206 Gelassenheit bei Misserfolgen – die Kunst der Beurteilung

Gelassenheit Entwickeln - Podcast für mehr Gelassenheit im Alltag

Scheitern gehört zum Leben. Aus Misserfolgen kannst du lernen. Du lernst aus Erfahrung. Aus Schaden wird man klug. Damit du das auch umsetzen kannst, ist es wichtig, dass du Fehlschläge geschickt interpretierst. Sukadev stellt dir hier ein Modell dafür vor -und gibt dir Beispiele wie du es einsetzen kannst.

Dies ist die 206. Folge des Yoga Vidya Gelassenheits-Podcast von und mit Sukadev Bretz, Gründer und Leiter von Yoga Vidya.

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Die Kunst der Beurteilung beim Scheitern, beim scheinbaren Scheitern. Nach den vielen praktischen Übungen der letzten paar Dutzend Podcasts jetzt wieder etwas als Einstellung für den Alltag. Angenommen, du machst etwas, du tust etwas, du engagierst dich für etwas, dann kann das gutgehen, du kannst aber auch scheitern. Und je nachdem, wie du dein Scheitern beurteilst, kann das dazu führen, dass du entweder dich neu anstrengst, dass du dich neu bemühst, dass du merkst, es gibt kein tatsächliches Scheitern, sondern es ist alles eine Lernlektion, oder es kann eben dazu führen, dass du nicht wirklich dich neu engagierst. Es gibt Menschen, die fallen auf die Nase und wie eine Katze stehen sie wieder auf. Es gibt aber auch Menschen, die sind wie ein nasser Sack, wenn sie mal runterfallen, dann bleiben sie unten. Sei du wie eine Katze, die auch vom Baum runterspringen kann und die ein Mensch runterwerfen kann, die Katze kommt auf ihre vier Beine und klettert dann wieder hoch. Scheitern gehört zum Leben dazu. Du lernst durch Erfahrung, du lernst durch Irrtum.

Das Leben ist bis zu einem gewissen Grad Versuch und Irrtum. Du musst nicht alle Fehler selbst machen, du kannst auch aus den Fehlern von anderen lernen. Aber um ein erfolgreiches Leben zu haben und auch ein befriedigendes Leben zu haben, gehört auch dazu, dass du öfters den Mut hast, wieder Fehler zu machen und zu scheitern. Es gibt ein Sprichwort: Wer wenig tut, macht wenig Fehler. Wer viel tut, macht viele Fehler. Wer nichts tut, macht den größten Fehler. Du hast wahrscheinlich schon mal gehört von dem Thomas Alva Edison, der die Glühbirne erfunden hat. Er hat Hunderte, manche sagen sogar Tausende, von Versuche gemacht, bis er endlich die richtige Kombination von Gas und Glühfaden gefunden hatte. Er wurde mal gefragt, wie er es durchhalten konnte, so viele Male zu scheitern, um schließlich Erfolg zu haben. Thomas Edison antwortete: „Ich hatte gar keine Misserfolge. Ich lernte Hunderte oder Tausende von Weisen, wie man Glühbirnen nicht machen kann.“ Alles, was nicht funktioniert, ist etwas, woran du lernen kannst. Du kannst auch sagen, du musst Lehrgeld bezahlen.

Oder ich war mal eine Weile in Amerika gewesen und dort war ich eine Weile in einem Yogazentrum, wo eine andere Sevaka Jüdin war und sie hatte den Ausdruck „Rabbigeld“. Und immer dann, wenn wir etwas ausprobiert hatten und es ging schief, hat sie gesagt: „Rabbigeld haben wir bezahlt.“ Das bezieht sich auf einen alten jüdischen Brauch, dass man dem Rabbi Geld zahlen muss dafür, dass er die Kinder erzieht und dass er ihnen etwas beibringt. Und es heißt, wenn man ihm nichts gibt, weil das Ganze auf Spendenbasis war, dann nimmt das Schicksal dieses Rabbigeld von dir. So ähnlich kennen wir in unserer Kultur den Ausdruck Lehrgeld. Das Schicksal fordert Lehrgeld. Oder, wie man auf Englisch auch sagt, Swami Sivananda hat das häufig zitiert: „Failures are stepping stones for success. Misserfolge sind Stufen zum Erfolg.“

Leider wurden wir in der Schule dazu erzogen, Fehler zu vermeiden. Die Notengebung richtet sich nach der Anzahl der Fehler. Z.B. sagt man, fünfzig Prozent muss man gewusst haben, dann war es noch eine vier. Für den Fall, dass du noch mit diesem sechsstufigen Notensystem vertraut bist. Und bis fünf Prozent falsch, ist vielleicht noch eine eins, bis zehn Prozent falsch, eine zwei, bis fünfundzwanzig Prozent falsch, eine drei, und bis fünfzig Prozent falsch oder vierzig Prozent falsch, ist eine vier. Und alles darüber ist eine fünf. Es wurde nicht überlegt, wie viel man richtig hat. Und so sind wir in der Schule erzogen worden, Fehler zu vermeiden. Wichtiger jedoch wäre, Fehlertoleranz zu lernen, Experimentierfreude zu lernen. Alle großen Menschen der Weltgeschichte haben viele Fehler gemacht und waren risikobewusst, haben natürlich immer wieder ihre Fehler auch korrigiert, aber diese Fehlertoleranz ist wichtig. Und das ist auch wichtig für Gelassenheit. Wenn du Fehler machen kannst und darüber lächeln kannst und wieder probieren kannst.

Eine Hilfe, um für Fehler toleranter zu sein, ist die Kunst der Beurteilung. Vorübergehend statt endgültig und konkret, spezifisch statt allgemein. Nimm ein Beispiel: Angenommen, du hast als Jugendlicher noch keinen Führerschein gemacht, sondern du willst irgendwann die Führerscheinprüfung ablegen. Und bei der ersten schriftlichen Prüfung kommst du nicht durch. Jetzt könntest du sagen: „Oh, ich schaffe es nicht. Ich kriege es nicht hin. Ich bin gescheitert bei der Führerscheinprüfung.“ Oder du kannst sagen: „Dieses Mal habe ich die Führerscheinprüfung nicht geschafft.“ Und vielleicht kannst du noch überlegen: „Ja, ich habe nicht ausreichend gelernt. Ich hatte gedacht, es geht mit wenig Aufwand. Beim nächsten Mal werde ich mehr lernen.“ In dem Moment, wo du eben sagst, „dieses Mal hat es nicht geklappt“, kannst du beim nächsten Mal mit mehr Engagement dabei sein. Und du kannst auch überlegen: „Was war dieses Mal?“ Vielleicht war es auch einfach nur Pech, vielleicht hast du dich nicht vorbereitet, vielleicht hast du dich nicht genügend vorbereitet. Also, vorübergehend statt endgültig.

Ein anderes Beispiel: Du bist Veganer geworden und du hast dich entschieden, die anderen zum Essen einzuladen und du willst, dass es wirklich gut schmeckt. Du bereitest alles ganz toll vor und dann, während die ersten Freundinnen kommen, merkst du plötzlich, dass es aus der Küche riecht und stinkt. Und du rennst dorthin. Das wichtigste Essen, die wichtigste Mahlzeit, der wichtigste Teil des Abendessens ist angebrannt. Jetzt kannst du vorübergehend statt endgültig urteilen. Du könntest jetzt sagen: „Dieses Mal habe ich das Essen anbrennen lassen.“ Du könntest natürlich auch sagen: „Nie klappt es, wenn ich meine Freundinnen zum Essen einlade.“ Du könntest noch dazu allgemein sagen „ich bin ein Versager“, statt zu sagen, „auf diesem Gebiet hat es nicht geklappt“. Also besser, du urteilst vorübergehend statt endgültig. Du könntest eben z.B. bei diesem Essen sagen: „Ja, dieses Mal habe ich nicht aufgepasst. Ich habe meine Freundinnen begrüßt, statt auf das Essen aufzupassen. Beim nächsten Mal werde ich darauf achten, das Essen fertigzuhaben, bevor meine Freundinnen kommen. Sei also vorübergehend bei der Beurteilung von Scheitern statt endgültig. Oder es kann auch sein, dass du mehrmals hintereinander das Gleiche versucht hast.

Angenommen, du hast jetzt zum dritten Mal die Führerscheinprüfung nicht geschafft und ein viertes Mal ist nicht erlaubt oder nicht möglich oder zumindest nicht die nächsten Jahre, dann sage nicht, „ich bin ein Versager“, sondern sage, „auf diesem Gebiet hat es nicht geklappt“. Auch beim Essen kannst du, anstatt zu sagen, „ich bin ein schlechter Gastgeber“, sagen, „die Gemüsepfanne ist angebrannt, aber die Nudeln waren gut und der Obstsalat war gut und auch der Salat und die Salatsoße waren gut“. Also, spezifisch statt allgemein und vorübergehend statt endgültig.

Dein Geist wird vielleicht zuerst aus Frust etwas sagen. Er wird dann sagen: „Ich werde niemals mehr jemanden einladen. Ich bin ein schlechter Gastgeber.“ Wenn du das hörst, wie du das zu dir sagst, gut, mag sein, dass du das aus Frust ein paar Minuten sagst. Dann anschließend kannst du aber gegenargumentieren. Das ist eine Möglichkeit. Du argumentierst: „Dieses Mal war ein Teil des Essens nicht gut. Und ein anderer Teil war gut. Und der Teil des Essens, der nicht gut war, den habe ich schon ein anderes Mal gut gemacht. Beim nächsten Mal wird es gutgehen. Außerdem hatten meine Freundinnen einen Mordsspaß und sie fanden es auch lustig, dass ausgerechnet mir etwas angebrannt ist, wo ich sonst immer so hypergenau bin.“ Also, sage: „Das war eine gute Lektion, war eine Lektion in Demut. Dieses Mal ist es nicht gutgegangen in einem Bereich, in anderen Bereichen ist es gutgegangen und letztlich hatten meine Freundinnen viel Spaß.“ So kannst du also gegenargumentieren. Eine andere Möglichkeit wäre auch durch Übertreiben und ins Lächerliche führen, das ist die so genannte paradoxe Technik. Also angenommen, du hörst, wie du sagst: „Ich bin ein Versager, mir gelingt nie irgendetwas.“ Dann kannst du das Ganze übertreiben, dann kannst du sagen: „Stimmt, mir ist noch nie irgendetwas gelungen. Ich habe noch nichts geschafft, ich habe noch keine Prüfung bestanden, ich habe noch keinen Test bestanden, ich wurde noch nie gelobt, mir ist noch nie irgendetwas in meinem Leben gelungen.“ So könntest du einiges sagen, und natürlich fängst du an zu lachen, denn natürlich ist dir alles Mögliche schon gelungen. Du hast deine Schule abgeschlossen, du hast Klassenarbeiten gemacht, du hast einen Beruf, du hast ein Appartement, du hast einen Partner, du hast ein Tier usw. Aber zunächst mal kannst du alles paradoxerweise übertreiben. Du kannst die Technik des Übertreibens nutzen.

Ja, so kannst du bis zum nächsten Mal dich selbst beobachten. Du kannst dir zunächst mal vornehmen, jedes Scheitern ist kein Scheitern, sondern es ist ein Misserfolg, aber jeder Misserfolg ist eine Stufe zum Erfolg. Es ist ein Lehrgeld, das du zahlst, es ist ein Rabbigeld, das du zahlst. Wann immer du in den nächsten Tagen irgendetwas gemacht hast, was scheinbar scheitert, dann freue dich, dass du Lehrgeld gezahlt hast, freue dich, dass du etwas gelernt hast. Und bewusst, nimm ruhig etwas Risiko auf dich. Aber natürlich kalkuliertes Risiko. Das heißt nicht, dass du blind über die Autobahn gehst, sondern es heißt, dass du ruhig dich auch mal meldest, um einen Vortrag zu halten, dass du im Rahmen einer Teamsitzung deine Vorschläge zum Besten gibst, dass du ruhig auch mal die Auseinandersetzung mit deinem Partner suchst, dass du ruhig auch mal etwas ausprobierst. Du probierst ja schon vieles. Aber gerade dann, wenn du eher zur Fehlervermeidung neigst, habe etwas mehr Experimentierfreude. Und wenn etwas schiefgeht, dann achte darauf, wie sprichst du zu dir selbst, wie beurteilst du das, was schiefgegangen ist. Neben Lehrgeld kannst du eben auch beurteilen: „Vorübergehend, dieses Mal.“ Oder statt allgemein, „ich bin ein Versager, nie klappt irgendetwas“, werde spezifisch und sage: „Auf diesen Gebiet hat es nicht geklappt, auf diesem Gebiet bin ich vielleicht nicht so gut. Aber auf anderen Gebieten bin ich gut.“
Das war es für heute. Ich meine, ein wichtiges Gebiet, etwas, was, wenn du ein gelassener Mensch sein willst und ein Mensch, der durchaus etwas wagt und erfolgreich sein will, sehr wichtig ist.

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