Bhagavan Shri Ramana Maharshi

Bhagavan Shri Ramana Maharshi gilt als ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie es möglich ist, allein durch Konzentration auf die Selbstergründung das Ego (die innere Subjektfunktion) zu überwinden und das "Selbst" (die Selbst-Bewusstheit) zu verwirklichen. Mit dem Weg des Atmavichara, der auf seinen ganz persönlichen Erfahrungen beruht, und den er Jahrzehnte hindurch immer wieder darlegte, begründete er die heute wohl wichtigste Methode innerhalb des Jnana-Yoga (Weg der Erkenntnis). 

Ramana Maharshi wurde am 30. Dezember 1879, in einer dem Shiva Mahadeva geheiligten Nacht, in Tiruchuzhi im südindischen Tamil Nadu geboren, als zweiter von drei Söhnen des brahmanischen Anwalts Sundaram Ayyar und seiner Frau Alagammal. Seine Eltern nannten ihn Venkataraman. Seine Schulzeit verlief ohne Besonderheiten; er lernte drei Jahre in Tiruchuzhi, dann ein Jahr in Dindigul. Auffällig war nur sein gutes Gedächtnis: er konnte sich an alles erinnern, was er einmal gehört oder gelesen hatte. Als er zwölf Jahre alt war, starb sein Vater, woraufhin er im Hause seines Onkels Aufnahme fand. Dort in Madurai besuchte er zunächst die Scotts Middle School, dann die American Mission High School, wobei er durch seine Sportlichkeit auffiel. Oft besuchte er den berühmten Minakshi-Tempel. Stark beeinflusst wurde er durch die Erzählungen über die Nayanmars, 63 südindisch-shivaitische Heilige. 

Im Alter von 16 Jahren, am 16. Juli 1896, hatte Venkataraman eine seltsame Erfahrung. Obwohl er bei bester Gesundheit war, wurde er plötzlich von einer elementaren Todesangst ergriffen. Von dieser spontanen Furcht angetrieben, vertiefte er sich in die Frage: „Was ist es, das da stirbt?“ Um das herauszufinden, ahmte er eine Leiche nach, lag mit starren Gliedern auf dem Boden. Nun fragte er sich: „Bin ich der Körper? Sterbe jetzt ich?“ Sein Bewusstsein war jedoch wach und lebendig wie zuvor. In diesem Moment durchfuhr ihn die intuitive Einsicht, dass er unsterbliches Bewusstsein war, unabhängig vom Körper und dessen Schicksal. Später beschrieb er dies so: "Das ‘Selbst’ war etwas sehr Reales, das einzige Reale in meinem derzeitigen Zustand, und die gesamte bewusste Aktivität meines Körpers konzentrierte sich auf dieses ‘Selbst’. Seither ist die faszinierende Kraft dieses ‘Selbst’ im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit geblieben ... Das Aufgesaugt-Sein in das ‘Selbst’ dauert seitdem ohne Unterbrechung an. Andere Gedanken erscheinen und verschwinden wieder, ähnlich wie die Noten eines Musikstücks, aber das ‘Selbst’ ist wie ein Grundton unter den anderen Noten stets vorhanden und mischt sich mit diesen. Auch wenn mein Körper vom Reden, Lesen oder was auch immer eingenommen ist, ist mein ganzes Sein nicht minder auf das ‘Selbst’ zentriert. Vor dieser Krise vermochte ich das ‘Selbst’ nicht klar wahrzunehmen, und ich fühlte mich nicht bewusst vom ‘Selbst’ angezogen." 

Die Verwandlung, die in Venkataraman vorgegangen war, führte dazu, dass er in der Folgezeit immer mehr Abstand zu seinem bisherigen Leben gewann. Er fühlte sich zunehmend zur Meditation und zum Göttlichen hingezogen, und verlor das Interesse, seinen schulischen Verpflichtungen nachzukommen. So verschwand er am 29. August 1896 von zu Hause, um zum heiligen Berg Arunachala zu reisen. Drei Tage später gelangte er zum dortigen Tempel des Arunachaleshvara Shiva in Tiruvannamalai. Nachdem er sich für ein Leben der Entsagung (sannyasa) entschieden hatte, begann er dort eine Phase intensivster Meditation, wobei er beständig schwieg. Allmählich sammelten sich spirituelle Sucher um ihn. Einige Zeit später schrieb er, auf die drängenden Fragen eines Tempelbesuchers hin, seine Herkunft auf. Daraufhin wurde er von seiner Mutter gefunden, konnte jedoch nicht dazu bewegt werden, nach Hause zurückzukehren. 

Einige Jahre später wählte er die Virupaksha-Höhle am heiligen Berge Arunachala zu seinem Aufenthalt. Um den Menschen zu helfen, die bei ihm um spirituellen Rat nachsuchten, begann er, seine Erfahrungen zu vermitteln. Seine Schüler gaben ihm den Namen Ramana Maharshi (Maharshi bedeutet etwa „großer heiliger Weiser“). 1916 stießen seine Mutter und sein Bruder Nagasundaram zu ihm, die unter seinem Einfluss ebenfalls zu Sannyasins (weltentsagenden Yogis) wurden. Allmählich entstand ein Ashram, zunächst an der Höhle, später etwas oberhalb am Arunachala, unter dem Namen Skanda Ashram. Nachdem seine Mutter 1922 gestorben war, wurde an ihrem Grab ein Schrein gebaut. Einige Zeit später entstand dort der heutige Shri Ramana Ashram. 

Den Menschen, die zu ihm kamen, half Ramana Maharshi nicht nur durch sein persönliches Beispiel und durch seine Unterweisungen, sondern schon allein durch sein Schweigen. Er sagte dazu: „Ein Verwirklichter sendet Wellen spiritueller Kraft aus, die viele Menschen anziehen. Er mag dabei in einer Höhle sitzen und schweigen. Wir können uns lange Vorträge über die Wahrheit anhören und doch kaum etwas begreifen; doch wenn wir in Verbindung mit einem Verwirklichten kommen, werden wir sofort begreifen, obgleich er nichts sagt.“ Selbst diejenigen, die seinem Weg nicht folgten, beeindruckte er durch seine innere Stille, seine Einfachheit und Bescheidenheit. 
 
 

Seine Lehre des Atmavichara erläuterte er so: „Selbst-Hinterfragung ist der Vorgang und auch das Ziel. ‘Ich bin’ ist das Ziel und letztendliche Wirklichkeit. Sich mit Bemühung daran zu halten, ist Selbst-Hinterfragung. Wenn es spontan und natürlich ist, dann ist es Verwirklichung“. Sogar „Verwirklichung“ sei kein genauer Ausdruck, da das Selbst an sich schon da sei. Wenn man die Identifikation mit Körper und Verstand aufgebe, würde sich das wahre Selbst von allein offenbaren. Zu diesem Zwecke solle das Aufsteigen des Ich-Gedankens aus dem Selbst und sein Zurücksinken dorthin beobachtet werden. 

Das reine Bewusstsein, Atman, beschrieb Ramana Maharshi folgendermaßen: "Die Menschen möchten das Selbst als etwas Neues sehen. Aber es ist ewig und gleichbleibend. Sie wollen es als strahlendes Licht oder so etwas sehen. Wie wäre das möglich! Es ist weder Licht noch Finsternis. Es ist nur, was es ist, und kann nicht definiert werden. Die beste Definition ist ‘Ich bin, der ich bin’". "Wirklichkeit ist reines Bewusstsein“. Das Selbst ist „die höchste, beseligende ursprüngliche Wirklichkeit. Ihre Form ist Schweigen.“

Die von Shankara vertretene Lehre des Advaita Vedanta, die er einige Zeit nach seinem Erwachen kennenlernte, sah Ramana Maharshi als diejenige Philosophie und Praxis an, die seinen eigenen Erfahrungen am nächsten kam. 

Der Begriff Jnana (Erkenntnis) schloss für ihn die spirituelle Befreiung (Moksha) ein: „Wisse, dass nur Jnana Nichtverhaftung ist. Nur Jnana ist Reinheit; Jnana ist die Verwirklichung Gottes ... in diesem höchsten Zustand gibt es nichts, was man erreichen könnte, außer sich selbst". Um diesen Zustand der Befreiung zu bezeichnen, gebrauchte er (neben dem Begriff Turiya-Avastha, d.h. vierter Zustand, für das Selbst-Bewusstsein) das Wort Turiyatita, was „das Vierte übersteigend“ bedeutet. 

Nach einer längeren Krebserkrankung, die seinen Zustand innerer Stille und Zufriedenheit nicht zu erschüttern vermochte, starb Ramana Maharshi am 14. April 1950. Im Moment seines Maha-Samadhi erleuchtete ein Meteor den Himmel über dem Arunachala. Noch heute spüren viele Menschen die spirituelle Präsenz Ramana Maharshis an diesem Ort. Auch ich habe sie erfahren: Als ich diesen Text schrieb, wurde ich mehrmals in eine seltsame, tiefe Stille hineingezogen. 

Ramana Maharshi hatte keine Schüler im engeren Sinne angenommen, da er die traditionelle Lehrer-Schüler- Beziehung für sich selbst als unpassend empfand. Viele Yogis wurden jedoch unmittelbar durch ihn beeinflusst und betrachteten ihn als ihren Lehrer, u.a. Shri Hari Vansh Lal Poonjaji (1910-1997) Uddandi Nayinar, Palanisvamin, Ganapati Muni, Svami Ramdas (1884-1963), Paul Brunton (1898-1981), Shri Annamalai Svami (1906-1995), Dom Henri Le Saux (Svami Abhishiktananda) (1910-1973), Bhagavan Shri Yogi Ramsuratkumar (1918-2001), Jean Klein und Robert Adams. 
 


 

mehr über Ramana Maharshi


zurück zu Heilige,Meister und Avatare
zurück zur Übersicht
zurück zur Yoga Vidya Homepage