Shri Shankaracharya

Von Swami Sivananda
 

Guru charanam, bhaja charanam,
 Satguru charanam, bhava haranam.
Manasa bhajare, guru charanam,
 Dustara bhava sagara taranam.
Guru maharaj guru jaya  jaya,
 Para brahma satguru jaya jaya.

Religion bedeutet Verwirklichung, nicht nur bloßes Lernen oder reine Phantasie oder ein geistiges Konzept. Sie ist auch keine Einbildung oder Beeinflussung des Gehirns, noch ist sie eine Entscheidung, zu der man infolge intellektueller Auseinandersetzung gelangt. 

Das erklärt Shankara, Indiens größter Heiliger und Philosoph, der als Inkarnation von Shiva angesehen wird und der respektvoll auch Shrimath Adi Shankaracharya genannt wird (shrimath = ehrfurchtsvolle Bezeichnung für Heilige; adi = Anfang, Ursprung; acharya = Meister). 

Wofür sonst können wir ihn halten als für Gott selbst, der da unangefochten und unerschrocken verkündet: „Ich bin das Selbst von allen, ich bin alles, ich bin transzendent, ich bin Eins ohne ein Zweites, ich bin das Absolute; ich bin grenzenloses Bewusstsein; ich bin reine Wonne.“

Shankara ist unser Vedanta Guru (vedanta = Philosophie der Einheit). Er war eine Inkarnation Gottes. Er wurde zu einer Zeit geboren, als Indiens Gedankengut und Kultur in Verfall gerieten und arger Verwirrung unterlagen, als der ethisch-moralisch hochstehende weit verbreitete Einfluss der buddhistischen Kultur allmählich nachließ und vollständiges Chaos und Durcheinander vorherrschten. Plötzlich kamen zahllose Sekten auf und verwirrten die Menschen durch ihre Lehren. Negative gesellschaftliche Einflüsse und blinder Aberglaube trieben unter dem Deckmantel der Religion die leichtgläubigen Massen in den Fanatismus und ließen sie in völliger Unwissenheit über die höchste Wirklichkeit. Es gab nicht weniger als 72 Religionsgemeinschaften und Sekten dieser Art, die die Menschen vom rechten Weg abbrachten.

Die Herabkunft Krishnas (Inkarnation von Vishnu, dem Schöpfergott) erneuerte den Hinduismus und rettete manch eine Seele vor dem Untergang, Seelen, die sich andernfalls, infolge einer falschen Auslegung der Veden (älteste ind. Hl. Schriften) und der Upanishaden (Schlussteil der Veden), der Passivität ergeben hätten. Auf gleiche Weise erschien Shankara auf der Erde, um viele ringende Seelen zu retten. Er befreite und erleuchtete sie mit seiner friedlichen, anspruchslosen Überzeugung und liebevollen Verbreitung seiner Lehre. Dank seiner unwiderstehlichen Logik errang er einen einzigartigen intellektuellen Sieg über alle anderen Philosophieschulen. Angesichts seiner Lehre erwiesen sich alle anderen Theorien als Trugbilder und Irrtümer. 

Es war Shankara, der dem Hinduismus seine unerschütterliche konkrete Form gab und seine gedankliche und kulturelle Einheit und Reinheit begründete. Aberglaube und verfälschte Praktiken verschwanden in kürzester Zeit.

Dank der Bemühungen Shankaras kamen die klassischen sechs indischen Philosophiesysteme, welche vorher durch die Schwätzer unterdrückt worden waren, in ihrer ursprünglichen Herrlichkeit wieder zum Vorschein.

Sein Sieg über die anderen Philosophiesysteme beruhte nicht auf einem hartnäckigen Beharren auf seinem eigenen Glauben und seiner Überzeugung, ohne Berücksichtigung des Für und Wider anderer Denkweisen. Er kannte auch allen anderen Theorien bis in die kleinste Einzelheit. Die Grundlagen seiner Philosophie beruhten auf denselben Prinzipien wie die anderen Systeme. Das allein ist der Grund, warum seine Philosophie von allen anderen Gedankenschulen mit Respekt anerkannt wurde, ungeachtet der unterschiedlichen Auffassungen im Überbau. 

Das Geheimnis seines Sieges und seiner Überzeugungskraft lag in seinen ausgeprochen treffenden und einleuchtenden Erläuterungen und Beispielen. Niemals gründete er seine Behauptungen auf theoretischen Axiomen (Grundsätzen) und unbewiesenen Hypothesen, sondern auf ganzheitlicher Erfahrung. Ferner fußten alle seine Argumente auf den Veden, die authentisch und unbestritten sind.

Shankara ließ sich niemals in leidenschaftliche Streitgespräche ein, um seinen Standpunkt zu verteidigen oder die Theorien anderer zu widerlegen. Dank seines überragenden Intellekts verbreitete er seine meisterhaften Ausführungen in einem einfachen und klar verständlichen Wortlaut und mit der gleichen höchsten Autorität wie die Gita, die Upanishaden, die Brahma Sutras oder der selbstverständlichen Gültigkeit des Shruti Pramana usw.

Vor allem beschränkt sich die Philosophie Shankaras nicht auf hoch intellektuelle Menschen. Sie ist auch für einen Laien leicht zugänglich. Mit seinem tiefgründigen Wissen, seinem allumfassenden Lernen, seiner kühnen intuitiven Einsicht und seinen überzeugenden Erklärungen hat er das starke Gebäude des Vedanta errichtet, das für den Gelehrten und den Laien gleichermaßen zugänglich ist. Wie weise und wirkungsvoll hat er dem Gelehrten, der sich über den verschiedensten Schriften den Kopf zerbrach, als Mittel „Bhaja Govindam“, die Verehrung Krishnas, verschrieben (bhaja = verehre, Govinda = „Hüter der Kühe“, Name für Krishna). 

Vedanta ist nicht der einzige philosophische Aspekt, den er der Welt verkündet hat. Er erreichte das Herz eines jeden ernsthaften Suchenden nach Wahrheit. Er regt zur Verehrung Gottes in verschiedenster Art und Weise an und befürwortet Bhakti (Hingabe zu Gott) sehr. Ohne jegliche Voreingenommenheit gegen die eine oder andere Form verfasste er zahllose von Hingabe und höchster Wahrheit überfließende Hymnen, die alle göttliche Ekstase und immerwährende Freude auch in einem nicht entwickelten Geist hervorrufen. Sein unermüdliches Wirken zum Wohle der Menschheit zeichnet ihn auch als einen wahren, tatkräftigen Karma Yogi (aktiv Handelnder im Dienst anderer) aus.

Und hinter all dem steht seine unumschränkte Hingabe an seinen Guru. Beachte, wie er sagt: „Jeder Mensch, der dank der unvergleichlichen Barmherzigkeit und des Blickes des Satguru (Weisheitslehrer) erkennt: ‚Ich bin Brahman’, überwindet jeglichen Zweifel und, da sein Geist nun frei ist von der Täuschung, erreicht er Befreiung noch während des Lebens in diesem Körper.“ Wie wirkungsvoll und herrlich ist doch die Hingabe an den Guru! 

Shankara Jayanthi fällt auf den 5. Tag nach Vollmond im Monats Vaisakh (Mai/Juni). 
Studiere an diesem Tag seine Werke, bete und meditiere. Möge sein Segen auf euch herabregnen!
 


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