Shiva-Shakti Philosophie

 

Die Shiva-Shakti-Philosophie, auch Tantra-Philosophie genannt, ist die Grundlage jeglicher tantrischer Praxis und damit des Kundalini Yoga.
Tantra bzw. Kundalini-Yoga ist im Wesentlichen Übungssystem und Erfahrungswissenschaft, es ist kein Glaubenssystem und keine Weltanschauung. Wenn ein Aspirant praktiziert, macht er diverse Erfahrungen.

 

Gründe für Beschäftigung mit Tantra Philosophie

Wenn Tantra hauptsächlich Praxis-System ist, warum also Philosophie?

Die Beschäftigung mit der Shiva-Shakti-Philosophie ist hilfreich und wichtig, weil er darüber seine Erlebnisse verstehen kann, er erfährt, wie er sich bei bestimmten Erfahrungen verhalten kann. Zudem verringert sich die Gefahr, dass er stecken bleibt, da ihm das Studium die nächste Stufe des Weges zeigt. Zwar ist die Shiva-Shakti-Philosophie wie jede Philosophie ein Modell, ein Begriffssystem für etwas, was jenseits aller Begriffe ist, ein intellektuelles Lehrgebäude für etwas, das rein intellektueller Analyse nicht zugänglich ist. Die Shiva-Shakti Philosophie kommt aber nicht aus dem logischen Denken allein. Vielmehr stammen die Grundprinzipien dieser Philosophie aus Erfahrungen der Bewusstseinserweiterung und aus der Schau selbstverwirklichter Meisterinnen und Meister. Diese aus der intellektuellen Beschreibung von Erfahrungen und Erkenntnissen aus Regionen jenseits aller Worte entstandene Philosophie hat sich in Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden als hilfreich für die Unterweisung von Schülern erwiesen.

Shiva und Shakti als Tantra Absolute Prinzipien

Tantra sieht das ganze Universum als Zusammenspiel von Shiva und Shakti:

Shiva ist der Name für „Bewusstsein“, welches als unbeweglich, ewig, Shiva und shaktiunvergänglich gilt, als Substrat hinter allem, wie die Leinwand, auf der sich das Weltgeschehen abspielt. Die Leinwand ist unberührt von den Geschehnissen des Kinofilms, aber absolut nötig, damit man das Filmdrama erleben kann.

Shakti ist der Name für die Kosmische Energie. Alles Manifeste sowohl in der sichtbaren als auch in der unsichtbaren Welt ist Manifestation der gleichen Energie. Es gibt nichts Festes, nichts Unteilbares. Alles ist in Bewegung. Und alles besteht aus dem gleichen Prinzip. Für uns wissenschaftlich Gebildete klingt das auf den ersten Blick einleuchtend: Alle physische Materie besteht aus Elektronen, Neutronen und Protonen, also Energie. Es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Eisen und Gold. Beides besteht aus den gleichen Energiebestandteilen und kann, zumindest theoretisch, in das jeweils andere umgewandelt werden.

Materie, alle Kräfte, Gedanken und Emotionen sind Manifestationen von Shakti

Tantra geht hierin noch weiter und sagt, dass Licht, Klang, Materie, Gedanken und Emotionen alles nichts anderes sind als Manifestationen der einen Kosmischen Grundenergie. Die moderne Physik spricht bisher noch von vier Grundkräften, die das Universum bestimmen (Gravitation, elektromagnetische Kraft, schwache Kernkraft und starke Kernkraft). Es gibt allerdings Versuche (beispielsweise die Superstring-Theorie), diese vier Grundkräfte als Manifestationen einer einzigen Grundkraft anzusehen.

Wie gesagt, klingt die Theorie, dass das ganze Universum Manifestation der gleichen Urkraft ist und das Göttliche sich als das Universum manifestiert, heute sehr modern. Zur Zeit ihrer Entstehung vor einigen Jahrtausenden war sie recht revolutionär. Und im 19. Jahrhundert lachten die Engländer über die abergläubigen Inder. Denn schließlich hatte die moderne Wissenschaft des 19. Jahrhunderts angeblich festgestellt, dass das Universum aus Atomen besteht, die unteilbar und grundlegend unterschiedlich sind und keinesfalls ineinander überführt werden können. Es bedurfte der modernen Atomphysik, um die Tantra-Philosophie wieder hoch aktuell zu machen.

Verschiedene Bedeutungen von Shiva

ShivaEin paar Worte zu „Shiva“. Shiva bedeutet in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches: Im Tantra bedeutet Shiva das stets gleich bleibende Bewusstsein, auf dem sich das Drama der Welt als Manifestation von Shakti abspielt. Dies wird in der indischen Kunst wie folgt verdeutlicht: In manchen Darstellungen liegt Shiva lächelnd auf dem Rücken und Kali (Shakti) tanzt auf Shiva ihren Weltentanz. Auf anderen Bildern sitzt Shiva bewegungslos in der Meditation. Aus seinem Haarschopf strömt Ganga (die Göttin des Flusses Ganga) heraus und symbolisiert damit Shakti – sie strömt aus Shiva heraus und schafft die Welt, erhält sie und löst sie wieder auf.

Im Vedanta ist Shiva der zerstörerische Aspekt des persönlichen Gottes (Ishwara), der sich als Brahma (Schöpfer), Shiva (Zerstörer) und Vishnu (Erhalter) manifestiert. Im Vedanta wird das Bewusstsein als „Brahman“ bezeichnet, die Kosmische Energie als Maya (Illusion), die die Welt (Jagad) scheinbar schafft und in der Ishwara eben als Brahma, Vishnu und Shiva tätig wird. In der Symbolik zeigt sich dieser zerstörerische Aspekt von Shiva im Dreizack, mit dem er Dämonen die Köpfe abschlägt.

Shiva gilt aber auch als der Ur-Yogi, der der
Welt die Yoga-Praktiken gebracht hat. Daher hat Shiva eine Japamala (eine Art Rosenkranz als Symbol für die Mantra-Wiederholung), er sitzt im Lotussitz, der Meditationshaltung, und hat eine lebende Schlange um den Hals als Symbol für die erwachte Kundalini.

Im Shaivismus (wo Shiva als der Höchste Gott verehrt wird) ist Shiva alles: Er ist das unendliche Bewusstsein der Einheit, symbolisiert in der Gestalt des Lingam oder auch als Bewusstseinsraum (Chidambaram).

NatarajEr ist auch der Tanz der Schöpfung in der Gestalt des Shiva-Nataraj, des Kosmischen Tänzers oder Kosmischen Trommlers, der durch den Klang der Trommel (Damaru) das ganze Universum schafft, erhält und zerstört. Trommel und Tanz symbolisieren auch die Vergänglichkeit: Nichts bleibt, alles ist im Fluss.

Übrigens: Für die Inder sind diese höchst unterschiedlichen Bedeutungen in der Symbolik von Shiva keine Widersprüche. Da alles in allem enthalten ist, kann also dasselbe je nach Kontext Unterschiedliches bedeuten.

Shiva im Tantra als Unendliches Bewusstsein

Die Tantra Bedeutung von Shiva ist  "unveränderliches Bewusstsein", und nicht die im Westen bekanntere als „der Zerstörer“.