Trance, Ekstase und Überbewusstsein

Traumwelt

Der Mensch ist ein hoch komplexes Wesen, das zu einer Vielzahl von Erfahrungen fähig ist. Unser Alltagsbewusstsein, in dem wir die physische Welt wahrnehmen, in Worten und Bildern denken, Gefühle haben, die sich auf tatsächliche oder eingebildete Erfahrungen begründen, ist nur eine der vielen Möglichkeiten des Bewusstseins. Meist unreflektiert denken die meisten Menschen, dass dieses „Alltagsbewusstsein“ das Normalbewusstsein ist. Wenn Menschen andere Erfahrungen machen, die dem Alltagsbewusstsein nicht entsprechen, bekommen sie Angst und befürchten, verrückt zu werden beziehungsweise in eine Psychose zu geraten.

Vier Manifestationen des Bewusstseins

Jeder Mensch hat nicht nur eine Bewusstseinserfahrung, sondern recht viele. Yogis unterscheiden vier Hauptbewusstseinsformen und zahllose Zwischenbewusstseinsformen. Die vier Hauptbewusstseinsebenen sind Wachbewusstsein, Traumbewusstsein, Tiefschlafbewusstsein, Überbewusstsein.

  • Im Wachbewusstsein gibt es die Subjekt-Objekt-Spaltung: Der Mensch ist sich seiner selbst bewusst, ist sich der Umwelt bewusst, sieht einen Unterschied zwischen sich, der Welt und natürlich den anderen Geschöpfen. Er nimmt die Welt in Zeit und Raum, in fünf Sinneskategorien wahr. Im Unterschied zum Tier kann er dabei auch logisch denken und analysieren.
  • Im Traumbewusstsein schafft der Mensch eine Welt aus seinem BuddhaUnterbewusstsein, identifiziert sich mit einer der Figuren, die er selbst geschaffen hat, und nimmt die Welt vom Standpunkt dieser Figur aus wahr. Manche Träume gleichen in vielerlei Hinsicht der Wachwelt. Andere folgen ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, bewegen sich jenseits der Grenzen von Zeit und Raum und können ganz diffus sein. Normalerweise wird jedoch die Traumwelt subjektiv in den Kategorien von Raum und Zeit erlebt, auch wenn das Zeitempfinden im Traum ein ganz anderes als im Wachzustand ist. Es gibt die Subjekt-Objekt-Spaltung. Erfahrung geschieht über die fünf Sinne.
  • Im Tiefschlaf verschwindet die Subjekt-Objekt-Spaltung. Es gibt nichts Wahrnehmbares und keinen Wahrnehmenden. Es gibt überhaupt kein bewusstes Erleben.
  • Die vierte Ebene, Turiya (wörtlich: „der Vierte“) genannt, wird meist mit „Überbewusstsein“ übersetzt. Das reine Überbewusstsein ist das Bewusstsein der Einheit: Die Subjekt-Objekt-Spaltung ist überwunden, es gibt keine Gedanken, keine Sinneswahrnehmungen, sondern allein das Bewusstsein allumfassender Einheit. Es ist wie der Tiefschlaf, allerdings bei vollem Bewusstsein, besser gesagt, bei unendlichem Bewusstsein. Es ist Bewusstsein an sich, ohne Subjekt und Objekt. Im Buddhismus wird es als Nirwana, „Nichts“, bezeichnet, da es nichts ist, was wir uns vorstellen können. In der christlichen Mystik heißt es Unio Mystica, mystische Einheit. Im Yoga hat dieser Zustand zahllose Namen, beispielsweise Purna, Fülle, Unendlichkeit, Nirvikalpa Samadhi, Unmani Avastha, Asamprajnata Samadhi.

Trance und Ekstase

EngelDie tranceartigen, ekstatischen Bewusstseinszustände stehen zwischen Traumbewusstsein, Überbewusstsein und Wachbewusstsein. Der Mensch erfährt die Wirklichkeit auf veränderte Weise. Er kann unempfindlich gegenüber Schmerzen, Hitze und Kälte werden. Er kann gesteigerte Kreativität erleben, neue Erkenntnisse gewinnen, Zugang zu Astralwelten erhalten, Engel und Geister sehen, in frühere Leben gehen, heilerische Fähigkeiten entwickeln. Er kann aber auch Halluzinationen bekommen und Trugbilder erfahren. Die Unterscheidung zwischen Halluzination und Schau einer anderen Wirklichkeit ist gar nicht so einfach. Manchmal erinnert man sich nachher nicht mehr an die Erfahrung während der Ekstase, sie ist oft nur wie ein unwirklicher Traum vorhanden. Auf das Verlassen dieser tranceartigen Bewusstseinszustände folgt oft eine Phase der Erschöpfung. Die Tranceerfahrungen können zwar durchaus heilend sein, sind aber für den spirituellen Weg nicht notwendig. Man kann zur Gottverwirklichung kommen, ohne jemals tranceartige Bewusstseinszustände erfahren zu haben. Im klassischen ganzheitlichen Yoga werden Tranceerfahrungen nicht besonders geschätzt, erzeugt oder gar für notwendig erachtet. Gelegentlich in langen Tiefenentspannungen, manchmal auch während enthusiastischem Mantra-Singen in großen Gruppen, in seltenen Fällen auch bei langem Pranayama können auch Yoga-Übende in Trance oder Ekstase fallen. Dabei können die Übenden heilende Erkenntnisse gewinnen und sie sind danach auch wieder ganz „normal“.

Höhere Bewusstseinszustände

OmDie erweiterten, höheren Bewusstseinszustände stehen zwischen Wachbewusstsein und Turiya, Überbewusstsein. Der Mensch ist voll bewusst, ja die Bewusstheit ist um ein Vielfaches gesteigert. Obgleich Bewusstsein an sich keine Eigenschaften hat, wird es erfahren als Satchitananda, als absolutes und damit unendliches Sein (Sat), Wissen (Chit) und unendliche Glückseligkeit (Ananda). Im Tiefschlaf erfährt der Mensch dieses Satchitananda fast gar nicht. Er weiß (Chit) nicht, dass er existiert (Sat) und erfährt keine bewusste Wonne (Ananda). Im Traumschlaf gibt es ein klein wenig mehr Satcidananda. Im Wachbewusstsein ist das Satchitananda stärker: Der Mensch weiß, dass er existiert (Sat), wenn auch als beschränktes Wesen (daher beschränktes Sein). Er ist sich bewusst und weiß einiges von der Welt (Chit). Er erfährt verschiedene Formen von Vergnügen und Freude (vorübergehendes und beschränktes Ananda). Im höchsten Überbewusstsein gibt es absolutes Sein und damit die Erfahrung der Unendlichkeit. Es gibt absolutes Bewusstsein und unendliches Wissen. Es gibt reine, unendliche, ewige Wonne. Jede Form des höheren Bewusstseins ist eine Ausdehnung in Richtung Satchitananda. Das ist auch das Merkmal, mit dem man höhere Bewusstseinszustände von Trancezuständen unterscheidet.