Es bleibt die Frage: Warum trennt sich Shakti von Shiva? Wenn Shiva Satchitananda ist und alles in sich enthält und Shakti eins damit ist, warum erschafft Shakti das Universum, um sich dann in vielen Einzelwesen im Universum zu verlieren und später wieder zurückzukehren?

Keine Antwort auf transzendente Fragen

Letztlich hat Tantra darauf ebenso wenig eine befriedigende Antwort wie jede andere Weltanschauung. Im Tantra heißt es einfach: Das „Warum“ können wir mit dem Intellekt nicht ergründen. Das ist eine transzendente Frage, die in der Welt der Dualität nicht beantwortet werden kann und sich in der Welt der Einheit nicht mehr stellt. Vom Relativen her erscheint es so, dass Shakti sich Dualität und Einheitbeständig von Shiva trennt und wieder zurückkehrt. Vom Absoluten her erscheint es so, dass gar nichts passiert, da letztlich die Trennung und damit Schöpfung und Auflösung nur erscheinen, aber nicht wirklich geschehen. Hier verschmilzt Tantra mit Vedanta (einem der anderen großen indischen Philosophiesysteme).

Bhakti Tantra: Die Welt als Spiel Gottes

In einer Bhakti-Interpretation des Tantra wird die Schöpfung als Lila, als Spiel der Göttin beschrieben. Shakti, die Göttin, schafft aus sich heraus die ganze Schöpfung allein zum Spiel. So sollten auch wir als Teil dieses göttlichen Spiels das Leben nicht zu ernst angehen, sondern spielerisch, als Spielgefährten der Göttin oder auch als Schauspieler im Kosmischen Drama, in dem die Göttin Regie führt.

Patanjalis Aussagen zum Warum dieser Welt

Patanjali gibt im Yoga Sutra auch noch eine andere Erklärung für die Schöpfung, die er als Zusammenspiel von Prakriti (Natur, entspricht der Shakti) und Purusha(Bewusstsein, entspricht Shiva) sieht: Er sagt, dass im Schöpfungsprozess Purusha lernt, welche Kräfte und Erfahrungen möglich sind und was seine wahre Natur ist (Yoga Sutra, II 23).

Tantra Meditation - mit Nalini Sahay