palani Hills, auf Sri Lanka und in Tiruparankundrum. Subramanya verbrachte seine Kindheit in Tiruchendur und erreichte Mahasamadhi (den höchsten überbewussten Zustand) in Kathirgamam. Wer voll echten Glaubens, Hingabe und Frömmigkeit nach Kathirgamam geht und ein, zwei Tage im Tempel bleibt, dem gewährt Subramanya seine Vision. Der Verehrer kann reiche spirituelle Erfahrungen machen. Jedes Jahr an Skanda Sashti wird in dem Tempel ein großes Fest gefeiert, zu dem Tausende von Menschen kommen. Dabei werden ganze Berge von Kampfer verbrannt.

Skanda Sashti
fällt in den November. Es ist der Tag, an dem Subramanya den Dämonen Taraka besiegte, was in einem großen Fest mit viel Prunk und Aufwand gefeiert wird. Es werden viele Bhajans (Lobpreisungen Gottes) und Kirtans (gemeinsames Rezitieren und Singen der Namen Gottes) gesungen. Tausende von Menschen werden gespeist. Viele sogenannte unheilbare Krankheiten werden geheilt, wenn man Palini besucht und Subramanya dort verehrt. In Südindien werden das Leben und die Geschichte Subramanyas als Theaterstück aufgeführt.

Neben dem Skanda Sashti-Tag wird wöchentlich oder monatlich ein Tag zu Ehren Subramanyas gefeiert. Als besonders Subramanya geweihte Tage gelten jeder Freitag, der Kartigai Nakshatram-Tag jeden Monat und der sechste Tag jeder vierzehntägigen zunehmenden Mondphase. Der sechste Tag des Monats Tulam (Oktober/November) ist der allergünstigste Tag, auf den jeweils Skanda Sashti fällt.

Vielerorts beginnt das Fest bereits sechs Tage vor dem eigentlichen Sashti-Tag, an dem es dann endet. Während dieser Tage werden Geschichten und Hymnen, die in Verbindung zu Subramanya stehen, gelesen und rezitiert. Man verehrt Subramanya und führt manchmal auch das Kavadi-Ritual aus (siehe unten). Viele Menschen machen Pilgerreisen zu Subramanya-Tempeln.

Der berühmte Nakkerar (tamilischer Dichter) hat das Tirumurukatrupadai zu Ehren Subramanyas verfasst. Wer jeden Tag dieses berühmte Werk mit Hingabe und Glauben studiert, wird ganz sicher Erfolg, Frieden und Wohlstand erlangen. Das Tiruppugal ist ein weiteres berühmtes Buch in tamilischer Sprache; es enthält die inspirierenden Lobpreisungen Arunagirinathars (tamilischer Gelehrter und Dichter des 15. Jh.) zu Ehren von Subramanya. Auch die Kavadichindu-Lieder preisen Subramanya. Das Skanda Sashti Kavacham ist eine andere berühmte Hymne zum Ruhme Subramanyas und wird teilweise zu festlichen Anlässen gesungen.

88. In Südindien gibt es eine große Anhängerschaft von Subramanya als höchstem Gott, so wie bei den Vaishnaviten (Vishnu-Verehrer) Vishnu und bei den Shaiviten (Shiva-Verehrer) Shiva als höchstes Absolutes verehrt wird. Dann steht Subramanya für absolute Konzentration des Geistes, Einpünktigkeit, Erleuchtung, Zugang zu allem Wissen.
89.Taraka ist der Name; asura = Sanskritwort für Dämon.
90. Gott der Zerstörung, des steten Wandels, auch Asket, der tief in Meditation versunken ist.
91. „Dem Gebirge zugehörend“; Gemahlin Shivas, göttliche Mutter.
92. Wörtl. „Gunst“, „Liebe“; Liebesgöttin.
93. ...denn seither erscheint der Liebesgott unsichtbar.
94.Skanda: ein anderer Name für Subramanya; Gott des Krieges; besiegt die negativen Kräfte. Er wird mit sechs Köpfen dargestellt und reitet auf einem Pfau. Skanda bedeutet wörtlich „süß duftend“.
95. die sonst durch die weiblichen Aspekte repräsentiert sind.
96. Klassische ind. Hl. Schriften.
97. Glieder der Veden, eine etwas spätere Kategorie von Schriften.
98. d.h. unzähligen

Das Kavadi-Ritual

Das mächtigste Ritual zur Verehrung Shanmukhas ist wohl Kavadi. Die Segnungen, die der Verehrer durch diese Zeremonie erfährt, sind um ein Vielfaches größer als das bisschen Schmerz, das er dabei leidet.

Im allgemeinen geloben Menschen ein Kavadi-Opfer, um aus besonders großen Schwierigkeiten heraus zu kommen. Obwohl es auf den ersten Blick so wirkt, als wolle man Gottes Unterstützung erkaufen, erkennt man bei genauerem Nachdenken, dass hier der Same für höchste Liebe zu Gott gelegt wird. Zweifellos wird sich der Wunsch erfüllen, wenn der Verehrer Kavadi ausführt. Aber nach dem Ritual fühlt er sich so von Gott erfüllt, dass seine innerste spirituelle Kammer geöffnet wird. Es ist also eine Methode, die letztendlich zum Zustand höchster Hingabe führt.

Kavadi
kann in Form und Größe unterschiedlich sein: Von der einfachsten Form, die man beim Straßenhändler kaufen kann – einem hölzernen Stock mit zwei Körben an beiden Enden, der über die Schulter gelegt wird – bis hin zu einem kostspieligen mit Blumen und Pfauenfedern geschmückten Traggestell (Palanquin). Auf jeden Fall hängen an der Vorrichtung eine Menge Messingglocken, die den Kavadi-Träger ankündigen, wenn er sich nähert. Da der Kavadi-Träger oft strenges Schweigen wahrt, sind die Glocken das einzige hörbare Signal einer Kavadi-Prozession.

Nun werden die zwei Körbe an den beiden Enden des Kavadi-Traggestells mit Reis, Milch und anderen Gaben gefüllt, welche der Verehrer zu opfern gelobt hat. Besonders demütige Verehrer und Menschen, die das Kavadi als eine Form von Sadhana (spirituelle Übung) durchführen, sammeln ihre Opfer gaben vorher durch Betteln. Sie gehen zu Fuß von Dorf zu Dorf und betteln an jeder Tür. Die Dorfbewohner legen ihre Gaben direkt in den Kavadi-Korb. Der Kavadi-Träger bettelt solange, bis die Körbe gefüllt sind oder die Menge, die er zu opfern gelobt hat, zusammengekommen ist. Besonders Eifrige gehen barfuss von zu Hause bis zu einem der Subramanya-Tempel. Manchmal müssen sie Hunderte von Kilometern gehen! Alle, die eine Opfergabe in die Körbe legen, empfangen ebenfalls den göttlichen Segen.

Der Kavadi-Träger muss von dem Tag an, wo er das Kavadi-Gestell aufnimmt bis zum Tag des Opferrituals verschiedene Vorschriften einhalten und ausgefeilte Rituale ausführen. Er stattet sich aus wie ein Pandaram, ein Bettelmönch der Shiva-Tradition: Er trägt ein safranfarbenes Tuch, eine scharlachrote kegelförmige Mütze und einen Stab, der an beiden Enden mit Silberkappen besetzt ist. Shiva, der höchste Bettelmönch, trägt selbst gerne diese Kleidung. Ein Pandaram lebt nur von Almosen. Um den Hals hat der Kavadi-Trägers mehrere Rudraksha Malas99.

Der Kavadi-Träger lebt enthaltsam und nimmt nur reine, sattwige Nahrung zu sich. Er enthält sich jeder Art von berauschenden Getränken und Drogen. Er denkt nur an Gott. Viele Kavadi-Träger, besonders diejenigen, die dies als eine spirituelles Übung (Sadhana) ausführen, unterwerfen sich verschiedenen Marterungen. Manche durchstechen die Zunge oder die Wangen mit einem kleinen Speer, so dass die Zunge aus dem Mund heraussteht. Dieses Durchstechen ist auch an anderen Körperteilen üblich. Der Träger rasiert sich nicht, sondern lässt sich einen Bart wachsen. Er isst nur einmal am Tag. Der Speer in seiner Zunge oder den Wangen erinnert ihn ständig an Subramanya und hindert ihn auch am Sprechen. Dies verleiht ihm großes Durchhaltevermögen.

Der Kavadi-Träger befindet sich in einem Zustand religiöser Verzückung. Er tanzt in Ekstase. Allein schon seine Erscheinung ruft Ehrfurcht hervor. Göttliches Strahlen liegt auf seinem Gesicht. Er erfährt oft dieses Gefühl völliger Einheit mit Gott. Manchmal tritt die Gottheit in seinen Körper ein und nimmt ihn eine Weile lang in Besitz.

Agni Kavadi ist die schwierigste Form des Kavadi-Opfers. Mit dem Kavadi-Gestell auf den Schultern geht man über glühende Kohlen. Darum herum werden Hymnen zum Lobpreis Gottes gesungen, es wird getrommelt und Räucherstäbchen werden verbrannt. Die ganze Atmosphäre ist Ehrfurcht einflössend. Oft geraten die Teilnehmer in einen Zustand der Ekstase, so dass es ihnen ganz leicht fällt, über das Feuer zu gehen.

Im Sivananda Ashram in Rishikesh wird Skanda Sashti sechs Tage lang gefeiert, wobei der sechste Tag der eigentliche Skanda Sashti-Tag ist.

1. Verehrer Subramanyas nehmen in dieser Zeit nur Milch und Früchte zu sich und üben intensive spirituelle Praktiken (Sadhana).

2.
Die Aspiranten (spirituelle Anwärter) stehen um 4.00 Uhr morgens auf (Brahmamuhurta, Zeit vor Sonnenaufgang) und meditieren.

3.
Während der sechs Tage wiederholen alle Teilnehmer das Mantra Om Sharavanabhavaya Namah so viele Malas wie möglich (1 Mala = 108 Perlen, also 108 Mantrawiederholungen). Sie grüßen sich auch mit diesem Mantra.

4.
Yogis und Gelehrte halten Vorträge über die Subramanya Tattwa (tattwa = Grundprinzip, Wahrheit) und seine göttlichen Spiele. Beim Abend-Satsang werden Hymnen und inspirierende Lieder zu Ehren Subramanyas gesungen und es wird aus dem von mir geschriebenen Buch „Lord Subramanya and His Worship“ („Subramanya und seine Verehrung“) vorgelesen.

5.
Jeden Tag wird die Subramanya-Statue in der Bhajan-Halle mit einem ausgefeilten Ritual verehrt.

6.
Am letzten Tag wird ein großes Havan (Feuerzeremonie) durchgeführt. Der Satsang ist ganz der Verehrung Subramanyas gewidmet.

Bete aus der Tiefe deines Herzens heraus: „O Subramanya! O barmherziger Gott! Wir haben weder Glauben noch Hingabe. Wir wissen nicht, wie wir Dich auf angemessene Art und Weise verehren oder zu Dir meditieren sollen. Wir sind Deine Kinder, die den Weg verloren, das Ziel und Deinen Namen vergessen haben. Ist es nicht Deine Pflicht, o mitfühlender Vater, uns zurückzuholen? O Mutter, willst Du uns nicht dem Vater vorstellen? Die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern ist tiefer und echter als irgend etwas anderes auf dieser Welt. Vergib uns, o geliebte Mutter Valli, obwohl wir unwürdig und pflichtvergessen geworden sind! Mache uns pflichtgetreu und gewissenhaft. Wir sind Dein von dieser Sekunde an, für alle Zeit. Alles ist Dein. Es ist Aufgabe der Mutter, das Verhalten ihrer Kinder zu korrigieren, ihre Kinder zu erziehen und zu formen, wenn sie ziellos auf dem falschen Weg herumirren. Beseitige den Abgrund und den Schleier, die uns von Dir trennen. Gib uns Deinen Segen. Erleuchte uns. Bring uns zurück zu Deinen Lotusfüßen. Wir haben nichts weiter zu sagen. Dies ist unser inbrünstiges Gebet an unsere geliebten Eltern seit alters her.“

Möge Subramanya Seine Gnade über euch ergießen.

99.Mala = rosenkranzähnliche Perlenkette, aus Rudraksha-Samen. Rudraksha gilt als besonders heilig für Shiva.