17. Kapitel Gita Jayanthi

Gita Jayanthi, der „Geburtstag der  Bhagavad Gita“ wird in ganz Indien von Verehrern dieser heiligen Schrift am 11. Tag (Ekadashi) der Phase des zunehmenden Mondes des Monats Margasirsha (Dezember/Januar) gefeiert. An diesem Tag erzählte Sanjaya59 König Dhritarashtra60 den Dialog zwischen Krishna und Arjuna61, so dass uns diese großartige Lehre Krishnas überliefert wurde.

Gita Jayanthi
erinnert an einen der wichtigsten Tage in der Geschichte der Menschheit. Ein strahlender Blitz erhellte an diesem Tag vor nahezu 6000 Jahren den Horizont menschlicher Zivilisation. Dieser spirituelle Glanz war die Botschaft der Bhagavad Gita, die auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra durch Krishna, einer Inkarnation Gottes, verkündet wurde.

Und das Leuchten dieses denkwürdigen Tages hält an. Der Strahl dieses denkwürdigen Tages verging nicht im Bruchteil einer Sekunde wie ein flüchtiges Aufblitzen, sondern leuchtet seither durch die Jahrhunderte hindurch und erhellt bis heute den Weg der Menschheit auf ihrem Fortschreiten hin zur Vollkommenheit.

Die Bhagavad Gita ist das schönste und einzig wahre philosophische Lied. Sie enthält höchste philosophische Weisheitslehren. Sie ist der „himmlische Gesang”62, das allumfassende Evangelium. Sie enthält eine an alle gerichtete Botschaft des Lebens, unabhängig von Volkszugehörigkeit, Glauben, Alter oder Religion. Ihre Lehren basieren auf den Upanishaden, den offenbarten metaphysischen klassischen alten Schriften Indiens.

Die Bhagavad Gita zeigt einen Weg, sich über die Welt der Dualität und der Gegensätze zu erheben und ewige Wonne und Unsterblichkeit zu erlangen und zwar durch richtiges aktives Handeln. Sie lehrt, dass man seinen Pflichten und seiner Verantwortung in der Gesellschaft nachkommen muss, ein Leben aktiven Kampfes, bei dem jedoch das innerste Wesen unberührt bleibt von äußeren Einflüssen und unter Verzicht auf jegliche Früchte der Handlung, die Gott dargebracht wird.

Die Bhagavad Gita ist eine Quelle von Kraft und Weisheit. Sie stärkt und Krishnainspiriert dich, wenn du schwach und kraftlos bist. Sie lehrt dich, stets rechtschaffen zu sein und Unrecht zu widerstehen.

Die Bhagavad Gita ist nicht nur ein Buch, nicht nur eine Schrift. Sie ist eine lebendige Stimme, die der Menschheit eine unendlich wichtige und unverzichtbare Botschaft verkündet. Ihre Verse sind höchste Weisheit aus dem unendlichen Ozean des Wissens, dem Absoluten selbst.

Die Stimme der Bhagavad Gita ist der Ruf des Höchsten. Sie ist das erklärte Wort Gottes. Der manifestierte Klang, das Om, ist das göttliche Wort, die mächtige Urquelle und Urkraft allen Seins. Unaufhörlich erschallt der Ruf dieses Nada Brahman (das als Klang manifestierte Absolute): „Gehet für immer auf im ewigen ständigen Bewusstsein der höchsten Wahrheit.“ Das ist die erhabene Botschaft der Bhagavad Gita, an die ich erinnern möchte und die ich mit Nachdruck neu verkünden möchte.

Sich des Göttlichen stets bewusst zu sein, die göttliche Gegenwart immer zu fühlen, ständig des Göttlichen im eigenen Herzen und überall um sich gewahr zu sein, bedeutet wahrlich ein Leben in Fülle und göttlicher Vollkommenheit auf Erden. Solch ständiges Erinnern an Gott und eine solche innere Einstellung befreien dich für immer aus den Klauen von Maya (Täuschung, Illusion) und von allen Ängsten. Gott zu vergessen bedeutet Maya anheim zu fallen und der Furcht zu unterliegen. Wenn man ständig im Gedenken an die höchste Wahrheit lebt, bleibt man auf der Ebene des Lichts, weit jenseits der Reichweite der Täuschung.

Immer wieder wird das in der Bhagavad Gita betont. Gott verkündet: „Halte deinen Geist in Mir, auf Mich setze deine Vernunft.“ Oder: „Deshalb erinnere dich alle Zeit Meiner und kämpfe. Du wirst Mich sicher erreichen, wenn du dich selbst dergestalt dargebracht hast.“ Und nochmals: „Während du handelst, bleibe im Herzen mit Mir vereint.“

Die Bhagavad Gita führt dich zur himmlischen Herrlichkeit mit der Losung: „Halte deinen Geist auf Gott gerichtet. Hingabe zu Mir (Gott63) sei dein Ziel, und lasse dein Unterbewusstsein göttlich sein.“

Gott gibt uns auch die feste Zusicherung: „Ich werde alle aus dieser vergänglichen Welt erretten, deren Geist fest auf Mich gerichtet ist.“

Das ist die strahlende Botschaft der Bhagavad Gita, die versucht, den Menschen zu einem Leben in Vollkommenheit zu führen, noch während er seine vorgesehene Rolle in der Welt erfüllt. Lange ist diese Botschaft von den Menschen vernachlässigt worden. Sie haben Gott vergessen und sich ganz dem Sinnesgenuss und dem Mammon zugewandt – zu welchem Preis! O Mensch, genug dieser Vergesslichkeit! Gott hat die Menschen immer wieder vor Unachtsamkeit gewarnt: „Du wirst untergehen, wenn du aus Selbstsucht nicht hören willst.“

Leider wissen viele junge Menschen in Indien sehr wenig über diese einmalige Schrift. Man kann sich nicht als gebildet bezeichnen, ohne die Bhagavad Gita zu kennen. Alles akademische Wissen, alle Forschungen an den Universitäten sind, im Vergleich zur Weisheit der Bhagavad Gita, nichts als leere Hülsen und Spreu.

Lebe im Geist der Lehren der Bhagavad Gita. Reden oder Vorträge allein helfen dir nicht weiter. Werde ein Mensch, der die Bhagavad Gita in die Praxis umsetzt. Die wichtigsten Aussagen der Bhagavad Gita kann man in folgenden sieben Versen zusammenfassen:

1. „Wer in der Stunde des Todes das einsilbige Om, das Absolute, ausspricht und sich Meiner erinnert, erreicht das höchste Ziel, wenn er seinen Körper verlässt.“

2.
„Oh Gott, die Welt erfreut sich an Deiner Lobpreisung; die Dämonen fliehen vor Angst in alle Himmelsrichtungen und alle Gastgeber von Siddhas (Meister im Besitz übernatürlicher Kräfte) verneigen sich vor Dir.“

3.
„Mit Händen und Füßen überall, Augen, Köpfen und Mündern überall, mit Ohren überall, ist Er gegenwärtig in der Welt und umfasst alles.“

4.
„Wer immer auf den allwissenden ewigen Herrscher der ganzen Welt meditiert, winziger als ein Atom, den Erhalter von allem, von unfassbarer Gestalt, strahlend wie die Sonne, der überwindet die Dunkelheit der Unwissenheit.“

5.
„ Die Weisen sprechen über den unzerstörbaren Ashvattha (heiliger Feigenbaum), der die Wurzeln oben und die Zweige unten hat, dessen Blätter Hymnen sind. Wer ihn kennt, kennt die Veden.“

6.
„Und Ich habe Meinen Platz in den Herzen aller. Von Mir sind Gedächtnis und Wissen, aber auch deren Fehlen. Ich bin wahrlich das, was durch alle Veden erkannt werden soll. Ich bin in der Tat der Verfasser des Vedanta (Philosophie der Einheit) und Ich bin der Kenner der Veden.“

7.
„Richte Deinen Geist auf Mich, sei Mir hingegeben, opfere Mir, verneige dich vor Mir. Wenn du so dein ganzes Selbst mit Mir vereint hast, indem du Mich als Höchsten Gott erkennst, wirst Du wahrlich zu Mir kommen.“ Lies die Bhagavad Gita an Sonn- und Feiertagen. Studiere immer wieder die Verse im zweiten Kapitel, die den Zustand eines Sthithaprajna (eines vollkommenen Yogis und Weisen) behandeln. Lies auch die acht nektargleichen Verse des zwölften Kapitels.

Es genügt, von allen Schriften nur die Bhagavad Gita zu lesen. Dort findest du Lösungen für all Deine Probleme. Je mehr du sie mit Glauben und Hingabe studierst, um so tiefer wird deine Erkenntnis, um so durchdringender dein Verständnis und desto klarer dein Denken. Auch wenn du nur im Sinne eines dieser Verse der Bhagavad Gita lebst, wird all deine Not ein Ende haben und du wirst das Ziel des Lebens, Unsterblichkeit und ewigen Frieden, erreichen.

Niemand außer Gott selbst kann solch ein einzigartiges, wunderbares Buch schaffen, das seinen Lesern Frieden schenkt, ihnen hilft, den Weg zum höchsten Glück weist und fortlebt bis zum heutigen Tag.

Die Lehren der Bhagavad Gita sind weitreichend, großartig und umfassend. Sie gehören nicht zu einem Kult, einer Sekte, einer Konfession, einem besonderem Alter, Ort oder Land. Sie überbringt die Botschaft des Friedens, der Freiheit, Erlösung und Vollkommenheit und leistet Beistand in allen menschlichen Bereichen.

Gita Jayanthi wird im Sivananda Ashram in Rishikesh jedes Jahr großartig gefeiert: Man steht um 4.00 Uhr morgens auf und meditiert auf Gott. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang werden Verse der Bhagavad Gita rezitiert. Vor und nach jedem Vers wird der folgende Textabschnitt rezitiert:

Sarva dharmam parityajya mâmekam sharanam vraja;
Aham twa sarvapâpebhyo mokshayishyâmi ma sucha.
64

Das ist eine äußerst wirksame Methode, die Gnade Gottes und der Bhagavad Gita, der Mutter, zu erlangen.

Alle spirituellen Aspiranten fasten den ganzen Tag (Ekadashi: Am elften Tag der zweiwöchigen Mondphase sollte gefastet werden). Es werden verschiedene Wettbewerbe veranstaltet, bei denen besonders kleine Kinder ihre Begabung in der Rezitation der Bhagavad Gita beweisen können. Für die etwas älteren Kinder gibt es die Möglichkeit, über die Bhagavad Gita zu diskutieren. Das ist eine gute Art und Weise, die Kinder zum Studium der heiligen Schriften zu motivieren. Am Abend findet ein besonderer Satsang („Zusammensein mit Wahrheit“) statt, bei dem Gelehrte, Yogis und Sannyasins (die der Welt entsagt haben) über die heilige Schrift sprechen. Handzettel, Broschüren und Bücher über die Lehren der Bhagavad Gita sowie Übersetzungen davon werden verteilt.

Fasse den Vorsatz, vom Gita Jayanthi-Tag an täglich mindestens ein Kapitel der Bhagavad Gita zu lesen. Rezitiere vor jeder Mahlzeit das 15. Kapitel. Auch das wird im Sivananda-Ashram praktiziert. Habe immer eine kleine Taschenausgabe der Bhagavad Gita bei dir. Markiere ein paar Verse, die dich besonders inspirieren. Nutze Wartezeiten, z.B. auf den Bus, um diese Verse immer wieder zu lesen. Das wird dich immer wieder aufs Neue inspirieren.

Möget ihr alle ein Leben im Sinne der Lehren der Bhagavad Gita führen.
Möge die Bhagavad Gita, die gesegnete Mutter der Veden, euch geleiten und beschützen. Möge sie euch mit der Milch der uralten Weisheit der Upanishaden nähren.

Ehre Krishna, dem göttlichen Lehrer.
Ehre Vyasa, dem Dichter aller Dichter, der die Bhagavad Gita verfasst hat.
Möge sein Segen auf euch allen ruhen.

59. Name des Sehers und Berichterstatters in der Bhagavad Gita.
60. Der blinde König in der Bhagavad Gita.
61.Arjuna: indischer Prinz, Freund und Schüler Krishnas. Das Gespräch zwischen Krishna, dem Lehrer und Arjuna, dem Schüler bildet den Inhalt der Bhagavad Gita. Dabei geht es um richtiges ethisches Handeln in der Kriegssituation, die allegorisch für das Schlachtfeld unseres Lebens steht.
62. Bhagavad Gita heißt wörtlich „Gesang des Erhabenen“.
63. Mit „Gott“ ist in der Bhagavad Gita im engeren Sinn jeweils Krishna gemeint, der als göttliche Inkarnation gilt. Im weiteren Sinne ist damit das Göttliche ganz allgemein angesprochen, mag man es das Absolute, das kosmische oder schöpferische Prinzip, das Unfassbare, die umfassende Wahrheit oder wie auch immer nennen. Das Göttliche wird als eins, allumfassend, unteilbar, ewig und unvergänglich angesehen, unabhängig davon, wie es in einer bestimmten spirituellen Tradition oder Religion bezeichnet wird oder welcher Aspekt dieses Einen, Unteilbaren einem einzelnen Menschen am leichtesten zugänglich ist.
64. Alle Pflichten aufgebend, nimm Zuflucht zu Gott allein. Er wird Dich von allen Unvollkommenheiten befreien, sorge Dich nicht (XVIII 66).